Sehr geehrte Damen und Herren
Ausgangslage: Mein Klient ist seit längerer Zeit von der Sozialhilfe abhängig und hätte aus früheren Bezügen Rückerstattungen zuhanden der Sozialbehörde. Ob und wieviel ist mir nicht bekannt.
Seit dem 7. Januar 2019 erhält er im Rahmen einer beruflichen Integration IV-Taggelder. Diese liegen knapp über dem Betrag der Sozialhilfe. Das IV-Taggeld wird rückwirkend ausbezahlt. Das heisst das IV-Taggeld Januar 2019 hat er um den 7. Februar 2019 erhalten. Das Februar TG demzufolge anfangs März.
Die IV-Massnahme ist befristet bis am 9. April 2019. Wenn er diese erste Massnahme (Belastbarkeitstraining) gut geht, wird das Aufbautraining ab 10. April 2019 verfügt. Dieses Aufbautraining dauert 6 Monate, danach ist ein Praktikum im ersten Arbeitsmarkt wiederum von 6 Monaten geplant. Funktioniert alles wie vorgesehen dauert die IV-Massnahme 15 Monate. Bis jetzt hat alles gut geklappt.
Das Sozialamt rechnet nun die IV-Taggelder Januar 2019 rückwirkend für den Lebensunterhalt Januar 2019 an und hat es dem Klienten nicht erlaubt, sich rückwirkend per 31.12.2018 von der Sozialhilfe abzumelden. Der Sozialarbeiter geht davon aus, dass mein Klient die Eingliederung nicht schaff und sie erneut Sozialhilfe ausrichten müssten und somit auf einen Übernahmeüberschuss verloren geht. Die IV, der Psychiater, mein Klient und ich selber sind der Ansicht, dass die Eingliederung klappt. Das entsprechende Sozialamt will auch keinen Übergangsmonat nach SKOS-Richtlinien ausrichten.
Wenn das Sozialamt das IV-Taggeld nicht wie Lohn anrechnet, kann sich mein Klient nicht von der Sozialhilfe ablösen. Zudem ist das Sozialamt der Ansicht, dass der Überschuss jeweils auf den Folgemonat übertragen werden muss (mit den ersten drei Monaten bin ich einverstanden) und möchte, dass der Überschuss den Schulden gegenüber dem Sozialamt angerechnet wird.
Meine Frage: Wie wird das IV-Taggeld mit der Sozialhilfe angerechnet. Wird das IV-Taggeld periodengerecht angerechnet, sprich IV-Taggeld wird der Sozialhilfe Januar angerechnet oder analog einem Lohn, da das Taggeld rückwirkend ausbezahlt wird?
Besten Dank für Ihre geschätzte Antwort.
Freundliche Grüsse
Silvia Ulrich
Frage beantwortet am
Anja Loosli Brendebach
Expert*in Sozialhilferecht
Sehr geehrte Frau Ulrich
Vielen Dank für Ihre interessante Frage. Ich beantworte diese gerne wie folgt>:
Taggelder stellen Einnahmen dar, die an die Sozialhilfeleistungen anzurechnen sind (z.B. Ziff. 9.1.01 Handbuch Sozialhilfe Kanton Zürich). Sie ergänzen die Eingliederungsmassnahmen indem sie den Lebensunterhalt der Versicherten während der Eingliederung sicherstellen. Das Taggeld stellt einen Lohnersatz dar (Art. 22 ff. Bundesgesetz über die Invalidenversicherung [IVG], Ziff. 11.1.03 Handbuch Sozialhilfe Kanton Zürich). In Art. 80 Abs. 1 der Verordnung über die Invalidenversicherung (IVV) wird ausdrücklich festgehalten, dass die Taggelder der IV monatlich nachschüssig ausbezahlt werden. Nachschüssig bedeutet, dass die Leistung am Ende einer Periode erbracht wird. So wird denn auch in ZIff. 9.1.01 des Zürcher Handbuchs Sozialhilfe unter Erwerbsersatzeinkommen festgehalten, dass Taggelder von Sozialversicherungen (dazu gehört die IV) wie Lohn als Einnahmen im Folgemonat anzurechnen sind, weil die Taggelder Ende Monat ausbezahlt werden.
Aus dem Gesagten folgt für mich, dass die Taggelder für die z.B. im Januar geleisteten IV-Massnahmen erst Ende Januar (ich komme noch darauf, weshalb es wie in Ihrem Fall auch anfangs Februar sein kann) ausbezahlt werden und dann im Folgemonat, d.h. im Februar als Einnahmen anzurechnen sind.
