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Rückerstattung WSH

Veröffentlicht:
25.08.2023
Kanton:
Luzern
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Ein KL hat in den Jahren 2012 - 2023 WSH bezogen. Nun wurde ihm rückwirkend ab 2015 eine volle IV-Rente zugesprochen wie auch Ergänzungsleistungen. 

Die rückwirkend erbrachten Leistungen der IV- und EL in den Jahren 2015 - 2023 wurden mit der WSH periodengerecht verrechnet. Trotz der Verrechnung kam es zu einer Nachzahlung an den KL von rund 200'000 CHF auf sein Konto. 

Die Einwohnergemeinde fordert den KL jetzt auf, die im Jahr 2012 - 2015 ausgerichtete WSH zurückzuerstatten, da sich seine finanzielle Lage gebessert habe und dies zumutbar sei. 

 

Meine Frage:

Stellt die Nachzahlung der EL einen Vermögensanfall gemäss E2.1 SKOS dar, obwohl sie sich eigentlich aus Ersatzeinkommen und ergänzenden Leistung für die Jahre 2015-2023 zusammensetzt? 
Ist die Forderung der EWG deshalb legitim und der KL lebt tatsächlich in günstigen finanziellen Verhältnissen?

Frage beantwortet am

Melanie Studer

Expert*in Sozialhilferecht

Guten Abend 

Besten Dank für Ihre Frage. Bei den Recherchen zur Beantwortung bin ich auf ein paar Punkte gestossen, die ich gerne noch vertiefter abkläre, bevor Sie in wenigen Tagen eine ausführlichere Antwort erhalten. Ich danke Ihnen für die Geduld. 

Beste Grüsse

Frage beantwortet am

Melanie Studer

Expert*in Sozialhilferecht

Guten Tag

Vielen Dank für Ihre Geduld. Ich versuche Ihre Frage auf der Grundlage des geltenden Rechts des Kantons Luzern zu beantworten. Der Kanton Luzern sieht in § 38 Abs. 1 SHG vor, dass rechtmässig bezogene Sozialhilfeleistungen soweit zurückzuerstatten sind, als sich die finanzielle Lage der hilfebedürftigen Person gebessert hat und ihr die Rückerstattung zumutbar ist. Bei der Frage, wann sich eine finanzielle Lage gebessert hat, richtet sich der Kanton Luzern nach den SKOS-RL, womit grundsätzlich eine verbesserte Lage anzunehmen ist, wenn eine Einzelperson über Vermögen über CHF 30'000 verfügt. Der Gesetzeswortlaut schliesst auch eine Rückerstattung aus Erwerbseinkommen nicht aus. Bei einer allfälligen Rückerstattung aus Einkommen wäre von der «grosszügigigen Grenze» basierend auf dem doppelten Grundbedarf gem. den Erläuterungen b zu den SKOS-RL E.2.1 auszugehen. So lässt sich zumindest der Verweis im Luzerner Handbuch auf die entsprechende SKOS-RL interpretieren (siehe auch Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Luzern, LGVE 2011 II Nr. 15, 13.01.2011, wonach grundsätzlich auch aus späterem Erwerbseinkommen Sozialhilfe zurückzuerstatten ist). In beiden Fällen steht der Behörde jedoch ein Ermessensspielraum zu: die Rückerstattung ist nur dann einzufordern, wenn sie auch zumutbar ist.

Weiter ist wirtschaftliche Sozialhilfe, die als Vorschuss im Hinblick auf Leistungen einer Sozialversicherung (…) während einer Zeitspanne gewährt wird und für die rückwirkende Leistungen entrichtet werden (§ 38 Abs. 4 SHG).

In der von Ihnen geschilderten Konstellation ist erstens meines Erachtens klar, dass die Nachzahlung im Anschluss an die periodengerechte Verrechnung nicht ebenfalls als bevorschusste Leistung im Sinne von § 38 Abs. 4 SHG herangezogen werden kann. Eine direkte Verrechnung wäre zudem auch unzulässig, da eine Abtretung von Leistungen der EL oder IV nur für zeitlich kongruente Leistungen möglich ist (vgl. dazu auch VerwG Aargau, Urteil WBE.2017.252 v. 28.08.2017, E. 3.1)

 Somit stellt sich korrekterweise (einzig) die von Ihnen aufgeworfene Frage stellt, ob diese Nachzahlung zu günstigen finanziellen Verhältnissen führt und dem Klienten somit die Rückerstattung gem. § 38 Abs. 1 SHG zumutbar ist.

