Guten Tag
Eine Klientin und ihre Kinder konnten infolge Erbschaft einer höheren Summe von der Sozialhilfe abgelöst werden.
Nun geht es darum, den rückerstattungspflichtigen Betrag der Sozialhilfe zu ermitteln. Dabei stellen sich folgende Fragen:
- Ist in einem solchen Fall die wirtschaftliche Hilfe für die Kinder auch nicht rückerstattungspflichtig (Art. 43 Abs. 2 Bst. a Sozialhilfegesetz SHG)? Oder handelt es sich hier eventuell um eine Bevorschussungssituation und die erbrachten Leistungen sind vollumfänglich zurückzuerstatten?
- Ist die Sozialhilfe über die ganze Unterstützungszeit rückerstattungspflichtig oder erst ab Todestag des Erblassers/der Erblasserin, also ab Zeitpunkt des Vermögenanfalls?
- Bei der Berechnung sind die Vermögensfreibeträge zu beachten. Sind weitere wichtige Punkte/gesetzl. Vorschriften zu beachten?
Vielen Dank für die Beantwortung der Fragen.
Freundliche Grüsse
Susanne Longaron
Frage beantwortet am
Ruth Schnyder
Expert*in Sozialhilferecht
Guten Abend Frau Longaron
Gerne beantworte ich Ihre Anfrage mit Blick auf die Thematik der Rückerstattungspflicht durch eine Erbschaft.
- Art der Rückerstattung
Erbt eine Klientin, dann spricht man von einem Vermögensanfall, wodurch sie in besser wirtschaftliche Verhältnisse gelangt, vorausgesetzt das Erbe überschreitet die Vermögensfreibeträge gemäss Art. 11b Abs. 3 SHV BE. D.h. es handelt sich um den Fall von Art. 40 Abs. 1 SHG BE. Die Rückerstattung erfolgt ausschliesslich unter diesem Titel, wenn die Klientin sich im Zeitpunkt des Todesfalls von der Sozialhilfe ablösen kann. Gewöhnlich ist das Erbe zu diesem Zeitpunkt noch nicht liquid. Die Erben erwerben aber dennoch das Erbe mit dem Tod des Erblassers bzw. der Erblasserin (Art. 560 ZGB). Insoweit verfügt die Klientin ab Todestag über Vermögen, das aber noch nicht realisierbar ist. Insoweit findet die Rückerstattung im Zeitraum zwischen Todestag und der Ablösung unter dem Titel von Art. 40 Abs. 2 SHG BE statt.
- Rückerstattungspflicht WSH für die Kinder
Nach Art. 43 Abs. 2 lit. a SHG BE entsteht kein Rückerstattungsanspruch für wirtschaftliche Hilfe, die während der Unmündigkeit oder bis zum Abschluss der ordentlichen Erstausbildung rechtmässig bezogen worden ist. Diese Regelung betrifft aber nur Rückerstattungsforderungen nach Art. 40 Abs. 1 SHG BE, also aufgrund verbesserter wirtschaftlicher Verhältnisse, und nicht solche nach Art. 40 Abs. 2 bis 4 SHG BE (vgl. dazu Verwaltungsgericht des Kt. Bern 200 16 683 vom 20.9.16 E. 3.4 in Bezug auf die zweite Ausnahme Art. 43 Abs. 2 lit. b SHG BE, was analog für lit. a gilt).
Dieser Ausschluss der Rückerstattungspflicht bezieht sich meiner Meinung nach nicht nur auf die Kinder selber, sondern auch auf die Eltern. Denn es geht um die Art der Hilfe, die erbracht wurde und unter dem Titel von Art. 40 Abs. 1 SHG BE nicht zurückgefordert werden darf, unabhängig davon, wer rückerstattungspflichtig ist.
- Umfang der Rückerstattung
- Nach Art. 40 Abs. 1 SHG BE «verbesserte wirtschaftliche Verhältnisse»:
Wie oben erwähnt, ist die vor dem Todestag bezogene wirtschaftliche Hilfe nach Art. 40 Abs. 1 SHG BE zurückzuerstatten. D.h. die gesamte Erbschaft, welche über dem Vermögensfreibetrag nach Art. 11b Abs. 3 SHV BE liegt, ist für die Rückerstattung der vor dem Todestag bezogenen wirtschaftlichen Hilfe heranzuziehen. Sachliche Beschränkungen gibt es Folgende:
- Keine Rückerstattung WSH für Kinder (Art. 43 Abs. 1 lit. a SHG BE, wie erwähnt), beachte dazu ausserdem Art. 11a SHV BE
- Keine Rückerstattung WSH während der Dauer der Teilnahme an einer Integrationsmassnahme (Art. 43 Abs. 1 lit. b SHG BE)
- Keine Rückerstattung WSH für Kosten von institutionellen Leistungsangeboten, soweit diese den Grundbedarf übersteigt (Art. 43 Abs. 1 SHG BE)
Ferner ist auch das BKSE-Handbuch unter dem Stichwort «Rückerstattungspflicht», Ziff. 4.3.2 zu beachten: Abzug ausgewiesener Schulden und Steuern.
