Guten Tag
Meine Klientin, 52 Jahre alt, hat ihren Wohnsitz seit September 2019 im Kanton Luzern. Vorher wohnte sie im Kanton Aargau. Bis im Oktober 2019 bezog sie eine halbe IV-Rente und wirtschaftliche Sozialhilfe. Die volle Rente wurde rückwirkend per Oktober 2019 ausbezahlt. In der Gemeinde im Aargau beträgt die WSH-Schuld rund 40'000CHF.
Im August 2020 wurde die Erbschaft des verstorbenen Vaters (Todesdatum 7.04.2019) ausbezahlt. Der Betrag betrug Fr. 13'983.81. Der Vermögensstand betrug am 29.09.2020 16'211.44.
Nun fordert die Aargauer Gemeinde die Rückerstattung gemäss Art. 26 Abs. 1 ZUG.
Meine Aklärungen beim Kanton Aargau ergaben, dass gemäss §20 Abs, 1 und 2 SPV der Vermögensfreibetrag für eine Person Fr. 5'000.-- beträgt und ich wurde an den zum jetzigen Wohnsitz übergeordneten Kanton verwiesen. Die Abklärungen beim Departement Gesundheit und Soziales, Kanton Luzern, Dienststelle Gesundheit und Soziales sowie bei der SKOS haben bezüglich Vermögensfreibetrag bei der Rückerstattung infolge einer Erbschaft ergeben, dass der Vermögensfreibetrag bei 25‘000CHF für eine Einzelperson liegt (§38 Abs. 1 SHG). Da die Erbschaft rund 14'000.—beträgt, sei diese Summe der Klientin zu belassen. Eine Rückforderung von rechtmässig erhaltener Sozialhilfe könne nicht gefordert werden.
Die aargauer Gemeinde beharrt auf der Rückerstattungspflicht bis auf den Vermögensfreibetrag von 5'000Fr.
Wie sehen Sie das? Welche weiteren Möglichkeiten habe ich?
Zudem veranlasste die betreffende Gemeinde die Erbteilung voranzutreiben, um die WSH-Schulden möglichst rasch abzuzahlen. Dafür beauftragte die Gemeinde die vorherige Beistandsperson ein Sicherungsinventar zu erstellen und die Erbteilung (Kanton Zürich) vornehmen zu lassen. Für das Sicherungsinventar, etc. wurden Kosten von insgesamt 400.00Fr. generiert. Die aargauer Gemeinde beharrt darauf, dass die Kosten von den Erben übernommen werden müssten. Die Erbteilung erfolgte aber nicht durch das von der vorherigen Beistandsperson beauftragte Notariat.
Aus meiner Sicht müsste die aargauer Gemeinde im Sinne der veranlassten Prüfung/Erstellung eines Sicherungsinventar für die Kosten aufkommen.
Wie sehen Sie das?
Besten Dank für die Rückmeldung.
Frage beantwortet am
Anja Loosli
Expert*in Sozialhilferecht
Sehr geehrte Frau Gloor
Vielen Dank für Ihre Fragen. Ich beantworte diese gerne wie folgt:
1. Rückerstattungspflicht
Die Rückerstattungspflicht ist im Kanton Aargau in § 20 des Sozialhilfe- und Präventionsgesetzes (SPG AG) geregelt. Dort steht in § 20, dass die Unterstützungsleistungen rückerstattungspflichtig werden, wenn die wirschaftlichen Verhältnisse sich soweit gebessert haben, dass die Rückerstattung ganz oder teilweise zumutbar ist. In § 10 Abs. 1 der Sozialhilfe- und Präventionsverordung (SPV AG) steht zwar, dass für die Bemessung der wirtschaftlichen Hilfe die SKOS-Richtlinien, Stand 2005, massgebend seien, jedoch nur soweit, als dass im SPG AG oder seinen Ausführungserlassen keine Abweichungen enthalten sind. In § 20 Abs. 2 SPV AG als Ausführungserlass des SPG AG steht, dass der Vermögensfreitbetrag für jede Person Fr. 5'000.-- betrage, höchsten Fr. 15'000.-- für eine Unterstützungseinheit. Daraus folgt, dass die wirtschaftlichen Verhältnisse sich nach den Rechtsgrundlagen im Kanton Aargau dann soweit gebessert haben, dass eine Rückerstattung zumutbar ist, wenn das Vermögen bei einer Einzelperson auf über Fr. 5'000.-- angestiegen ist. Dies bestätigt denn auch das Verwaltungsgericht mit seinem Entscheid vom 22.12.2005: Wichtig dabei ist, nur der Fr. 5'000.-- übersteigende Betrag darf abgeschöpft werden. Ebenfalls sehr wichtig im Zusammenhang mit dem genannten Entscheid ist, dass die Schranke von Fr. 5'000.-- durch eine Vereinbarung aufgehoben wird. Es ist deshalb sehr wichtig, keine Vereinbarung zu treffen und auf eine Verfügung zu bestehen.
