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Rechtskraft Leistungsentscheid / Finanzierung Pflegefamilie bei Volljährigkeit

Veröffentlicht:
20.06.2022
Kanton:
Graubünden
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Sehr geehrtes Expertenteam

Ich führe bzw. führte eine Beistandschaft für zwei Geschwister (15 und 17 Jahre alt). Die beiden wurden im Juni 2021 freiwillig in eine Pflegefamilie platziert. Da die beiden für eine Platzierung bereits ein 'gewisses Alter' hatten, gab es im Vorgang eine gemeinsame Besprechung zwischen der KESB, den Sozialen Diensten der Stadt sowie mir als Beiständin. 
Der Leiter der Sozialen Dienste gab uns eine mündliche Zusprache. Nach dem eingereichten schriftlichen Antrag auf Kostengutsprache für die sozialpädagogische Platzierung erhielt ich für beide Mädchen je einen Leistungsentscheid mit Finanzierung bis 31.07.2022.

Die ältere Schwester wurde dann im September 2021 volljährig. Die Kindesschutzmassnahme für sie wurde aufgehoben. Aktuell ist eine Prüfung auf eine Erwachsenenschutzmassnahme pendent.  

Die Sozialen Dienste der Stadt meldeten mir dann vor einiger Zeit, dass sie die Rechnungen für die ältere Schwester nicht mehr bezahlen werden. Mit der Begründung, dass sie ja bereits im September 2021 volljährig geworden sei und die Kindsschutzmassnahme aufgehoben wurde. Dies wurde gemäss den Sozialen Diensten der Stadt von unserer Seite her (KESB/Beistandschaft) zu wenig explizit erwähnt. Wir hatten jedoch genau aus diesem speziellen Grund vor dem eingereichten Gesuch bei der Stadt eine gemeinsame Besprechung einberufen. 

Die 18-Jährige müsse aufgrund dessen ein neues Gesuch um Kostengutsprache bei den Sozialen Diensten einreichen und die Situaton werde dann neu beurteilt. Da ich nicht mehr als Beiständin funktioniere, muss das Gesuch über den Regionalen Sozialdienst gestellt werden. 

Die Sozialen Dienste der Stadt haben mir dann die Rechnungen für die Monate April und Mai 2022 unbezahlt retourniert, mit der Bitte dies zu klären. 

Nun stellen sich mir folgende Fragen:

- Ist der Leistungsentscheid nicht rechtskräfitig und die Sozialen Dienste sind verpflichtet bis 31.07.2022 auch ihren Pflegeplatz zu bezahlen? Falls ja, wie kann ich da vorgehen. 
- Wie geht es weiter - wie hoch stehen die Chancen, dass ein erneutes Gesuch für die Platzierung in einer Pflegefamilie für eine Volljährige angenommen wird?

Vielen Dank für die Unterstützung. 

Frage beantwortet am

Anja Loosli

Expert*in Sozialhilferecht

Guten Tag

Ich bedanke mich für Ihre Fragen und beantworte diese gerne wie folgt:

1. Vorfrageweise muss ich festhalten, dass die Frage, ob der Leistungsentscheid der zuständigen Soz(Finanzierung für die Platzierung bis Juli 2022) aufgrund der Rechtskraft des Leistungsentscheides nicht geändert werden könne, nicht direkt eine sozialhilfe- sondern eine generelle verwaltungsrechtliche Frage ist. Ich versuche die Frage dennoch zu beantworten.

Zur weiteren Beantwortung der Frage muss ich zudem festhalten, von welchem Sachverhalt ich ausgehe: Ich habe den Sachverhalt so verstanden, dass der Leiter des Sozialamts als Bewilligungsbehörde nach Art. 2 Abs. 1 lit. b des Pflegekindergesetz die Bewilligung zur Unterbringung in einer Pflegefamilie – mündlich - gegeben hat. Grundsätzlich wären die Eltern nun verpflichtet, für die Pflegekosten aufzukommen (Art. 276 ZGB). Dies scheint den Eltern vorliegend finanziell nicht möglich zu sein, weshalb implizit oder explizit ein Gesuch an die Sozialhilfe gestellt worden ist, dass diese den Unterhalt der Kinder während der Platzierung in der Pflegefamilie bezahlt (Art. 2 und 3 des Gesetzes über die öffentliche Sozialhilfe des Kantons Graubünden, SHG). Die zuständige Sozialhilfebehörde hat dann mit Leistungsentscheid festgehalten, dass sie die Platzierungskosten in der Pflegefamilie bis Juli 2022 übernimmt.

Da die Sozialhilfe die Fremdplatzierungskosten für einen längeren Zeitraum im Voraus zugesprochen hat, handelt es sich um eine Dauerverfügung. Diese kann geändert werden, wenn die Verhältnisse sich geändert haben (BGE 136 II 177) oder wenn sie zu Beginn fehlerhaft war und die Voraussetzungen für eine Revision gegeben sind (BGE 127 I 133), auch wenn die Verfügung rechtskräftig ist.

Dies bedeutet vorliegend, dass die Sozialen Dienste vor Juli 2022 nicht ohne Weiteres die Bezahlung der Familienplatzierungskosten einstellen können. Sie müsen eine entsprechende Verfügung erlassen, in der sie entweder festhalten, dass bereits die ursprüngliche Verfügung fehlerhaft ist und die Voraussetzungen für eine Revision gegen sind oder sich die Verhältnisse geändert haben und die Kosten deshalb aus diesem Grund nicht mehr zu übernehmen sind.

Sie bzw. Ihre ehemalige Klientin können deshalb eine anfechtbare Verfügung verlangen, mit der die ursprüngliche Verfügung geändert wird. Bis zum Vorliegen einer entsprechenden Verfügung müssen die Sozialen Dienste die Kosten grundsätzlich weiter übernehmen, (vorbehältlich einer Rückerstattungsverfügung).

2. Die Frage, wie gross die Chancen sind, dass die junge Frau auch als Erwachsene als Erwachsenenschutzmassnahme in eine Pflegefamilie platziert wird, ist keine sozialhilferechtliche Frage. Diese kann ich Ihnen deshalb leider nicht beantworten. Ich empfehle Ihnen, die Frage im Rechtsberatungsforum «Kindes- und Erwachsenenschutz «zu stellen.

Wenn eine Platzierung aber erfolgt und die junge Frau ist bedürftig, dann können die Kosten für die Platzierung als situationsbedingte Leistung (SIL) übernommen werden (SKOS-RL C.6.5 Abb. 2 aktuelle RL und SKOS-RL C.1.4 in der 2005 gültigen Fassung, die in GR massgebend ist).

Ich hoffe, Ihnen mit meiner Antwort weiterhelfen zu können.

Freundliche Grüsse

Anja Loosli Brendebach