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Reinigung & Renovation, Wohnrecht

Veröffentlicht:
16.08.2023
Kanton:
St. Gallen
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Kindes- und Erwachsenenschutz

Sehr geehrte Damen & Herren

Wir führen ein Erwachsenenschutzverfahren für eine Person mit einer psychischen Erkrankung, welche im Zusammenhang mit ihrem Schwächezustand ihre Wohnung in Brand gesetzt hat. Die Wohnung gehört ihrem Vater und die Klientin hat darin ein lebenslanges Wohnrecht, welchs im Grundbuch eingetragen ist. Aktuell befindet sich die Klientin in stationärer Behandlung und es läuft ein Strafverfahren gegen sie. Seitens der Staatsanwaltschaft laufen keine Untersuchungen mehr in der Wohnung. Es stellen sich für uns folgende Fragen:

a) Darf der Vater (als Eigentümer) die Wohnung reinigen und renovieren lassen ohne das Einverständnis der Klientin? Was passiert mit den Gegenständen in der Wohnung der Klientin, dürfen die Angehörigen diese ohne das Einverständnis der Klientin räumen und einlagern? Wer darf über diese Fragen entscheiden, allenfalls das Kreisgericht?

b) Kann der Klientin das Wohnrecht aufgrund des Wohnungsbrandes und des konflikthaften Verhältnisses zum Vater gekündigt bzw. dieses aufgelöst werden?

c) die Klientin hat eine Haftpflichtversicherung, jedoch keine Hausratversicherung. Kommt die Haftpflicht für den Schaden auf, obwohl die Wohnung absichtlich (im Zusammenhang mit dem Schwächezustand) in Brand gesetzt wurde?

Vielen Dank für Ihre Rückmeldung und freundliche Grüsse. 

Frage beantwortet am

Karin Anderer

Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz

Grüezi

Können Sie etwas zur Schuldfähigkeit (Art. 19 StGB) und Urteilsfähigkeit hinsichtlich der Brandstiftung sagen? 

Freundliche Grüsse

Karin Anderer

Guten Tag Frau Anderer

Leider können wir noch nichts zur Schuldfähigkeit und zur Urteilsfähigkeit sagen. Die Staatsanwaltschaft wird die Klientin diesbezüglich begutachten lassen. 

Freundliche Grüsse

Debora Meier

Frage beantwortet am

Karin Anderer

Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz

Grüezi

Ihre Fragen können nur im Allgemeinen beantwortet werden. Es benötigt detaillierte Sachverhaltskenntnisse, weitere Sachverhaltserhebungen und die beiden Verträge (Wohnrechtsvertrag und Haftpflichtversicherungsvertrag) müssen konsultiert werden.

Frage a) Der Wohnrechtsvertrag verleiht der Frau das Recht, die Wohnung zu benutzen. Die Wohnung gehört zu ihrer Privatsphäre. Ein Zutritt und eine Räumung der Wohnung kommen somit grundsätzlich nicht in Frage, solange das Wohnrecht besteht und die Frau dazu nicht ihr Einverständnis gibt.

Nach Art. 778 ZGB i.V.m. Art. 764 Abs. 2 ZGB hat die Frau ihrem Vater aber die Vornahme wichtigerer, über den gewöhnlichen Unterhalt hinausgehende, Arbeiten oder Vorkehrungen zum Schutze des Gegenstandes zu gestatten. Der Vater darf also in diesem Umfang die erforderlichen Reparaturarbeiten durchführen und die Frau hat eine allenfalls damit verbundene Einschränkung der Nutzung zu dulden (OFK Bichsel/Mauerhofer ZGB 764 N 5 f; CHK-Thurnherr ZGB 778 N 1 und 764 N 2). Eine Wohnungsräumung ist damit aber nicht verbunden. Eventuell muss sich der Vater über das Gericht die Zutrittsbefugnis zur Wohnung verschaffen.

Die Frau haftet allerdings für aussergewöhnliche Reparaturen, sofern sie durch ihr schuldhaftes Verhalten veranlasst wurden (CHK-Thurnherr ZGB 778 N 1). Ob sie haftbar gemacht werden kann, ist noch unklar (siehe Frage c).

Frage b) Ob ein Wohnrechtsvertrag einseitig gekündigt oder aufgelöst werden kann, ist juristisch umstritten. Nach der herrschenden Lehre ist eine Ausschliessung bei widerrechtlichem Gebrauch grundsätzlich möglich. Unklar ist aber, ob ein endgültiger Entzug der Sache zulässig ist, oder ob die berechtigte Person nur vorübergehend ausgeschlossen werden kann (vgl. OFK Bichsel/Mauerhofer ZGB 776 N 15 ff.; CHK-Thurnherr ZGB 776 N 4).

