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Pflegeheimfinanzierung bei drohender Nichtverlängerung einer Aufenthaltsbewilligung B

Veröffentlicht:
23.01.2019
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Guten Tag,
Eine hochbetagte, demente Klientin ist derzeit bei uns hospitalisiert, sie ist wohnhaft im Kanton Solothurn. Sie wohnte bisher mit ihrem Schwiegersohn zusammen, was nun nicht mehr verantwortbar ist aufgrund der sozial komplexen Verhältnissen im häuslichen Umfeld und dem erhöhten Pflegebedarf. Ein Eintritt in ein Pflegeheim ist vonnöten. Diesbezüglich stellt sich folgende Schwierigkeit:
Frau X. hat eine Aufenthaltsbewilligung B, die seit ihrer Einreise aus Deutschland in die Schweiz im Jahr 2011 jährlich erneuert wird dank einer Bürgschaft, die die Adoptivtochter von Frau X. unterzeichnet hat. Frau X. bezieht eine deutsche Altersrente und ist bei der DAK Gesundheit krankenversichert. Zudem ist sie bei der Gemeinsamen Einrichtung KVG Solothurn versichert.
Die Adoptivtochter von Frau X. ist im Herbst 2018 unerwartet verstorben. Die Aufenthaltsbewilligung von Frau X. läuft per Ende April 2019 aus. Eine KESB-Meldung ist im Gange bei prekären sozialen Verhältnissen, ein Antrag auf Abklärung einer umfassenden Beistandschaft ist gestellt.
Der Schwiegersohn und dessen Stiefkinder bangen nun darum, ob Frau X. in der Schweiz verbleiben kann oder in Deutschland in ein Pflegeheim platziert werden muss. Soweit ich informiert wurde, hat Frau X. in Deutschland keine Angehörigen; eine leibliche Tochter wohnt in den Niederlanden. Die nächsten Angehörigen sind finanziell nicht gut abgesichert; der Schwiegersohn bezieht eine IV-Rente, die Stiefenkelinnen sindselber arbeitslos und von Nichtverlängerung einer Aufenthaltsbewilligung bedroht bzw. working poor. Eine weitere Bürgschaft der Angehörigen ist somit nicht möglich.
Meine Frage: ist die Sozialhilfe dazu verpflichtet, bis zum Ablauf der Aufenthaltsbewilligung die Finanzierung eines Pflegeheimafenthaltes zu sichern? Läuft Frau X. dann jedoch Gefahr, dass ihre Aufenthaltsbewilligung nicht verlängert oder gar widerrufen wird, da sie Sozialhilfeabhängig wird?
Bedeutet dies im konkreten Fall, dass sie nach Deutschland zurückkehren muss?
Ich hoffe, dass Sie meine Ausführungen soweit nachvollziehen können und danke Ihnen für Ihre Antwort!
Freundliche Grüsse,
Helene Graber