Dass in dem von Ihnen geschilderten Fall die Taggelder nicht Ende Monat sondern erst im Folgemonat ausbezahlt werden, erkläre ich mir damit, dass in Art. 81 Abs. 1 IVV geregelt wird, dass die zuständige Stelle die Anzahl der Tage, für welche ein Anspruch auf Taggelder besteht, bescheinigen muss, wobei die Bescheinigung vor dem Auszahlungsdatum erfolgen muss (Abs. 2 Art. 81 IVV).Wenn die Bescheinigung erst nach Ablauf des Einsatzmonats eingeht, kann die Zahlung auch erst dann erfolgen. Es stellt sich für mich die Frage, ob diese Leistungen dann sogar erst im auf die Zahlung folgenden Monat anzurechnen wäre. Das wäre in obigem Beispiel dann der März statt der Februar.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Anrechnung der Taggelder in der Leistungsperiode rechtlich falsch ist. Die Anrechnung darf frühestens im Folgemonat erfolgen.
Wie können Sie bzw. Ihr Klient sich dagegen wehren?
Wenn die Sozialhilfe die Taggelder in der Budget- oder Abrechnungsverfügung ab Januar 2019 berücksichtigt hat, dann können die Verfügungen mit Rekurs angefochten und verlangt werden, dass die Taggelder im Folgemonat angerechnet werden. Für das Januarbudget bzw. die Januarabrechnung ist die Rekursfrist wohl abgelaufen, da sie nach § 22 des Verwaltungsrechtspflegegesetzes des Kantons Zürich 30 Tage beträgt. Zumindest die Verfügung betr. März dürfte aber noch anfechtbar sein.
Nun kommt jedoch hinzu, dass Sie sagen, Ihr Klient ist mit den Taggeldern gar nicht mehr bedürftig und möchte - zumindest vorübergehend - nicht mehr unterstützt werden. Nach § 14 SHG ZH ist bedürftig und hat Anspruch auf Unterstützung, wer für seinen Lebensunterhalt nicht hinreichend oder nicht rechtzeitig aus eigenen Mitteln aufkommen kann. Gerade dies kann nun Ihr Klient mit den Taggeldern vorübergehend aber. Er hat deshalb meiner Ansicht nach für die Monate Februar - März 2019 (allenfalls März bis April) gar keinen Anspruch auf finanzielle Unterstützung der Sozialhilfe. Die Sozialhilfe darf ihn nicht weiter "zwanghaft" unterstützen. Es kommt hinzu, dass die Sozialhilfe auf dem Prinzip der Freiwilligkeit beruht (Guido Wizent, Die sozialhilferechtliche Bedürftigkeit, Zürich/St. Gallen 2014, S. 82). Will jemand nicht unterstützt werden, auch wenn er bedürftig ist, muss er sich nicht unterstützen lassen. Meldet sich Ihr Klient also von der Sozialhilfe ab, darf sie ihn nicht weiter unterstützen und somit künftig die Taggelder weder als Einnahmen anrechnen noch einbehalten.
Aufgrund des Sachverhalts gehe ich davon aus, dass die IV-Taggelder an die Sozialhilfe ausbezahlt werden, da der Klient seinen Taggeldanspruch nach § 19 Abs. 1 SHG ZH wohl an die Sozialhilfebehörde abgetreten hat bzw. die Sozialhilfe von der IV verlangt hat, dass diese das Geld direkt an sie ausbezahlt (§ 19 Abs. 2 SHG). Es gilt deshalb der IV mitzuteilen, dass Ihr Klient sich von der Sozialhilfe abgelöst hat (wenn er dies tut) und die Taggelder zukünftig deshalb an ihn direkt zu bezahlen sind. Werden die Taggelder - anders als ich vermute - auch aktuell an ihn ausbezahlt, ist eine Meldung an die IV dennoch angezeigt, damit diese auf allfällige Forderungen der Sozialhilfe entsprechend reagieren kann.
Ist die Sozialhilfe nicht bereit, Ihren Klienten abzulösen und die allenfalls für die künftigen Monate bereits erhaltenen Leistungen an ihn auszubezahlen, so kann Ihr Klient bzw. Sie in seinem Namen eine anfechtbare Verfügung verlangen bzgl. der Ausbezahlung bzw. Einbehaltung der Taggelder.
Ich hoffe, Ihnen mit meiner Antwort weiterhelfen zu können.
Freundliche Grüsse
Anja Loosli Brendebach