Hallo
Ausgangslage: Angehörige des Patienten empfehlen dem Patienten weiterhin an seinem Arbeitsverhältnis (50%) festzuhalten. Er wird am 4.5.25 65 J. alt.
Wir wären froh um die Antworten mit entsprechenden Gesetzesartikel, damit wir diese direkt der betroffenen Person angeben können.
Ausgangslage Patient:
- Seit 1.9. 2020 50% IV-Rente wegen psych. Erkrankung, gleichzeitig Arbeitspensum auf 50% reduziert.
- Unfall (NBU) am 13.10.2024
- 4.5.2025 = 65. Geburtstag
- Der 65. Geburtstag fällt in das Wartejahr IV-Rentenberechnung, folglich wird die IV keine Rente prüfen/berechnen?
- Die UV wird Rente prüfen, sobald Stabilisierung der Gesundheit vorhanden= lebenslange Rente ergänzend zur AHV-Rente (=Komplementärrente)?
- Hilflosenentschädigung wird UV im Okt. 25 prüfen und – bei Bedarf – lebenslang entrichten?
- Integritätsentschädigung: Bei Stabilisierung (nach dem 65. Geburtstag) wird diese berechnet, einmalig ausbezahlt.
- Pensionskasse: Soll hier individuell das Reglement geprüft werden, ob Einzahlungen nach dem 65. Geburtstag mögl. sind?
Die UV-Leistungen im Zusammenhang mit dem aktuellen Unfall bleiben nach 65 bestehen. Bei fortsetzender Arbeitstätigkeit können – trotz UV-Versicherung keine "neuen UV-Leistungen" versichert werden. Gibt es dazu einen Gesetzesartikel?
Die Anmeldung für die AHV-Rente wurde im Febr.25 eingereicht, aktuell erhält betroffene Person noch Unfalltaggelder – werden diese mit dem 65. Geb. in der Höhe verändert?
Vielen Dank und liebe Grüsse
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Guten Tag!
Gerne beantworte ich Ihre im Text enthaltenen Fragen übersichtsartig. Und habe jeweils auch die Gesetzesnormen angegeben.
- Bzgl. der Revision einer Rentenleistungen der IV kommt es darauf an, ob die jeweils relevante Invalidität (vgl. Art. 28 IVG) eintritt, bevor das Referenzalter erreicht wird. Verschlechterungen einer bereits bestehenden Invalidität sind zu berücksichtigen, wenn sie wesentlich sind im Sinne von Art. 17 ATSG. Konkretisierend gilt gemäss Art. 88a Abs. 2 IVV, dass eine verstärkte Erwerbsunfähigkeit zu berücksichtigen ist, sobald sie ohne wesentliche Unterbrechung drei Monate angedauert hat. Hier muss also nicht ein Wartejahr bestanden werden für eine Revision: Tritt bei einer Rentenbezügerin bzw. einem Rentenbezüger eine Verschlechterung der Erwerbsfähigkeit ein (z.B. Hinzutreten eines neuen Leidens, Verschlimmerung des bisherigen Leidens), so entsteht der Anspruch auf die höhere Rente, wenn die versicherte Person ohne wesentliche Unterbrechung während drei Monaten durchgehend im entsprechenden höheren Grad erwerbsunfähig war.
- Bzgl. der Rente der Unfallversicherung ist entscheidend, ob eine Invalidität im Sinne der Unfallversicherung gemäss Art. 19 IVG eingetreten ist. Das ist der Fall, wenn ein versicherter Unfall Ursache der Erwerbseinbusse ist, und wenn eine Behandlung keine namhafte Verbesserung des Gesundheitszustandes mehr erwarten lässt. Ebenso müssen Eingliederungsmassnahmen der IV abgeschlossen sein. Insoweit liegt im vorliegenden Fall kein Revisionsfall vor, sondern es stellt sich die Frage, ob neu eine Invaliditätsleistung der Unfallversicherung gewährt wird. Diese Rente wird grundsätzlich lebenslänglich gewährt, untersteht aber koordinationsrechtlichen Anpassungen an die IV-Rente und die AHV-Rente.
- In der Unfallversicherung besteht dabei schon eine Leistungspflicht ab 10% Invalidität. Für das Ausmass der Invalidität gilt, dass zwar grundsätzlich bei gleicher gesundheitlicher Beeinträchtigung die Invaliditätsgradbemessung in der IV und der UV denselben Invaliditätsgrad ergeben sollten. Aber es besteht keine Bindungswirkung der Invaliditätsschätzung der UV für die IV und umgekehrt (BGE 133 V 549; BGE 131 V 362).
