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Rückerstattungspflicht bei Vermögensanfall durch Auslösung/Auslösbarkeit eines Freizügigkeitsguthabens

Veröffentlicht:
13.12.2022
Kanton:
Bern
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Guten Tag

Im BKSE Stichwort Rückerstattungspflicht ist folgendes geregelt:  

Die Auszahlung eines Freizügigkeitsguthabens nach Eintritt eines durch die 2. Säule abgedeckten Risikos (Alter, Invalidität, Tod) stellt keinen Vermögensanfall im Sinne des Rückerstattungsrechts dar. Vielmehr kommt einem solchen Guthaben die Funktion von in Kapitalform zugegangenen Ersatzeinkünften zu. Es ist für den laufenden Lebensunterhalt zu verwenden und soll dazu beitragen, dass die Person künftig nicht (mehr) unterstützt werden muss. Für die Beurteilung, ob sich die wirtschaftlichen Verhältnisse der betroffenen Person wesentlich verbessert haben, muss somit eine Berechnung nach 5.3.3 erfolgen.

Freizügigkeitsguthaben ist rechnerisch in Einkommen umzuwandeln und zu den übrigen Einkünften (z.B. Renten) dazuzurechnen. Die vorgesehenen Freibeträge (vgl. Ziff. 5.3.2 hiervor) sind zu gewähren. Ausnahme: Wenn der Existenzbedarf der Klientel bereits mit Leistungen der ersten Säule gedeckt wird und im Rahmen der Ergänzungsleistungen bereits ein Freibetrag zugestanden wurde, ist für die Berechnung der Rückerstattungsforderung kein Freibetrag mehr zu gewähren. Ein Fünfzehntel des Freizügigkeitskapitals ist als Einkommen aufzurechnen. Dabei ist der bereits eingetretene Vermögensverzehr jeweils jährlich zu berücksichtigen.

Wir haben eine Klientin, die ein Freizügigkeitsguthaben von 65'000.- auslösen konnte, aufgrund eines IV-Rentenanspruchs. Sie wurde daraufhin von der Sozialhilfe abgelöst. Die Klientin hat neben der Rente Anspruch auf Ergänzungsleistungen. Die Ergänzungsleistungen gewähren ihr den Vermögensfreibetrag von CHF 30'000.-. Für uns hat sich die Frage gestellt, wie genau wir in diesen Fällen die Rückerstattungspflicht prüfen. Ist es korrekt, dass wir das Freizügigkeitsvermögen abzüglich Freibetrag EL von CHF 30'000.-, d.h. CHF 35'000.- rechnerisch in Einkommen umwandeln, das heisst einen Fünfzehntel als Einnahmen (pro Jahr) aufrechnen und prüfen, ob die Klientin mit der IV-Rente, EL und den Einnahmen aus dem Freizügigkeitsguthaben den anrechenbaren Lebensbedarf (gemäss Ziff. 5.3.3 BKSE Stichwort Rückerstattungspflicht) übersteigt?

Besten Dank für Ihre Antwort. 

Frage beantwortet am

Melanie Studer

Expert*in Sozialhilferecht

Guten Morgen

Wir haben im Beratungsteam die Köpfe zusammengestreckt und ich werde mich in den nächsten Tagen mit einer Antwort melden - es ist in Anbetracht neuerer Rechtsprechung zur Frage der Rückerstattung aus PK-Guthaben etwas genauer hinzuschauen. 

Ich wünsche Ihnen in der Zwischenzeit schon schöne Festtage. 

Beste Grüsse

Frage beantwortet am

Melanie Studer

Expert*in Sozialhilferecht

Guten Tag

Danke für Ihre Geduld.

Zunächst ist wichtig festzuhalten: der Bezug des Freizügigkeitsguthabens gilt i.S. des Rückerstattungsanspruchs nicht als Vermögensanfall. Dies halten die SKOS-RL unterdessen klar fest. Obwohl die Geltung der SKOS-RL für die Rückerstattung im Kanton Bern nicht restlos geklärt ist, ist doch durch die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern anerkannt, dass der Bezug von Freizügigkeitsguthaben eben gerade nicht als Vermögensanfall gilt. Vielmehr diene dieses Guthaben der Sicherung des laufenden Lebensunterhalts. Dies wurde im Übrigen auch durch das Bundesgericht im Zusammenhang mit der Rückerstattung aus Freizügigkeitsguthaben im Kanton Aargau klar festgehalten (vgl. Urteil 8C_441/2021 v. 24. November 2021). Dem trägt grundsätzlich auch das BKSE-Stichwort Rechnung.

In Abweichung von der Empfehlung in den SKOS-Richtlinien, wonach aus Einkommen keine Rückerstattung von Sozialhilfe verlangt werden soll (vgl. SKOS-RL, E.2.1 Abs. 3), wird im Kanton Bern Einkommen zur Rückerstattung der Sozialhilfe herangezogen, wobei sich die gesetzlichen Grundlagen für diesen Fall wiederum an der von den SKOS-RL vorgeschlagenen Berechnung orientieren (vgl. Art. 40 SHG BE und insbesondere Art. 11a SHV Bern). In dieser Hinsicht kann dann auch Freizügigkeitsguthaben – umgerechnet zu Einkommen – zur Rückerstattung herangezogen werden. Entscheidend ist jedoch, dass dabei nicht derart in das Freizügigkeitsguthaben eingegriffen wird, dass es seine Funktion der Existenzsicherung nicht mehr erfüllen kann. Das Bundesgericht hat diesbezüglich festgehalten, es sei sicherzustellen, dass die beschränkte Pfändbarkeit des Guthabens berücksichtigt werde und man hinsichtlich des betreibungsrechtlichen Existenzminimums ermitteln müsse, welche Rente eine Person mit dem erhaltenen Guthaben im Vollzugszeitpunkt unter Beachtung der Lebenserwartung kaufen könnte.

