Guten Tag
Gerne reiche ich folgende Frage ein:
Reicht die Vertretungsbeistandschaft nach Art. 394 i.V.m. 395 ZGB im Bereich Finanzen und Administration, um einen Klienten vor der Schlichtungsbehörde betreffend einem Schadenfall zu vertreten?
Reichen Sozialarbeiterische Gründe (als andere wichtige Gründe gemäss Art. 204 Abs. 3 ZPO) aus, um ohne Klienten vor der Schlichtungsbehörde zu erscheinen?
Kann die Beiständin die Klage nochmals einreichen?
Es handelt sich dabei um folgendes Szenario:
Die Beiständin hat einen Vermögensschaden dem Bezirksgericht eingereicht und wurde Vermittleramt zur Schlichtungsverhandlung eingeladen. Dabei ist sie aus sozialarbeiterischen Gründen ohne Klienten erschienen. Gründe dafür waren, dass der Klient die Tragweite des finanziellen Schadens nicht verstehen und nachvollziehen könne. Ausserdem befürchtete sie, dass er sich durch Aussagen selbst belasten könnte. An der Verhandlung wurde ihr mitgeteilt, dass sie ohne Prozessvollmacht den Klienten nicht vertreten könne, trotz Ernennungsurkunde. Da es sich um eine aussergerichtliche Verhandlung handelte, beantragte die Beiständin im Vorfeld keine Prozessvollmacht. Die Schlichtungsverhandlung wurde abgeschrieben mit dem Hinweis, dass ein Gespräch ohne Erscheinen des Klienten gar nicht hätte durchgeführt werden müssen (Art. 204 Abs. 3 ZPO / Art. 68 Abs. 2 ZPO).
Vielen Dank für Ihre Ausführungen zu den genannten Fragen.
Frage beantwortet am
Urs Vogel
Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz
Erwägungen
Mit der Einreichung eines Schlichtungsgesuches wird das entsprechende Verfahren rechtshängig und die Klage gilt als eingeleitet (Art. 62 Abs. 1 ZPO). Somit sind die Voraussetzungen von Art. 66 ff ZPO zu beachten. Vorliegend ist der Klient, soweit aus dem Sachverhalt ersichtlich, weder urteilsunfähig noch ist ihm die Handlungsfähigkeit in Bezug auf vermögensrechtliche Angelegenheiten entzogen. Somit ist eine Vertretung des Klienten im Rahmen einer Prozessführung und allenfalls Abschluss eines aussergerichtlichen Vergleichs (Stufe Schlichtungsstelle) mit seiner Zustimmung möglich (siehe dazu Art. 416 Abs. 2 ZGB; BSK ZGB-Vogel, Art. 416/417 N 32 ff.; FamKomm ESR-Biderbost, Art. 416 N 35).
Grundsätzlich gehören die Vertretung der Klienten in Bezug auf Prozesshandlungen bei vermögensrechtlichen Angelegenheiten (z.B. wie vorliegend eines Forderungsprozesses) zu den Aufgaben, die im Rahmen der Vertretungsbeistandschaften nach Art. 394/395 ZGB in Bezug auf Finanzen und Administration durch den Beistand oder die Beiständin vorgenommen werden können, aber immer unter Beachtung der Voraussetzungen von Art. 416 ZGB. Somit hätte die Beiständin oder der Beistand entweder die explizite Zustimmung des Klienten (mittels schriftlicher Vollmacht gegenüber der Schlichtungsstelle) oder der KESB (mittels Entscheid über Art. 416 Abs. 1 Ziff. 9 ZGB) benötigt, um die Klage einzureichen und damit das Schlichtungsverfahren zu eröffnen.
Ob allenfalls sozialarbeiterische Gründe ausreichen, um ein persönliches Erscheinen auf Grund von wichtigen Gründen auszuschliessen, ist im Einzelfall zu beurteilen. Rechtsprechung und Literatur üben aber eine grosse Zurückhaltung bezüglich der Annahme von wichtigen Gründen, da der Gesetzgeber dem Schlichtungsverfahren und damit der Anwesenheit der Parteien ein grosses Gewicht zugemessen hat und daher die wichtigen Gründe sehr restriktiv ausgelegt werden (BK ZPO-Alvarez/Peter, Art. 204 N 8; Urs Egli, DIKE-Komm-ZPO, Art. 204 N 17 ff.). Dass der Klient die Tragweite des Schadens nicht nachvollziehen kann, scheint vorliegend kaum als wichtiger Grund zu taugen, ebenso die Annahme, dass er durch Äusserungen sich selber belasten könnte. Es ist jedenfalls ein Ermessenentscheid der Schlichtungsstelle. Da vorliegend keine Angaben über den Inhalt und die Konstellation des Schadenfalls im Sachverhalt vorhanden sind, können auch keine weiteren Ausführungen dazu gemacht werden.
Vorliegend wurde nun das Verfahren, soweit aus dem Sachverhalt interpretierbar, von der Schlichtungsbehörde wegen Säumnis der klagenden Partei (Kläger ist nicht persönlich erschienen) beendet und abgeschrieben. Der Abschreibungsbeschluss des Schlichtungsbehörde erwächst aber nicht in materielle Rechtskraft und die säumige Partei – vorliegend also die Beiständin in Vertretung der betroffenen Person mit den entsprechenden Zustimmungen (Klient oder KESB) – kann das Schlichtungsgesuch erneut einreichen (siehe dazu BK ZPO-Alvarez/Peter, Art. 206 N 7; KuKo ZPO-Gloor/Umbricht, Art. 206 N 4) und einen erneuten Prozess gegen die gleiche beklagte Partei rechtshängig machen. Die Rechtsfolgen eines Klagerückzuges (Art. 65 ZPO) treten vorliegend nicht ein (BK ZPO-Berger-Steiner, Art. 65 N 14). Aus den Erfahrungen des ersten Versuchs ist ein persönliches Erscheinen des Klienten zusammen mit der Beiständin oder dem Beistand an der erneuten Schlichtungsverhandlung wohl geboten.
Kulmerau, 5. Oktober 2021/Urs Vogel