- Es handelt sich bei der Leistung der Unfallversicherung um eine Komplementärrente, die mit der IV-Rente gemäss Art. 66 ATSG koordiniert wird auf höchstens 90% des versicherten Lohnes. Bei einer Ablösung der IV-Rente in eine Altersrente der AHV bei Erreichen des AHV-Rentenalters folgt grundsätzlich keine Neuberechnung der Komplementärrente (Art. 33 UVV). Hingegen erfolgt eine Anpassung, wenn die AHV-Rente aufgeschoben oder vorbezogen wird (Art. 33 Abs. 2 lit. e UVV).
- Für die Unfallversicherung ist unabhängig davon zu beachten, dass UV-IV-Renten bei Erreichen des Referenzrentenalters gekürzt werden. Diese Kürzung erfolgt bei Erreichen des Referenzalters, unabhängig davon, ob der Betroffene einen Rentenaufschub oder einen -vorbezug der AHV-Rente vorsieht. (vgl. Art. 20 Abs. 2ter und Abs. 2 quater UVG): Die Kürzung erfolgt je nach Höhe des UVG-versicherten Invaliditätsgrades und dem Alter beim Unfall (bei einem IV-UV-Grad von mind. 40% für jedes Jahr über dem Alter von 45 beim Unfall um 2% (bis zur Maximalkürzung von 40%); bei einem IV-Grad der Unfallversicherung von unter 40% um 1 % pro Jahr über dem Alter von 45 beim Unfall).
- Die BVG-Leistungen erfolgen mit Bindungswirkung an den IV-Entscheid gemäss Art. 23 BVG, wenn die Pensionskasse ins IV-Verfahren einbezogen war. Das gilt auch bzgl. einer allfälligen Revision. Zu beachten sind aber die Koodinationsbestimmungen, welche in vielen Fällen bei einer gleichzeitigen Leistung von IV- und UV-Renten dazu führen, dass die Pensionskasse keine Leistungen gewähren muss (vgl. Art. 66 Abs. 2 ATSG). Besondere Schutzregeln (Besitzstand etc.) bei vorbestehenden Invaliditätsleistungen der beruflichen Vorsorge mit Blick auf die Altersleistungen des BVG könnten höchstens bestehen gemäss dem Reglement der Pensionskasse. Dieses ist insoweit massgebend. Die PK und deren Reglement sind insoweit zu konsultieren.
- Bzgl. der Hilflosenentschädigung der Unfallversicherung (Art. 26 UVG; Art. 37 und Art. 38 UVV) gilt zunächst, dass ein dauernder Hilfebedarf gemäss Art. 9 ATSG vorliegen muss. Ob dies erste der Fall ist, wenn von einer Dauer von mind. zwölf Monaten auszugehen ist, hat die Rechtsprechung offengelassen (vgl. BGer 8C_745/2012 E.6.5). Ist die Voraussetzung gegeben besteht der Anspruch lebenslang.
- Die Integritätsentschädigungen gemäss Art. 24ff. UVG und Art. 36 UVV wird als Einmalzahlung gewährt, wenn der Unfall eine dauernde erhebliche Schädigung der Integrität zur Folge hat. Zu gewähren ist sie mit der Invalidenrente oder bei Beendigung der med. Behandlung, wenn keine UV-IV-Rente zu gewähren ist. Das Erreichen des AHV-Alters hat hier keinen Einfluss.
- Das Unfalltaggeld gemäss Art. 16 UVG wird grundsätzlich nur gewährt, soweit der Unfall einen Verdienstausfall zur Folge hat. Allerdings soll ein bestehender Anspruch auf Taggeld nicht enden, wenn das AHV-Alter erreicht wird (vgl. BGE 134 V 392 E. 5.3). Es ist also damit zu rechnen, dass der Bezug der AHV-Rente keinen Einfluss hat auf das Unfall-Taggeld. Verfährt die Unfallversicherung hier anders, so sollte unter Verweis auf das hier genannte Urteil interveniert werden, ev. eine Verfügung verlangt oder eine Einsprache erwogen werden.
- Soweit eine unselbständige Erwerbstätigkeit besteht, gibt es für die Unfallversicherung keine Altersgrenze. Wenn also nach 65 ein Angestelltenverhältnis besteht, besteht auch eine Versicherung gegen Unfälle. Bei einer Anstellung von mindestens acht Stunden pro Woche gilt dies auch für Nichtbetriebsunfälle. Allerdings sieht Art. 18 Abs. 1 UVG vor, dass Unfälle, die sich nach Erreichen des Referenzalters ereignen, keinen Anspruch auf eine Invalidenrente der Unfallversicherung vermitteln.
Ich hoffe, das dient Ihnen.
Prof. Peter Mösch Payot