Wir werden aktuell fast täglich mit der Frage konfrontiert, wie es mit der Lohnfortzahlung ist, wenn Eltern ihre Kinder betreuen müssen.
Aktuell müssen Kinder immer wieder aufgrund einer Quarantäne zuhause bleiben. In dieser Zeit gibt es die Auflage mit keiner Person in Kontakt zu treten, welche nicht im Haushalt lebt. Erschwerend kommt aktuell noch dazu, dass nun viele Kinder als Positive getestet wurden und nun auch noch so daheim bleiben müssen. Auch Familienangehörige werden so zum Daheimbleiben gezwungen.
Eltern haben eine Fürsorgepflicht, welche sie aufgrund der Bestimmungen nicht einfach einer anderen Person übergeben können. Die Kinder können auch nicht zu anderen Familien oder Verwandten zur Betreuung gebracht werden. Daraus können sich, im schlimmsten Fall, mehrere Tage bis Wochen ergeben, welche der Arbeitnehmer, die Arbeitnehmerin, nicht ihrere Arbeit nachgehen kann oder wenn überhaupt aus dem Homeoffice arbeiten muss. Wenn Familienmitglieder nacheinander erkanken, kommt es zu langen Ausfällen.
Wie ist hier die Lohnfortzahlungspflicht. Gibt es schon Entscheide, welche einen Weg aufzeigen? Wir wissen nicht, welche Antwort wir geben sollen.
Frage beantwortet am
Kurt Pärli
Expert*in Arbeitsrecht
Guten Tag
Die Frage der Lohnfortzahlungspflicht der Arbeitgeberin für Arbeitnehmende, deren Kinder in Quarantäne sind, ist in arbeitsrechtlicher Hinsicht auf der Grundlage von Art. 324a OR zu entscheiden. Ein Anspruch auf Lohnfortzahlung in diesen Situation wird in der juristischen Lehre unterschiedlich beurteilt. Streitig ist vor allem, ob im Falle von allgemein angeordneten Quarantänen und sogar Schulschliessungen ein objektives Leistungshindernis vorliegt, ein solches würde nicht zu einer Entschädigungspflicht führen, anders verhält es sich indes, wenn der Arbeitnehmer subjektiv betroffen ist, als wenn "nur" das Kind des konkreten Arbeitnehmers in Quarantäne muss. Einigermassen klar ist die Regelung, soweit ein Kind an Covid-19 erkrankt ist und entsprechende Betreuung braucht. Hier greifen die ab 2021 neu eingeführten Regelungen im Arbeitsgesetz:
Art. 36 Abs. und 4
(3)Der Arbeitgeber hat der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer gegen Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses Urlaub für die Betreuung eines Familienmitglieds, der Lebenspartnerin oder des Lebenspartners mit gesundheitlicher Beeinträchtigung zu gewähren; der Urlaub ist auf die für die Betreuung erforderliche Dauer begrenzt, beträgt jedoch höchstens drei Tage pro Ereignis.
(4) Ausser bei Kindern beträgt der Betreuungsurlaub höchstens zehn Tage pro Jahr.
Die Frage der Lohnzahlung ist in Art. 329h OR geregelt:
Die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer hat Anspruch auf bezahlten Urlaub für die Zeit, die zur Betreuung eines Familienmitglieds, der Lebenspartnerin oder des Lebenspartners mit gesundheitlicher Beeinträchtigung notwendig ist; der Urlaub beträgt jedoch höchstens drei Tage pro Ereignis und höchstens zehn Tage pro Jahr.
Nochmals, diese Regelungen gelten "nur" bei kranken Kindern (oder bei kranken Familienangehörigen).
Zur Frage der Entschädigungspflicht bei notwendiger Reduktion der Arbeit wegen Kinderbertreuung aufgrund von Quarantänemassnahmen hat der Gesetzgeber in der Covid-Verordnung Erwerbsersatz folgende Bestimmungen erlassen.