In jedem Fall ist der Wohnrechtsvertrag zu konsultieren, da die gesetzlichen Bestimmungen des Wohnrechts (Art. 776 ff. ZGB) weitgehend dispositiv sind (OFK Bichsel/Mauerhofer ZGB 776 N 20). Möglicherweise lassen sich im Wohnrechtsvertrag weitere, hier wesentliche, Abreden finden.

Die berechtigte Frau kann einseitig auf die Ausübung des Wohnrechts verzichten und die Parteien können eine Aufhebungsvereinbarung abschliessen (vgl. OFK Bichsel/Mauerhofer ZGB 776 N 15 ff.).

Frage c) Die Frau ist nicht verpflichtet, das Gebäude zu versichern (CHK-Thurnherr ZGB 778 N 1). In etlichen Kantonen besteht eine obligatorische Brandschutzversicherung, welche den Schaden deckt, so bspw. im Kanton St.Gallen (vgl. https://www.gvsg.ch). Wurde der Schaden von der Frau verschuldet und kann sie dafür haftbar gemacht werden, kann die Versicherung auf sie zurückgreifen.

Nicht übernommen werden Schäden am Mobiliar, für welche normalerweise eine Hausratsversicherung - die hier aber fehlt - aufkommt. Die Haftpflichtversicherung der Frau wird allenfalls Schäden abdecken, welche die Frau persönlich verursacht hat.

Allgemeines zur zivilrechtlichen Haftung:

Die Handlungsfähigkeit umfasst zwei Aspekte, die Geschäftsfähigkeit (Fähigkeit, durch eigenes rechtsgeschäftliches Handeln allein rechtliche Wirkungen zu begründen) und die Deliktsfähigkeit (Fähigkeit, durch widerrechtliche Handlungen schadenersatzpflichtig zu werden).

Zentral ist die Frage, ob die Frau hinsichtlich der schädigenden Handlung urteilsfähig war, das scheint noch nicht bekannt zu sein. Je nach Schwächezustand kann die Urteilsfähigkeit durchaus gefehlt haben.

Es liegt ein Fall einer unerlaubten Handlung vor. Eine Voraussetzung für die zivilrechtliche Haftung ist, nach Art. 41 OR, das Verschulden. Das Verschulden besteht aus einer objektiven Seite, dem Vorsatz oder der Fahrlässigkeit, und einer subjektiven Seite, der Urteilsfähigkeit.

War die Frau hinsichtlich der schädigenden Handlung urteilsunfähig, dann haftet sie nicht. Art. 18 ZGB: «Wer nicht urteilsfähig ist, vermag unter Vorbehalt der gesetzlichen Ausnahmen durch seine Handlungen keine rechtliche Wirkung herbeizuführen.» Ist die Frau zivilrechtlich nicht haftbar, weil urteilsunfähig, dann greift in der Regel auch die Haftpflichtversicherung nicht.

In Art. 54 OR ist die Haftung urteilsunfähiger Personen geregelt. Die Frau könnte, bei dauerhafter Urteilsunfähigkeit, aus Billigkeit haftbar werden. Und wenn sie den Zustand der vorübergehenden Urteilsunfähigkeit schuldhaft herbeigeführt hat, könnte sie dennoch haftbar werden. Das kommt typischerweise bei übermässigem Alkohol-, Medikamenten- oder Drogenkonsum vor (vgl. dazu CHK-Müller OR 54). Ist aber der übermässige Suchtmittelkonsum die Auswirkung der psychischen Krankheit, welche die Ursache der Urteilsfähigkeit ist, kann dies der betroffenen Person ebenfalls nicht angerechnet werden.

War die Frau hinsichtlich der schädigenden Handlung urteilsfähig und hat sie den Brand vorsätzlich oder fahrlässig verursacht, gilt Folgendes: Die Haftpflichtversicherung kommt in der Regel nur bei leichter oder mittlerer Fahrlässigkeit zum Tragen. Das heisst, dass vorsätzlich und grobfahrlässig verursachte Schäden nicht gedeckt werden. Es gibt aber Versicherungen, die einen Grobfahrlässigkeitsschutz anbieten; in diesem Fall sind auch grobfahrlässig verursachte Schäden gedeckt.

Auch hier ist zwingend ein Blick in den Versicherungsvertrag notwendig.

Eine allfällige Vertretung der Frau im Rahmen einer behördlichen Massnahme hätte nach meinem Dafürhalten durch einen Fachbeistand oder eine Fachbeiständin zu erfolgen und nicht durch eine "normale" Berufsbeistandsperson. Die haftungsrechtlichen Fragen und ein Ausschluss aus dem Wohnrechtsvertrag sind juristisch äusserst komplex. Auch muss sichergestellt sein, dass die Frau sich im Strafverfahren wirksam verteidigen kann.

Ich hoffe, die Angaben sind nützlich und ich grüsse Sie freundlich.

Luzern, 23.8.2023

Karin Anderer

Vielen Dank Frau Anderer. Sie haben uns sehr weitergeholten.

Freundliche Grüsse