Ihre konkrete Frage, wie das Freizügigkeitsguthaben für die Bestimmung der günstigen wirtschaftlichen Verhältnisse als Einkommen berücksichtigt wird, insbesondere die Frage, ob bei EL-Bezug der durch die EL gewährte Freibetrag auch in der Sozialhilfe zu berücksichtigen ist, bildete ebenfalls Gegenstand verwaltungsgerichtlicher Rechtsprechung des Kantons Berns. Dort wurde festgehalten, die subsidiäre Funktion der Sozialhilfe spreche für die analoge Anwendung der EL-Regel zur Bestimmung des Verzehrs und somit für die Gewährung des Freibetrags, so dass in ihrem Fall nur CHF 35'000, und davon 1/15 als jährliches Einkommen berücksichtigt werden dürfte. Zudem werde damit «das Ziel der beruflichen Vorsorge an der Schnittstelle zwischen Sicherung des Existenzbedarfs und Gewährleistung der gewohnten Lebenshaltung berücksichtigt» (vgl. BVR 2006 S 408, E. 5.3; siehe auch BVR 2010, S. 366).

Insgesamt ist sicherzustellen, dass mit der Rückerstattung nicht wieder eine Sozialhilfeabhängigkeit ausgelöst wird, bzw. dass durch eine allfällige Rückerstattung das Guthaben nicht derart angebraucht wird, als dass es dann nicht mehr zur Sicherung der Existenz zur Verfügung steht und es tatsächlich zur Bestreitung des Lebensunterhalts eingesetzt werden kann.

In einem anderen Fall – ein IV-Rentner mit EL-Anspruch, dem durch die EL ein Freibetrag von CHF 100'000 gewährt wurde – hielt das Verwaltungsgericht fest, hier sei ein erneutes Gewähren des Freibetrags nicht notwendig, bzw. ein verstärktes anzehren des Freizügigkeitsguthabens sei zumutbar. Der Betroffene hatte zur Existenzsicherung Anspruch auf IV-Rente, Kinderrenten und EL. Hier ging es dann jedoch um die Bestimmung, ob überhaupt ein Sozialhilfeanspruch besteht und nicht um die Rückerstattung, jedoch schlussendlich auch um die Frage des zumutbaren Verzehrs von Freizügigkeitsguthaben (BVR 2010, S. 366, E. 5.3)

Entsprechend würde ich dafürhalten vorliegend den Freibetrag, den die EL berücksichtigt hat, ebenfalls zu berücksichtigen und lediglich den verbleibenden Betrag (CHF 35'000) in Einkommen umzurechnen, vor allem sofern keine zusätzlichen (Renten-)Einkommen zur Existenzsicherung vorhanden sind und die (ehem.) Klientin auf das Freizügigkeitsguthaben angewiesen ist, was ein weitergehendes "Anzehren" der Freizügigkeitsguthaben unzumutbar machen würde. Die Formulierung des BKSE-Stichworts lässt dieses Vorgehen zu. Schliesslich bleibt zu prüfen, ob eine allfällige Rückerstattung tatsächlich auch zumutbar ist. Mit Blick auf die neue bundesgerichtliche Rechtsprechung wäre zudem zu prüfen, ob mit dieser Berechnungsart die beschränkte Pfändbarkeit des Freizügigkeitsguthabens berücksichtigt wird; dies sollte nach meiner Einschätzung der Fall sein. Es ist jedoch fraglich, ob die Teilung des Guthabens durch 15 in jedem Fall zu diesem Resultat führt – v.a. bei jüngeren Personen. Jedenfalls spricht auch dies für die Gewährung des Freibetrags, den die EL auch gewährt hat.

Fraglich ist, ob eine solche Umwandlung in Erwerbseinkommen in Anbetracht der SKOS-RL überhaupt zulässig ist. Meines Erachtens ist dies zu bejahen. Die SKOS-RL halten lediglich fest, der Bezug von Freizügigkeitsguthaben dürfe nicht als Vermögensanfall betrachtet werden. Die Bernische Regelung berücksichtigt das Freizügigkeitsguthaben ja gerade nicht als Vermögensanfall – was i.S. der SKOS-RL– sondern wird dem Zweck des Guthabens durch die Umrechnung in Einkommen Rechnung getragen. Eine andere Betrachtung wäre m.E. nicht sachgerecht, würde sie doch dazu führen, dass bei einer Person, die eine (Alters-)Rente aus der 2. Säule bezieht, diese unzweifelhaft als Einnahme zur Bestimmung der wirtschaftlich günstigen Verhältnisse herangezogen würde, bei einer Person, die das Kapital bezogen hat, jedoch nicht.

Ich hoffe, das hilft Ihnen weiter.

Beste Grüsse

Melanie Studer