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Rückerstattungspflicht und Sanktionen bei grob selbstverschuldeter Notlage

Veröffentlicht:
01.03.2022
Kanton:
Bern
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Nach Rückfrage bei anderen Sozialdiensten in unserer Region haben wir festgestellt, dass die Handhabung bezüglich Rückerstattungspflicht bei grob selbstverschuldeter Notlage sehr unterschiedlich gehandhabt wird.

Für uns stellt sich die Frage, ob bei der Beurteilung der Rückerstattungspflicht aufgrund eines groben Selbstverschuldens der Bedürftigkeit ein Unterschied zwischen neuen Fällen (Unterstützungsbeginn) oder laufenden Fällen zu machen ist? Beispielsweise im Falle von Einstelltagen der Arbeitslosenversicherung. Wird eine Person rückerstattungspflichtig, wenn sie Sozialhilfe beziehen muss, aufgrund verfügter Einstelltage der Arbeitslosenkasse und sich herausstellt, dass ein grobes Selbstverschulden vorliegt? Ist bei der Rückerstattungspflicht zu beachten, dass der Person vorgängig die gesetzlichen Grundlagen der Sozialhilfe nicht bekannt waren?

Eine weitere Frage in diesem Kontext ist, wie der Umfang der Kürzung  bei Einstelltagen der ALV sowie generell festgelegt wird? Gibt es hier Konkretisierungen zu vorsätzlicher oder fahrlässiger Pflichtverletzung? Wir haben uns bislang auf die BSIG Nr. 8/860 Konsequenzen bei Fehlverhalten von Sozialhilfebeziehenden bezogen vom Jahr 2013, welche seither von der GSI nicht mehr überarbeitet wurde. Gibt es dazu aktuellere Grundlagen / Empfehlungen / Praxishilfen?

Besten Dank für Ihre Antwort. 

Frage beantwortet am

Anja Loosli

Expert*in Sozialhilferecht

Guten Tag

Vielen Dank für Ihre Frage. Ich beantworte diese gerne wie folgt:

1. Rückerstattungspflicht bei grobem Selbstverschulden

Nach Art. 40 Abs. 1 des Sozialhilfegesetzes des Kantons Bern (SHG BGS 860.1) sind u.a. diejenigen Personen zur Rückerstattung verpflichtet, die ihre Bedürftigkeit in grober Weise selbst verschuldet haben. Es gilt in jedem einzelnen Fall zu bestimmen, ob von einer in grober Weise selbst verschuldeten Bedürftigkeit auszugehen ist. Im Sozialhilfehandbuch der BKSE finden sich unter dem Stichwort «Rückerstattung» unter Ziff. 1.4 genauere Ausführungen zum Thema. Ein grobes Selbstverschulden liegt demnach vor, wenn die unterstütze Person die elementare Pflicht zur Verantwortung für sich selbst verletzt hat. Als Beispiel wird der Verbrauch des Vermögens und des Einkommens in unverhältnismässiger Weise genannt. Als weiteres Beispiel wird die zweckwidrige Verwendung von Sozialhilfeleistungen genannt, durch die eine Doppelzahlung notwendig wird.

Da die Unterstützung bei selbstverschuldeter Bedürftigkeit nicht nur zurückverlangt sondern nach Art. 36 Abs. 1 SHG auch gekürzt werden kann, kann allenfalls auch der Eintrag «Kürzungen» im Sozialhilfehandbuch der BKSE weiterhelfen. Dort steht in Ziffer 1.2, dass ein Selbstverschulden vorliege, wenn die unterstützte Person die Verantwortung für sich selbst nicht trägt, die ein verständiger Mensch in der gleichen Lage für sich tragen würde.

Ergänzend führt die von Ihnen erwähnte Information der Gesundheits- und Fürsorgedirektion vom 27. Juni 2013 (BSIG Nr. 8/860.1/16.2) betreffend Kürzungen in Ziffer 3.1.2 aus, dass eine selbstverschuldete Bedürftigkeit primär dann vorliege, wenn eine zumutbare Arbeitsstelle ohne plausible Begründung abgelehnt oder ein bestehendes, zumutbares Arbeitsverhältnis gekündigt würde.

Die SKOS-Richtlinien kennen die Rückerstattung aufgrund grober Selbstverschuldung der Bedürftigkeit nicht.

Weitere Unterlagen oder Gerichtsentscheide habe ich nicht gefunden.

Daraus erhellt, dass es keine pauschalen Kriterien gibt, wann die Bedürftigkeit durch grobes Selbstverschulden entstanden ist. Zentral scheint mir, dass die Sozialhilfebehörde sich jeweils fragt, ob die bedürftige Person die Verantwortung für sich selbst getragen hat, also sorgfältig und nachhaltig mit ihrem Geld und ihrer Situation umgegangen ist und dazu auch in der Lage war (eine gesundheitlich beeinträchtigte Person kann dies allenfalls nicht). So kann grundsätzlich der Verbrauch einer Erbschaft innert kürzester Zeit ausschliesslich für Genuss wie Reisen, Essen und Luxusartikel als grob selbstverschuldet gelten, wenn daneben kein den Lebensbedarf deckendes Einkommen vorhanden ist. Auch die Bedürftigkeit aufgrund von Einstelltagen der Arbeitslosenversicherung kann als grob selbstverschuldet gelten, wenn kein plausibler Grund vorlag, die Pflichten gegenüber der Arbeitslosenversicherung zu verletzen und klar war, dass aufgrund der Einstelltage die Sozialhilfe einspringen muss und auf kein Vermögen zurückgegriffen werden kann.

Wenn eine Person die gesetzlichen Grundlagen nicht kannte, kann dies allenfalls berücksichtigt werden, wobei meiner Ansicht nach für die Bestimmung des Verschuldens nur ausschlaggebend ist, ob die Person damit rechnen musste, dass sie durch ihr Verhalten bedürftig wird und nicht, ob ihr bewusst war, dass sie die Leistungen aufgrund ihres Verhaltens allenfalls zurückbezahlen muss.

2. Kürzungen bei grobem Selbstverschulden

Im Sozialhilfehandbuch der BKSE werden ebenfalls Ausführungen zum Kürzungsumfang und der Kürzungsdauer gemacht wenn auch nicht so konkret wie in BSIG Nr. 8/860.1/16.2. Wichtig scheint mir auch bei den Kürzungen, dass der Einzefall zu beurteilen ist und jeweils die Kürzung sowohl im Umfang wie auch in der Dauer verhältnismässig – also angemessen zum Fehlverhalten – sein muss.

Ich hoffe, Ihnen mit dieser Antwort weiterhelfen zu können.

Freundliche Grüsse

Anja Loosli Brendebach