Guten Tag
Es besteht eine Beistandschaft gemäss Art. 394/395 für Administration und Finanzen.
Mein Klient, 59 Jahre alt, ist seit März 2019 immer mal wieder krankgeschrieben (jeweils 2-3 Wochen am Stück). Nun ist er seit November 2019 bis dato 100% krankgeschrieben (offene Wunde am Bein wegen Diabetes).
Gesundheitlich gesehen hat er nur eine Niere, Diabetes und Augenprobleme. Er raucht sehr viel und hat einen ungesunden Lebensstil (Schichtarbeit/Nachtarbeit).
Er arbeitet seit 16 Jahren beim selben Arbeitgeber in einer Bar/Restaurant als Hilfsarbeiter (Logistik, Einkauf, Reparaturen etc.). Er hat keinen Lehrabschluss. Zu Beginn war er zu 100% festangestellt. Im Jahr 2014 wurde eine Vertragsänderung auf Stundenlohn gemacht (keine Zusicherung Pensum). Seither arbeitet er im Stundenlohn und erbrachte ziemlich stabil über die Jahre ein Pensum von 70% (Lohn ca. CHF 2'700 netto). Durch die Krankschreibung wird seine finanzielle Situation zunehmend prekärer. Er erhält Krankentaggeld (80% vom Lohn).
Die Krankentaggeldversicherung verlangt nun, dass eine IV-Anmeldung gemacht wird. Der Klient fügt sich widerwillig (weil er den Anspruch auf Krankentaggeld nicht verlieren will).
Aktuell besteht eine Krankschreibung bis Ende März 2020.
Der Arbeitgeber hat mich nun vorinfomiert, dass sobald mein Klient wieder arbeitsfähig ist, er informiert wird, dass aufgrund geänderter Öfnnungszeiten sein Pensum drastisch reduziert werden muss. Neu nur noch Einsatz Samstag/Sonntag, ca. 30%-Pensum.
Ich arbeite mit dem Klienten seit längerem dran, dass er sich für einen weiteren Job umschaut und/oder sich für die Lohndifferenz beim RAV anmeldet. Der Klient sieht sich nicht höher arbeitsfähig, schreibt sich sehr schlechte Karten auf dem Arbeitsmarkt zu (Alter, Bildung, Unvereinbarkeit der aktuellen Tätigkeit mit einem anderen Job).
Meine Fragen/Gedanken:
- Ist es rechtens, dass der Arbeitgeber so handelt?
- Ab wann muss die Anmeldung beim RAV erfolgen? Ich habe ja bereits Kenntnis, der Klient aber nicht (und er ist auch noch krankgeschrieben).
- Welche Leistungen sollen bei der IV eingefordert werden? Wie vehement? Ab wann?
- Was kann ich von der Krankentaggeldversicherung erwarten?
- Welche Aspekte gibt es sonst noch zu bedenken?
Besten Dank für Ihre Rückmeldung.
Frage beantwortet am
Kurt Pärli
Expert*in Arbeitsrecht
Gerne beantworte ich Ihre Fragen wie folgt:
Ihr Klient ist im 16. Dienstjahr, das ist von Bedeutung für die Dauer der arbeitsrechtlichen Sperrfrist von Bedeutung (ab 6. Dienstjahr dauert diese 180 Tage). Davon ausgehend, dass bei Ihrem Klientin immer die gleiche Krankheit Ursache der Arbeitsunfähigkeit war, gehe ich davon aus, dass die Sperrfrist bereits abgelaufen ist. Die Arbeitgeberin darf demnach das Arbeitsverhältnis rechtmässig künden. Auch zulässig ist nach Ablauf der Sperrfrist eine Änderungskündigung, d.h., die Arbeitgeberin kann eine Anpassung des Arbeitsvertrages vorschlagen und bei Nichtannahme des Vorschlages das Arbeitsverhältnis nach Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist (die nach Ende der Sperrfrist zu laufen beginnt) künden. Die ordentliche Kündigungsfrist beträgt im Falle Ihres Klienten drei Monate.
Sie erwähnen, dass Ihr Klient in einem Gastrobetrieb arbeitet, zu klären wäre hier, ob der GAV Gastgewerbe anwendbar ist. https://l-gav.ch/vertrag-aktuell/i-anwendbarkeit-und-vertragsdauer/art-1-geltungsbereich oder https://l-gav.ch/vertrag-aktuell/i-anwendbarkeit-und-vertragsdauer/art-2-nichtanwendbarkeit . Bei Anwendbarkeit müsste geprüft werden, ob der GAV hinsichtlich Kündigungsschutz und Kündigungsfristen bessere Bedingen vorsieht. Sehen Sie insbesondere auch bezüglich Krankentaggeld den GAV näher an.
Die Aufforderung der Krankentaggeldversicherung zur IV-Anmeldung ist rechtens, Ihr Klient muss dies tun, andernfalls verwirkt er seinen Anspruch auf Taggeldleistungen. Die IV muss von Amtes wegen abkläre, auf welche Leistung Anspruch besteht, ein Rentenanspruch kommt nur in Frage, wenn keine Eingliederung möglich ist.
Kommt es zu einer Anpassung des Beschäftigungsgrades ist unbedingt mit der Krankentaggeldversicherung zu klären, ob eine Weiterversicherung möglich ist. Dabei ist auch entscheidend, ob Ihr Klient im Zeitpunkt der Vertragsänderung wieder ganz oder nur teilweise arbeitsunfähig ist.
Die Reduktion des Beschäftigungsgrades könnte auch dazu führen, dass Ihr Klient nicht mehr obligatorisch in der beruflichen Vorsorge versichert ist. Die jetzige Vorsorgeeinrichtung ist unbedingt zu informieren, dass gesundheitliche Gründe für die Reduktion des Beschäftigungsgrades verantwortlich sind.
Zur Ihrer Frage wegen dem RAV: Eine Anmeldung beim RAV ist auch bei bereits drohender Arbeitslosigkeit möglich und auch verpflichtend. Und, Ihr Klient ist auch bei der IV angemeldet, in dieser Konstellation gilt: Wegleitung zum AVIG, Randziffer B252: Ist eine bei der IV oder einer anderen Sozialversicherung zum Leistungsbezug angemeldete behinderte Person bereit und in der Lage, eine zumutbare Arbeit im Umfang von mindestens 20 % einer Vollzeitbeschäftigung anzunehmen, und erfüllt sie auch die übrigen Anspruchsvoraussetzungen, besteht für die ALV eine Vorleistungspflicht. Die zuständigen Durchführungsstellen haben die versicherte Person über die Vorleistungspflicht der ALV bei nicht offensichtlicher Vermittlungsunfähigkeit aufzuklären (EVG C119/06 vom 24.4.2007).
Wenn Ihr Klient bei der Arbeitslosenversicherung für die verbliebende Arbeitsfähigkeit (neben seinem 30% Job) angemeldet ist und auch Taggelder erhält, ist er für diesen Teil auch obligatorisch unfallversichert und ebenfalls obligatorisch BVG-versichert.
Zusammenfassend: Es handelt sich um eine komplexe Situation, die Anmeldung bei der IV und beim RAV sind unverzüglich zu machen, die Situation der Krankentaggeldversicherung ist abzuklären (Versicherungspolice und allgemeine Vertragsbedingungen verlangen) und die jetzige Pensionskasse ist über den Grund der Pensenreduktion zu informieren.
Genügen Ihnen diese Auskünfte?
Mit Dank für die Kenntnisnahme und freundlichen Grüssen
Kurt Pärli