Frage beantwortet am

Ruth Schnyder

Expert*in Sozialhilferecht

Sehr geehrte Frau Graber
Gerne beantworte ich Ihre Frage. Aufgrund Ihrer Schilderung nehme ich an, dass Frau X über eine B-Bewilligung als Nichterwerbstätige verfügt.
Bei EU-Staatsangehörigen mit Bewilligung B als Nichterwerbstätige ist gemäss Freizügigkeitsabkommen (FZA) der Sozialhilfebezug nicht ausdrücklich ausgeschlossen. D.h. gerät eine Person mit der entsprechenden Bewilligung in Not, muss diese Person im Bedarfsfall nach den Bestimmungen der kantonalen Sozialhilfegesetze ordentlich unterstützt werden. Im Sozialgesetz vom 31.1.07 des Kantons Solothurns (SG) sind keine Sonderregelungen zu ausländischen Personen mit B-Bewilligung vorgesehen. § 147 Abs. 3 SG verweist im Bereich der Sozialhilfe lediglich auf Sonderregelungen für andere Personengruppen wie Asylsuchende. Insoweit hat die Sozialhilfe für ungedeckte Kosten des unumgänglichen und notwendigen Pflegeaufenthalts aufzukommen. Beantragt eine Person mit Bewilligung B als Nichterwerbstätige (FZA) Sozialhilfe (oder Ergänzungsleistungen vgl. BGE 135 II 265), kann aber die Aufenthaltsbewilligung vom Migrationsamt widerrufen werden (Weisungen VEP, Kapitel 8.2.3 und 8.2.4 mit Verweis auf Art. 24 Abs. 8 Anhang I sowie Abs. 1 Anhang 1 Ziff. II 10.2.1 FZA, Art. 62 Abs. 1 lit. d AIG), was zur Folge hätte, dass die betreffende Person die Schweiz verlassen muss.
Das Gesagte gilt auch für Angehörige von Drittstaaten, die über eine B-Bewilligung als Nichterwerbstätige verfügen. In diesen Fällen ist jedoch ein Widerruf bei Bezug von Ergänzungsleistungen gesetzlich nicht vorgesehen, jedoch bei Bezug von Sozialhilfe (Art. 62 Abs. 1 lit. e Ausländer- und Integrationsgesetz vom 16.12.05 [AIG], so auch BGE 135 II 265). Bei der Prüfung des Widerrufs hat das Migrationsamt stets die Verhältnismässigkeit zu beachten. Es muss also die gesamten Umstände des Einzelfalls prüfen. Laut Verwaltungsgericht des Kantons Zürich ist bei Rentnern ein Widerruf gestützt auf Art. 62 Abs. 1 lit. e AUG (ab 1.1.19 AIG) oft unverhältnismässig (Urteil VB 2018.0038 vom 11.7.18 E. 2.4.1). Das Bundesgericht führt zur Frage der Verhältnismässigkeit im Urteil 2C419/2018 vom 29.10.18 in grundsätzlicher Weise aus: «2.2. Liegt der Widerrufsgrund der Sozialhilfeabhängigkeit vor, ist zu prüfen, ob die damit verbundene aufenthaltsbeendende Massnahme verhältnismässig erscheint. Ausschlaggebend ist das persönliche Verhalten der betreffenden Person (Urteil 2C515/2016 vom 22. August 2017 E. 3.2), wobei vor allem das Verschulden an der Situation, der Grad der Integration bzw. die Dauer der bisherigen Anwesenheit sowie die der betroffenen Person und ihrer Familie drohenden Nachteile zu berücksichtigen sind; zu beachten ist auch die Qualität der sozialen, kulturellen und familiären Beziehungen sowohl im Gast- wie im Heimatland (Urteile 2C395/2017 vom 7. Juni 2018 E. 3.2; 2C775/2017 vom 28. März 2018 E. 3.2).“
Der Frage der Verhältnismässigkeit kommt in der Praxis wohl mehr Gewicht bei B-Bewilligungen für Drittstaatenangehörige zu als bei solchen des FZA. Bei einem deutschen Staatsangehörigen bestätigte etwa das Bundesgericht den Widerruf und damit die Rückkehr ohne vertiefte Prüfung (vgl. Urteil 2C_7/2014 vom 20.1.14). Letztlich kann als Fazit festgehalten werden, dass die Möglichkeit des Widerrufs besteht. Wollen Sie mehr über die Handhabung des Widerrufs erfahren, wäre das kantonale Migrationsamt die zuständige Stelle oder allenfalls spezialisierte Beratungsstellen.
Abschliessend möchte ich Sie noch darauf hinweisen, dass im geschilderten Fall ein Anspruch auf Ergänzungsleistungen (EL) geprüft werden sollte, und zwar aufgrund der Möglichkeit einer rentenlosen EL, falls die AHV-Rente nur an den versicherungsmässigen Voraussetzungen scheitert (Art. 4 Abs. 1 lit. b ELG). In Bezug auf die migrationsrechtliche Relevanz eines EL-Bezugs verweise ich auf meine obigen Ausführungen. Anschliessend könnte auch eine Hilfslosenentschädigung nach AHVG (Art. 43bis Abs. 1 AHVG) beantragt werden.
Ich hoffe, Ihnen helfen diese Ausführungen, um das weitere Vorgehen festlegen zu können.
Freundliche Grüsse, Ruth Schnyder