Fazit: Rechtlich gesehen kann die Gemeinde ca. Fr. 9'000.-- (Fr. 14'000.-- - Fr. 5'000.--) zurückverlangen (Ich gehe aufgrung Ihrer Sachverhaltsschilderung davon aus, dass es eine Einzelperson betrifft). Wichtig scheint mir jedoch, keine Vereinbarung zu treffen, sondern die Gemeinde die Rückerstattung verfügen zu lassen.
2. Kosten für das Sicherungsinventar
Ich bin der Meinung, dass es eine direkte oder indirekte gesetzliche Grundlage braucht, damit diese Kosten auf die Klientin überwälzt werden dürfen. Weder im SPG AG noch in der SPV AG lässt sich im Zusammenhang mit der Rückerstattung eine Bestimmung finden, die die Sozialhilfe direkt oder indirekt ermächtigt, die Rückerstattung aufgrund einer Erbschaft mittels Sicherungsinventar zu sichern bzw. voranzutreiben und dies zulasten der rückerstattungspflichtigen Person. Ebenfalls finde ich keinen entsprechenden Hinweis im Sozialhilfehandbuch des Kantons Aargau.
Es kommt hinzu, dass die Aufnahme des Sicherungsinventar nach Art. 553 Abs. 1 des Zivilgesetzbuches (ZGB) nur unter gewissen Vorausetzungen erfolgt, unter anderem wenn einer der Erben dies verlangt oder die Erwachsenenschutzbehörde oder ein volljähriger Erbe unter umfassender Beistandschaft steht (Art. 553 Abs. 1 Ziff. 3 un4 ZGB). Sie schreiben, dass die Gemeinde damit die vorherige Beistandsperson beauftragt hat. Wenn diese Person im Zeitpunkt der Beantragung des Sicherungsinventars nicht mehr Beiständin war, so sind die Voraussetzungen für die Erstellung eines Sicherungsinventars nicht erfüllt. Aber auch wenn sie nach wie vor Beiständin ist oder in diesem Zeitpunkt war, ist sie nicht die Erwachsenenschutzbehörde und damit nur legitimiert, im Namen der ehemaligen Klientin ein Sicherungsinventar zu verlangen, wenn eine umfassende Beistandschaft besetht. In diesem Fall müsste die Rechnungsstellung aber nicht über die Sozialhilfe sondern direkt über die Beistandschaft gehen.
Es stellt sich die Frage, ob das Sicherungsinventar als sonstige rechtliche Sicherungsmassnahme zur Sicherung der Rückerstattung betrachtet werden kann. So kennt das Schuldbetreibungs- und Konkursgesetz (SchKG) diverse Sicherungsmassnahmen (Art. 98ff. SchKG). Dies muss jedoch verneint werden, da die Gemeinde sich aktuell (noch) nicht im Betreibungs- bzw. Pfändungsverfahren befindet und zudem das Sicherungsinventar ein Institut des Erbrechts und nicht des Pfändungsrechts ist.