- Nach Art. 40 Abs. 2 SHG BE «Bevorschussung nicht liquide Erbschaft»:
Wie oben erwähnt, ist die nach dem Todestag bis zur Ablösung bezogene Erbschaft unter diesem Titel zurückzufordern, dabei wird kein Freibetrag gewährt, da es sich um eine Bevorschussung handelt und sich Art. 11b SHV BE nur auf die verbesserten wirtschaftlichen Verhältnisse, also Art. 40 Abs. 1 SHG BE bezieht.
Für den Umfang der Rückerstattung ist ebenfalls Art. 43 Abs. 1 SHG BE zu beachten. Ferner ist auch das BKSE-Handbuch unter dem Stichwort «Rückerstattungspflicht», Ziff. 4.4., zu beachten.
In beiden Fällen sind meiner Meinung nach auch die Hinweise der SKOS-RL zur Rückerstattung zu zu berücksichtigen, auch wenn die SKOS-RL gemäss SHV BE für die Ausrichtung und Bemessung verbindlich sind (Art. 8 Abs. 1 SHV BE) und nicht explizit auch für die Rückerstattung. Die SKOS-RL regeln die «Ausgestaltung und Bemessung der Sozialhilfe» (siehe Impressum), wozu denn auch die Rückerstattung zählt. Auch das BKSE-Handbuch führt die SKOS-RL zum Thema Rückerstattung unter den rechtlichen Grundlagen zur «Rückerstattungspflicht» auf. Relevant ist SKOS-RL E.2.4, worauf ich hiermit verweise.
- Wichtige wesentliche Punkte im Zusammenhang mit der Rückerstattung
Es ist das Verfahren gemäss Art. 44 SHG zu beachten, insb. die Vereinbarung über Rückerstattungsmodalitäten. Bemerkung: Meines Erachtens umfassen die «Modalitäten» nicht die Rückerstattung an sich. Die Rückerstattung selber ist meiner Meinung stets zu verfügen. Mit Modalitäten können bspw. die Ratenzahlungen gemeint sein.
Ausserdem ist stets die Verjährung nach Art. 45 SHG BE zu beachten.
Zu guter Letzt wäre auf allfälligen Antrag der Klientin ein Erlassgesuch zu prüfen (Art. 43 Abs. 3 SHG BE), wobei ich bei einer Erbschaft keinen Raum für die Annahme eines Härtefalls sehe (dazu Art. 11c SHV BE).
Ich hoffe, Ihnen mit dieser Antwort Ihre Fragen beantwortet zu haben.
Freundliche Grüsse
Ruth Schnyder
Guten Tag Frau Schnyder
Herzlichen Dank für die Beantwortung meiner Fragen.
Nun habe ich noch zwei Anschlussfragen:
Aus Ihrer Antwort schliesse ich, dass es sich im betreffenden Fall um einen Fall von Art. 40 Abs. 2 SHG BE "Bevorschussung nicht liquide Erbschaft" handelt. Der Vater der Klientin verstarb im Februar 2019 und das geerbte Vermögen konnte erst im Frühling dieses Jahres realisiert werden. Infolge Aufnahme einer Erwerbstätigkeit konnte die Klientin jedoch bereits im Januar 2021 abgelöst werden. Gehe ich richtig in der Annahme, dass dies an der Fallart nichts ändert?
In Ihrer Antwort schreiben Sie, dass die Rückerstattung im Zeitraum zwischen Todestag und der Ablösung unter dem Titel von Art. 40 Abs 2 SHG BE stattfindet. Verstehe ich das richtig, dass demzufolge die vor dem Todestag bezogene Unterstützung unter dem Titel Art. 40 Abs. 1 SHG BE zurückerstattet werden muss oder gibt es hier gar keine Rückerstattungspflicht?
Vielen Dank auch für die Beantwortung dieser Fragen.
Freundliche Grüsse
Susanne Longaron
Frage beantwortet am
Ruth Schnyder
Expert*in Sozialhilferecht
Guten Morgen Frau Longaron
Zu Ihren beiden Anschlussfragen kann ich Ihnen folgende Antworten geben:
1. Aufnahme Erwerbstätigkeit
Für die Rückerstattung vom Todesfall Februar 2019 bis zur Ablösung Januar 2021 handelt es sich um den Fall von Art. 40 Abs. 2 SHG BE - die Aufnahme der Erwerbstätigkeit ändert daran nichts.
2. Rückerstattung Zeitraum vor Todestag
Siehe unter "Art der Rückerstattung" und unter "Umfang der Rückerstattung" erstes Alinea meiner obigen Antwort: Vor dem Todestag erfolgt die Rückerstattung nach Art. 40 Abs. 1 SHG BE.
Vom Vorgehen ist es so, dass Sie zunächst die bevorschusste wirtschaftliche Hilfe nach Art. 40 Abs. 2 SHG BE zurückfordern. Wenn dann noch die Voraussetzungen nach Art. 40 Abs.1 SHG BE gegeben sind, fordern Sie zusätzlich die vor dem Todestag bezogene wirtschaftliche Hilfe nach den Rgeln von Art. 40 Abs. 1 SHG BE zurück.
Ich hoffe, die Ergänzungen tragen zur Klärung bei.
Freundliche Grüsse
Ruth Schnyder