Guten Tag
Folgender Fall im Kanton Zürich:
43-jährige Frau lebt mit 2 Kindern (13- und 16-jährig) zuammen. Sie ist vom Vater der Kinder getrennt, noch nicht geschieden.
Der Vater stirbt. Frau schlägt Erbe aus. Sie, bzw. die für die Erbschaft eingesetzte Beiständin, erhält vom BVG eine Freizügigkeitsleistung von rund CHF 85'000. Diese teilt das Geld auf die Frau und die 2 Kinder auf. Es ist uns nicht bekannt, dass der Verstorbene spezielle Begünstigte bei der BVG bezeichnet hat. Der verstorbene hat auch noch weitere Kinder von anderen Frauen.
Die Sozialhilfe wurde aufgrund fehlender Bedürfigkeit eingstellt (Renten und Zusatzleistungen).
Frage: Kann oder soll das Sozialamt von der ausbezahlten Freizügigkeitsleistung des Verstorbenen Noch-Ehemannes Rückerstattung für früher bezogene Sozialhilfe verlangen. Wenn ja, mit welcher Berechnung betreffend Einkommen und Vermögen (Freigrenzen bei guten wirtscahftlichen Verhältnissen oder ZL-Vermögensgrenzen.
Besten Dank und freundliche Grüsse
Kerstin Borek-Hopp
Frage beantwortet am
Anja Loosli Brendebach
Expert*in Sozialhilferecht
Sehr geehrte Frau Borek-Hopp
Vielen Dank für Ihre interessante Frage. Ich beanworte diese gerne wie folgt:
Ich gehe aufgrund der Schilderung des Sachverhalts davon aus, dass der Ehemann und Vater der Kinder im Zeitpunkt des Todes nicht BVG-versichert war oder dieser Teil der Freizügigkeitsleistung überschiessend zur aktuellen Versicherung war und die auf einem Konto einer Vorsorgeeinrichtung deponierte Freizügigkeitsleistung nun gemäss Reglement der Vorsorgeeinrichtung an die Ehefrau und Kinder ausbezahlt wird bzw. wurde.
Nach § 27 des Sozialhilfegesetzes des Kantons Zürich (SHG ZH) kann die rechtmässig bezogene wirtschaftliche Hilfe ganz oder teilweise zurückgefordert werden, wenn der Hilfeempfänger rückwirkend Leistungen von Sozial- oder Privatversicherungen oder von haftpflichtigen oder anderen Dritten erhält, entsprechend der Höhe der in der gleichen Zeitspanne ausgerichteten wirtschaftlichen Hilfe. Im Sozialhilfehandbuch des Kantons Zürich wird verdeutlich, welche Leistungen damit gemeint sind, z.B. Nachzahlungen von Sozialversicherungen wie Stipendien und Leistungen Dritter wie z.B. Lohnnachzahlungen. Solche Leistungen müssen zeitidentisch verrechnet werden können (z.B. IV-Rente von Januar bis April 2019 mit Sozialhilfeleistungen derselben Zeitspanne). Kann keine Zeitspanne bestimmt werden, für die die Leistungen ausgerichtet werden, so kommt diese Bestimmung nicht zur Anwendung.
Vorliegend kann die Kapitalabfindung der Freizügigkeitsleistung nicht einem bestimmten Zeitraum zugeordnet werden. Eine Rückforderung gestützt auf diese Bestimmung kommt deshalb nicht in Frage.
Die Unterstützungsleistungen können nach § 27 SHG ZH aber auch dann zurückgefordert werden, wenn der Hilfeempfänger aus Erbschaft, Lotteriegewinn oder anderen nicht auf eigene Arbeitsleistung zurückführende Gründen in finanziell günstige Verhältnisse gelangt. Den Verpflichteten ist gemäss Sozialhilfehandbuch des Kantons Zürich ein Freibetrag von CHF 25'000.-- für Einzelpersonen und pro Kind ein Freibetrag von CHF 15'000.-- zu gewähren. Oder mit anderen Worten: von günstigen Verhältnissen, die eine Rückerstattung rechtfertigen, kann nur gesprochen werden, wenn die zugeflossene Summe den Freibetrag übersteigt.
Vorliegend gilt gemäss Sozialhilfehandbuch Zürich ein Freibetrag von CHF 55'000.-- (Mutter mit 2 Kindern). Es kann deshalb maximal der Betrag von CHF 30'000.-- (CHF 85'000.-- Freizügigkeitsleistung - CHF 55'000.-- Freibetrag) zurückverlangt werden.
In § 27 Abs. 2 SHG ZH wird nun aber festgehalten, dass sich der Rückerstattungsanspruch auf Leistungen erstreckt, die der Hilfeempfänger für sich selbst und u.a. für seine minderjährigen Kinder während ihrer Unmündigkeit erhalten hat. In Abs. 3 derselben Bestimmung wird festgehalten, dass die wirtschaftliche Hilfe, die jemand für sich selbst während seiner Unmündigkeit bezogen hat, nicht zurückzuerstatten ist.
Ich schliesse daraus, dass die beiden Kinder mit ihrem Anteil der Freizügigkeitsleistung nicht zur Rückerstattung verpflichtet sind, auch wenn ihr Anteil den Vermögensfreibetrag überschreiten sollte. Die Mutter ist meiner Ansicht nach nur zur Rückerstattung der Sozialhilfeleistungen an sie und die Kinder in dem Umfang verpflichtet, in dem ihr Anteil an der Freizügigkeitsleistung den Freibetrag von total CHF 55'000.-- übersteigt.