Verordnung
über Massnahmen bei Erwerbsausfall im Zusammenhang mit dem Coronavirus (Covid-19)
(Covid-19-Verordnung Erwerbsausfall) vom 20. März 2020 (Stand am 1. Januar 2022)
1 Anspruchsberechtigt sind, sofern sie die Voraussetzungen nach Absatz 1bis erfüllen:
a. Eltern mit Kindern bis zum vollendeten 12. Altersjahr;
b. Eltern mit Minderjährigen, die Anspruch auf einen Intensivpflegezuschlag nach Artikel 42ter Absatz 3 des Bundesgesetzes vom 19. Juni 19595 über die Invalidenversicherung (IVG) haben;
c. Eltern mit Kindern bis zum vollendeten 20. Altersjahr, wenn diese eine Sonderschule besuchen;
d. weitere Personen.
1bis Die Personen nach Absatz 1 sind anspruchsberechtigt, sofern sie die folgenden Voraussetzungen erfüllen:
a. Sie müssen aufgrund von behördlichen Massnahmen gemäss Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe a oder b, 35 oder 40 des Epidemiengesetzes vom 28. September 20128 (EpG) im Zusammenhang mit dem Coronavirus die Erwerbstätigkeit unterbrechen und erleiden einen Erwerbsausfall:
1. infolge Ausfalls der Fremdbetreuung ihres Kindes:
aufgrund einer angeordneten vorübergehenden Schliessung der Einrichtung, namentlich des Kindergartens, der Kindertagesstätte, der Schule oder der Anstalt oder Werkstätte nach Artikel 27 Absatz 1 IVG, oder aufgrund einer angeordneten Quarantäne der für die Fremdbetreuung vorgesehenen Person; oder
2. infolge einer für sie oder das Kind angeordneten Quarantäne.
b. Im Zeitpunkt der Unterbrechung der Erwerbstätigkeit sind sie:
1. Arbeitnehmerinnen oder Arbeitnehmer im Sinne von Artikel 10 ATSG; oder
2. Selbstständigerwerbende im Sinne von Artikel 12 ATSG.
c. Sie sind im Sinne des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung obligatorisch versichert.
2 Eltern, die ihre Erwerbstätigkeit unterbrechen müssen, um ihr Kind während der Schulferien zu betreuen, sind nur anspruchsberechtigt, wenn die für die Betreuung vorgesehene Einrichtung geschlossen wurde oder die dafür vorgesehene Person unter Quarantäne gestellt wurde.
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Arbeitnehmende sollen Ihre Arbeitgeber auf diese Entschädigung durch die EO aufmerksam machen. Sofern die Arbeitgeber die EO-Entschädigung nicht abrufen und den Arbeitnehmenden bei Quarantäne der Kinder den Lohn nicht ausrichten, können Arbeitnehmende den Anspruch auf die EO-Entschädigung auch direkt bei den Ausgleichskassen geltend machen. Weitere Informationen finden Sie hier:
https://www.ahv-iv.ch/corona und hier: https://www.ahv-iv.ch/p/6.13.d
Zu diesen und weiteren Fragen im Zusammenhang mit corona verweise ich Sie überdies auf die folgende informative Webseite: https://ius.unibas.ch/de/forschung/ius-coronae/
Viele der dortigen Beiträge können gratis heruntergeladen werden, so z.B. https://ius.unibas.ch/fileadmin/user_upload/ius/07_Upload_News/Dokumente/ius_coronae_210208_Paerli_und_Eggmann_Corona_und_die_Arbeitswelt.pdf
Zusammenfassende Einschätzung & Empfehlung:
Bei Arbeitsausfällen wegen der notwendigen Betreuung erkrankter Kinder ist ein Lohnanspruch auf der Grundlage der neu eingeführten Bestimmungen in Art. 329h OR und Art. 36 Abs.3/4 ArG zu verlangen. Vielen Arbeitgebenden ist diese Regelung noch nicht bekannt.
In Quarantänefällen ist einerseits Art. 324a OR einschlägig, andererseits und wichtiger die Covid-19 Verordnung Erwerbsausfall. Wenn die Arbeitgeber hier nicht Hand bieten, besteht die Möglichkeit, dass die Arbeitnehmenden die EO-Entschädigun direkt bei der Ausgleichskasse einfordern.
Genügen Ihnen diese Auskünfte? Mit Dank für die Kenntnisnahme und freundlichen Grüssen
Kurt Pärli