Schliesslich sehe ich auch keine Möglichkeit, die Kosten für die Erstellung des Sicherungsinventars als auf die Klientin überwälzbare situationsbedingte Leistungen der Sozialhilfe einzustufen, da die Klientin im heutigen Zeitpunkt von der Sozialhilfe der fraglichen Gemeinde im Kanton Aargau abgelöst ist und keine Leistungen mehr bezieht, sondern es sich vielmehr ausschliesslich um einen Versuch handelt, eine Rückforderung der Sozialhilfe zu sichern.
Fazit: Ich ersehe keine rechtliche Grundlage, die die Sozialhilfe ermächtigt, im Namen der ehemaligen Klientin auf deren Kosten ein Sicherungsinventar zu verlangen. Zudem ist die Wahrscheinlichkeit gross, dass die "vorherige" Beiständin im Zeitpunkt der Beantragung des Sicherungsinventars dazu nicht mehr bevollmächtigt war und die Kosten dafür auch deshalb nicht auf die Klientin überwälzt werden können.
Ich hoffe, Ihnen mit meiner Antwort weiterhelfen zu können. Gerne können Sie Nachfragen stellen.
Freundliche Grüsse
Anja Loosli Brendebach
Guten Tag
Besten Dank für die gute Abhandlung. Da ist mir der Unterschied einer Vereinbarung und der Verfügung nicht ganz klar. Was würde in diesem Fall eine Vereinbarung bedeuten?
Frage beantwortet am
Anja Loosli
Expert*in Sozialhilferecht
Guten Tag Frau Gloor
Vielen Dank für Ihre Nachfrage. Ich beantworte diese gerne wie folgt:
Bei einer Vereinbarung unterzeichnet sowohl die Sozialhilfe (bzw. eine Vertreterin dieser) wie auch die (ehemalige) Klientin, dass die Klientin der Sozialhilfe eine bestimmte Summe schuldet und diese zurückerstatten wird. Vereinbart die (ehemalige) Klientin die Rückzahlung eines Betrages, der in den Freibetrag eingreift, ist dies gemäss der aargauischen Rechtsprechung möglich. Gegen eine Vereinbarung kann die Klientin zudem kein Rechtsmittel einlegen und z.B. die Rechtmässigkeit der vereinbarten Summe von einer Rechtsmittelinstanz überprüfen lassen. Sie muss die vereinbarte Summe zurückbezahlen, auch wenn diese sich nachträglich als falsch herausstellt. Sie kann nur mit der Sozialhilfe verhandeln, ob diese einverstanden ist, die Summe zu reduzieren. Bleiben die Verhandlungen erfolglos, bleibt es bei der vereinbarten Summe. Die (ehemalige) Klientin kann vor Gericht nur geltend machen, sie habe sich beim Abschluss der Vereinbarung in einem wesentlichen Irrtum befunden und der Vertrag sei für sie deshalb unverbindlich. Ob sie damit erfolgreich ist, kann jedoch meist nicht abgeschätzt werden.
Eine Verfügung stellt dagegen eine einseitige behördliche Anordnung dar. Die Behörde muss den Freibetrag beachten. Tut sie dies nicht oder scheint die Verfügung aus anderen Gründen rechtlich nicht korrekt, kann von der von der Verfügung betroffenen Person immer innert Frist ein Rechtsmittel eingereicht und die Verfügung von der Rechtsmittelinstanz auf ihre Rechtmässigkeit hin überprüft werden.
Die Verfügung ist deshalb meiner Ansicht nach vorteilhafter für (ehemalige) Klienten der Sozialhilfe. Sie laufen nicht Gefahr, aus Unkenntnis oder Respekt vor der Behörde eine für sie unvorteilhafte Verpflichtung einzugehen.
Ich hoffe, Ihnen mit meiner Antwort weiterhelfen zu können.
Freundliche Grüsse
Anja Loosli Brendebach