Ich habe den Sachverhalt so verstanden, dass die Beiständin die Freizügigkeitsleistung auf die Mutter und die Kinder aufgeteilt hat. Der Verteilschlüssel ist mir aber nicht bekannt. Ebenfalls nicht bekannt ist mir, ob die Vorsorgeeinrichtung, bei der die Freizügigkeitsleistung wohl deponiert war, im Reglement festhält, wie der Verteilschlüssel zwischen überlebendem Ehegatten und Kindern ist. Ausschlaggebend für die Berechnung des Anteils der Mutter scheint mir das Reglement der Vorsorgeeinrichtung und nicht die faktische Aufteilung der Beiständin zu sein.
Ergänzend möchte ich ausführen, dass § 27 SHG ZH eine Kann-Bestimmung ist. Die Sozialhilfe kann die Rückerstattung verlangen, muss aber nicht. Dies bedeutet, dass stets das Verhältnismässigkeitsprinzip anzuwenden ist und sich vor Erlass einer Rückerstattungsverfügung die Frage zu stellen ist, ob die Rückerstattung in der konkreten Situation angezeigt ist.
Ich hoffe, Ihnen mit diesen Ausführungen weiterhelfen zu können.
Freundliche Grüsse
Anja Loosli Brendebach
Sehr geehrte Frau Loosli Brendebach
Besten Dank für Ihre Antwort. Sie sind demnach der Auffassung, dass die Freizügigkeitsleistung des Ehemannes nach dessen Tod nicht entsprechend dem Ziel des BVG zur ergänzenden Deckung des aktuellen und zukünftigen Lebensunterhaltes eingesetzt werden soll und nicht von der Rückerstattung ausgenommen werden sollte, wie das Heinrich Dubacher und Bernadette von Deschwanden in Zeso 1/2009 ausgeführt hatten. Gehe ich richtig in der Annahme, dass aber bei der Auflösung des eigenen Freizügigkeitsguthabens (z.B. bei Bezug der Altersrente oder bei Zuspruch einer IV-Rente) doch eher keine Rückforderung gemacht wird oder höchstens gemäss dem Berechnungsvorschlag wie es z.B. die Stadt Bern in ihren Richtlinien aufgeführt hat, um eben dem Ziel der 2. Säule Rechnung zu tragen.
Freundliche Grüsse
Kerstin Borek-Hopp
Frage beantwortet am
Anja Loosli Brendebach
Expert*in Sozialhilferecht
Sehr geehrte Frau Borek-Hopp
Vielen Dank für Ihre berechtigte Nachfrage. Der von Ihnen erwähnte ZESO-Artikel aus dem Jahre 2009 betrifft das Vorsorgekapital der bedürftigen Person selbst und nicht das Todesfallkapital einer Drittperson. Deshalb kann der von Ihnen geschilderte Sachverhalt damit nicht direkt gelöst werden.
Nach Art. 18 des Bundesgesetzes über die berufliche Vorsorge (BVG) besteht ein Anspruch auf Hinterlassenenleistungen, wenn der Verstorbene im Zeitpunkt des Todes oder bei Eintritt der Krankheit, die zum Tod führt, versichert war oder von der Vorsorgeeinrichtung im Zeitpunkt des Todes eine Alters- oder Invalidenrente erhielt. Ein Anspruch auf ein Todesfallkapital besteht im obligatorischen Bereich nicht. Reglementarisch können die Vorsorgeeinrichtungen aber einen Anspruch auf Todesfallkapital schaffen (Hans-Ullrich Stauffer, Berufliche Vorsorge, 2012, N 850 ff.). Die Vorsorgeeinrichtungen bezahlen das Todesfallkapital aus, ohne dieses zwingend auf ein Vorsorgekonto zu überweisen. Damit stellt es frei verfügbares Vermögen der begünstigten Person dar. Bei der Berechnung den Ergänzungsleistungen wird ein Todesfallkapital denn auch als Vermögen angerechnet. Durchaus kann man ein Todesfallkapital aber als die Hinterlassenenrente ersetzend oder allenfalls ergänzend sehen und damit als grundsätzlich zweckgebunden für die Hinterlassenenvorsoge. Insbesondere scheint es mir richtig zu sein, das Todesfallkapital nicht als rückerstattungspflichtiger Vermögensanfall zu ersehen, wenn es tatsächlich für die Bestreitung des Lebensunterhalt verwendet wird.
Wie ich bereits in meiner ersten Antwort ausgeführt habe, handelt es sich bei § 27 SHG ZH um eine Kann-Bestimmung. Ein Grund, um auf die Rückerstattung zu verzichten bzw. diese als unverhältnismässig zu erachten, kann denn eben auch sein, dass mit dem Todesfallkapital - sozusagen als Ersatz einer Hinterlassenenrente oder als ergänzende Hinterlassenenrente - der Lebensunterhalt finanziert wird, der sonst vom Verstorbenen finanziert worden ist bzw. hätte finanziert werden müssen.
In diesem Sinn ist es meines Erachtens durchaus richtig, auf die Rückerstattung zu verzichten, wenn denn betraglich überhaupt eine rückforderbare Summe resultiert.
Ich hoffe, Ihnen mit dieser ergänzenden Antwort weiterzuhelfen.
Freundliche Grüsse
Anja Loosli Brendebach