Ich habe zu dieser Frage in der Rechtsprechung recherchiert. Ein Urteil aus dem Kanton Luzern habe ich leider nicht gefunden.

Jedoch äussert sich die Rechtsprechung anderer Kantone zur Frage; allerdings nicht ganz einheitlich.

  • Das Verwaltungsgericht des Kantons Aargau hielt mit Urteil vom 27. August 2017 fest, dass die Nachzahlung von Sozialversicherungen als vermögensbildend betrachtet werden können. Dabei wurde allerdings die Vermögensentwicklung nach der Nachzahlung der Sozialversicherungsleistungen mitberücksichtigt. Konkret war es dem ehemaligen Sozialhilfeempfänger in diesem Fall möglich, die Nachzahlung nicht für den Lebensunterhalt anzutasten und sogar zusätzlich weiter zu sparen (VerwG Aargau, Urteil WBE.2017.252 v. 28.08.2017, E. 3.3-3.4). Die Rückerstattung aus der Nachzahlung wurde sodann vom Gericht geschützt, wobei zu berücksichtigen ist, dass es hier um wesentlich tiefere Beträge ging als im von Ihnen geschilderten Fall. Das Sozialhilfe- und Präventionsgesetz des Kantons Aargau sieht vor, dass wer materielle Hilfe bezogen hat, rückerstattungspflichtig ist, «wenn sich die wirtschaftlichen Verhältnisse so weit gebessert haben, dass eine Rückerstattung ganz oder teilweise zugemutet werden kann.» (§ 20 SPG AG, SAR 851.200). Es ist also eine Formulierung, die derjenigen in Luzern ähnelt, wobei in der Verordnung zum SPG von den SKOS-RL abweichende, tiefere Vermögens- und Einkommensgrenzen festgelegt werden (§ 20 SPV AG, SAR 851.211).
  • Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich hielt in einem Einzelrichterurteil vom Juni 2019 fest, dass Sozialversicherungsleistungen, die keine Pauschalentschädigungen darstellen, sondern (wie eben IV-Renten und EL) für bestimmte Zeiträume ausbezahlt werden und der Abgeltung des Erwerbsausfalls und zur Deckung des Lebensunterhalts dienen, nicht als Vermögensanfall qualifiziert werden. Eine Rückerstattung aus diesen Nachzahlungen sei – analog zu einer Rückerstattung aus Arbeitsleistung – lediglich dann möglich, wenn sie zu «derart günstigen Verhältnissen führen, dass ein Verzicht auf die Rückerstattung (…) geradezu unbillig erscheint» (VerwG des Kantons Zürich, VB.2018.00816 v. 03.06.2019, E. 3.2; vgl. auch § 27 lit. b SHG ZH, 851.1).

Was bedeutet dies für Ihren Fall im Kanton Luzern? Die Rechtslage von Luzern ähnelt eher derjenigen im Kanton Aargau. Nach der Formulierung des von § 38 Abs. 1 SHG würde sich somit die Frage stellen, ob die Rückerstattung zumutbar ist, und zwar sowohl wenn man sich an die Zürcher als auch an die Aargau Rechtsprechung anlehnt: es wäre zu klären, ob die Nachzahlung vermögensbildend wirkte. Braucht der Klient das Geld laufend oder bleibt es einfach auf dem Konto stehen?

Hier wäre z.B. mitzuberücksichtigen, ob der Klient noch Schulden aus der Zeit des Leistungsbezugs zu begleichen hat; musste er da beispielsweise Kleinkredite aufnehmen oder hat sich sonst stark in der Lebensgestaltung eingeschränkt? Sollte die Nachzahlung als Vermögensbildend gewertet werden, wäre jedenfalls der Vermögensfreibetrag in Abzug zu bringen und mit weiteren Überlegungen zur Zumutbarkeit der Rückerstattung gemacht werden, die allenfalls den Umfang der Rückerstattungsforderung auch gegen unten beeinflussen können. Ein Aspekt, der dabei auch einfliessen müsste, wäre meines Erachtens, dass der Klient hier nicht «bestraft» werden soll für das überaus lange IV-Verfahren. Wäre ihm die Rente bereits früher zugesprochen worden, wäre die Nachzahlung auch geringer ausgefallen und somit hätte sich die Frage der Rückerstattung kaum gestellt. Einerseits hätte man dann nicht von günstigen Verhältnissen ausgehen können und andererseits wäre wohl die Rückerstattung von wenigen 1'000.- Franken eher nicht als zumutbar betrachtet worden. Würde die Nachzahlung als Einkommen betrachtet, stellt sich auch da die Frage der Zumutbarkeit der Rückerstattung unter Berücksichtigung der Frage, ob die Verhältnisse denn nun als günstig zu beurteilen sind.

