Ausgangslage:
Eine in X steuerpflichtige Person wird von ihrem verstorbenen Bruder für das Freizügigkeitskapital zu 50% begünstigt. Das Erbe hat Sie ausgeschlagen. Der verstorbene Bruder, Jg. 1959, wohnte in einer anderen Aargauischen Gemeinde (Y) und bezog Sozialhilfe.
Frage:
Gemäss §§20 SPG und SPV stellt nun die Wohngemeinde Y des verstorbenen Bruders der in der Gemeinde X wohnhaften Schwester eine Aufforderung, die bezogenen Sozialhilfegelder mit dem Erhalt des Pensionskassengeldes zu tilgen. Sie bezieht sich auf die genannten Paragraphen laut Gesetz.
Ist die Schwester, obwohl diese das Erbe zivilrechtlich ausgeschlagen hat, rückzahlungspflichtig? Wenn ja, die Schwester hat in ihrer Wohnortgemeinde alte Verlustscheinschulden. Diese wäre Sie bereit zu zahlen. Es stellt sich die Frage, wie diese Forderungen zu gewichten sind. Beides wären 3. Klasse-Forderungen.
Herzlichen Dank und freundliche Grüsse
Eva Bühler
Frage beantwortet am
Anja Loosli
Expert*in Sozialhilferecht
Sehr geehrte Frau Bühler
Vielen Dank für Ihre Frage. Ich beantworte diese gerne wie folgt:
Wie Sie ausgeführt haben, sind Erbinnen und Erben der unterstützten Person nach § 20 Abs. 3 des Sozialhilfe- und Präventionsgesetzes des Kantons Aargau (SPH AG) höchstens im Umfang der empfangenen Erbschaft, soweit sie dadurch bereichert sind, zur Rückerstattung verpflichtet. Im Sozialhilfehandbuch des Kantons Aargau wird unter Kapitel 20.3.2 (Rückerstattung/Rückerstattungspflicht von Dritten/Begünstigte Freizügigkeitsleistungen) festgehalten, dass Leistungen der beruflichen Vorsorge (zweite Säule) beim Tod der Erblasserin bzw. des Erblassers nicht in den Nachlass – also die Erbschaft – fallen, sondern selbständige reglementarische beziehungsweise gesetzliche Ansprüche der begünstigten Person darstellen (Art. 2 Freizügigkeitsgesetz, FZG und Art. 13 i.V.m. Art. 15 Freizügigkeitsverordnung, FZV). Daraus wird im Sozialhilfehandbuch des Kantons Aargau aber irritierenderweise nicht der Schluss gezogen, dass mit dem Ableben der (ehemals) unterstützen Person fällig gewordenen Kapitalleistungen der beruflichen Vorsorge nicht rückerstattungspflichtig sind. Vielmehr wird der Schluss gezogen, dass die begünstigten Personen höchstens im Umfang der Kapitalleistung der Freizügigkeitsleistung rückerstattungspflichtig ist.
Im Sozialhilfehandbuch des Kantons Aargau wird korrekterweise festgehalten, dass aufgrund des Todes einer Person fällig gewordene Vorsorgekapitalleistungen nicht in die Erbschaft fallen. In dem von Ihnen geschilderten Fall hat die betroffene Person die Erbschaft denn auch ausgeschlagen und das Freizügigkeitskapital dennoch erhalten bzw. soll es erhalten. Sie erhält das Kapital demnach nicht als Erbschaft sondern aufgrund der Bestimmungen der FZV und/oder des Reglements der Vorsorgeeinrichtung erhalten. Sie hat folglich einen direkten rechtlichen Anspruch auf diese Leistung, ohne die Erbschaft annehmen zu müssen. Das Geld stellt deshalb keine „empfangene Erbschaft“ nach § 20 Abs. 3 SPG AG dar und kann nicht gestützt auf diese Bestimmung zurückgefordert werden.
Fazit: Zwar besteht im Kanton Aargau gemäss Handbuch offenbar die Praxis, dass Kapitalleistungen der beruflichen Vorsorge von Erben von (ehemals) unterstützten Personen zurückgefordert werden. Diese Praxis ist meiner Meinung nach aber klar gesetzeswidrig und verstösst gegen § 20 Abs. 3 SPG AG.
Ich empfehle Ihnen bzw. der betroffenen Person deshalb, sich das Kapital auszahlen zu lassen, unter keinen Umständen eine Vereinbarung betreffend Rückerstattung zu unterzeichnen und sich gegen eine allfällige Rückerstattungsverfügung auf dem Rechtsweg zu wehren.
Ich hoffe, Ihnen mit dieser Antwort weiterhelfen zu können.
Freundliche Grüsse
Anja Loosli Brendebach