Zudem stellt sich eine weitere zentrale Frage, in Analogie zur neuen Bundesgerichtsrechtsprechung zur Rückerstattung aus vorbezogenen Guthaben der 2. Säule (diese wird in diesem SKOS-Merkblatt zusammengefasst). Nämlich ob die Vorschriften des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts (SchKG) zur Unpfändbarkeit einer Rückerstattung im Wege stehen. Denn in diesem Punkt scheint mir der oben erwähnte Entscheid des Kantons Aargau überholt, der ausführt, dass die Regeln des SchKG keinen Einfluss auf das sozialhilferechtliche Rückerstattungsrecht haben. Denn das Bundesgericht hielt zumindest fest, dass der (beschränkte) Pfändungsschutz des Vorsorgeguthabens bei der betreibungsrechtlichen Durchsetzung der Forderung greifen würde. Daraus leitet die SKOS im erwähnten Merkblatt ab, es erscheine nicht sinnvoll, die Rückerstattung zu verlangen.

Nun stehen Renten der IV und EL nicht nur unter einem beschränkten Pfändungsschutz, sondern sind diese Leistungen gem. Art. 92 Abs. 1 Ziff. 9a SchKG gänzlich unpfändbar. Ob und inwieweit sich diese Unpfändbarkeit auch auf Rentennachzahlungen bezieht, ist in der Literatur nicht ganz eindeutig beantwortet: eine Lehrmeinung sagt, dass Nachzahlungen «im ersten Moment wohl noch unter die Unpfändbarkeitsbestimmung» fallen. Sollte das Geld jedoch über eine bestimmte Zeit nicht gebraucht werden, gelte es als angespart und wird somit pfändbar (Winkler Thomas, in: Kren Kostkiewicz/Vock (Hrsg.), Kommentar zum Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, 4. Aufl., Zürich 2017, N 63 zu Art. 92 SchKG). Eine weitere Meinung schliesst die Nachzahlungen kategorischer von der Pfändung aus, hält dann aber auch dafür, dass «Rentennachzahlungen, die vom Schuldner während längerer Zeit nicht verzehrt werden» pfändbar werden (BSK SchKG-Vonder Mühl, N 38 zu Art. 92 SchKG). Welche Zeitspannen mit «längerer Zeit» oder «im ersten Moment» gemeint sind, wird nicht weiter präzisiert. Auch im Sozialversicherungsrecht wurde die Frage durch das Bundesgericht noch offengelassen, inwiefern bei der Verrechnungen von nachträglich eingegangen Leistungen auf das betreibungsrechtliche Existenzminimum Rücksicht zu nehmen ist, falls für den Zeitraum, für den die Sozialversicherungsleistungen ausgerichtet werden, Sozialhilfe ausgerichtet wurde (vgl. BGE 136 V 286, E. 8.3).

Auch dies spricht dafür, dass die Einwohnergemeinde zumindest näher abklären muss, wie es um die aktuellen Lebensverhältnisse des Klienten steht und wie und ob er die Nachzahlung auch für seinen laufenden Lebensunterhalt einsetzt, eben beispielsweise auch um Schulden zurückzuzahlen, die er während dem Sozialhilfebezug angehäuft hat.

Die Einwohnergemeinde hat jedenfalls eine allfällige Verfügung über diese Rückerstattung sorgfältig zu begründen: wieso wird die Rückerstattung jetzt und in welchem Umfang als zumutbar angesehen? Eine Rückerstattungsforderung kurz nach der Rentennachzahlung und in vollem Umfang der Nachzahlung liesse sich meines Erachtens nur schwer begründen und schliesslich ist auch die (betreibungsrechtliche) Durchsetzung fraglich. Für den Klienten könnte sich das Ergreifen der entsprechenden Rechtmittel lohnen, sobald die Rückerstattung verfügt wurde, da, wie sie meinen Ausführungen entnehmen können, keine ganz klare Antwort möglich ist und sich Fragen stellen, die noch nicht Gegenstand der luzernischen Rechtsprechung waren.

Ich hoffe, das hilft Ihnen weiter. 

Freundliche Grüsse

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