Meine Klientin erhielt im Januar 2019 einen IV-Vorbescheid und im März 2019 eine Verfügung für eine 100 % IV-Rente. Das Verfahren hat seit Erstdiagnose & Anmeldung (2014) ca. 5 Jahre gedauert. Sowohl im Vorbescheid wie auch in der Verfügung erhielt die Pensionskasse jeweils 1 Kopie des Rentenentscheides und auch der Entscheidungen zur Wiedereingliederung. Wie ich von anderen mir bekannten Fällen weiss, können auch die Pensionskassen Einwände/Beschwerde gegen Entscheide der IV führen. Die Rente meiner Klientin deckt nicht das Existenzminimum. Drum habe ich sie informiert, dass sie zuerst noch den Pensionskassenentscheid für die PK-Rente abwarten soll und dann anschliessend klären, ob noch ein EL-Anspruch besteht. Ich hatte auch schon Fälle, wo die EL die Leistungen verweigert haben bis zum Zuspruch der PK-Rente.
Seit 1 Jahr hat die Pensionskasse keine Rentenverfügung erlassen und informiert jetzt nach einem Jahr, dass sie die Klientin erneut einer medizinischen Begutachtung unterziehen möchten. Zu diesem Zweck soll meine Klientin eine Vollmacht zur Weiterleitung von Akten an Dritte unterschreiben.
Mit diesem Schreiben erhielt sie ein weiteres Schreiben der Pensionskasse, dass sie trotz hängiger Pensionskassenrente EL beantragen könne. Diese wurde nun provisorisch berechnet. Die Pensionskasse begründet ihr Vorgehen damit, dass die versicherte Person zum Zeitpunkt des Ausscheidens im Betrieb des letzten Arbeitgebers von diesem als "Austritt" nach Kündigung gemeldet hat und nicht als Versicherungsfall. Infolgedessen wurde das Guthaben auf ein Freizügigkeitskonto überwiesen.
Kann die Pensionskasse mit dieser Begründung den Versicherungsfall einfach nochmals aufrollen? Ich bin davon ausgegangen, dass dies nicht möglich ist, da die anlässlich des Vorbescheids und der Verfügung im IV Verfahren weder Einwand noch Beschwerde geführt hat gegen den Entscheid.
Muss die Klientin in diesem Fall tatsächlich ihrer Mitwirkungspflicht nachkommen, und sich auf Wunsch der Pensionskasse nach Abschluss des IV-Verfahrens nochmals weiteren Vertrauensärztlichen Untersuchungen unterziehen? Wenn ja, wo ist dies gesetzlich geregelt?
Besten Dank für die Beantwortung meiner Anfrage & freundliche Grüsse
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Sehr geehrte Frau Keller
Entschuldigen Sie die den speziellen Umständen geschuldete Wartezeit.
a) Tatsächlich besteht grundsätzlich eine Bindungswirkung des IV-Entscheides für die PK, wenn die entsprechende PK in das IV-Verfahren, wie im vorliegenden Fall, einbezogen war (Art. 23 BV; vgl. BGE 129 V 74 E. 4; BGE 132 V 1 E.3; BGE 132 V 74 E. 3.2.2).
Verbindlich sind dabei insb. der IV-Grad und der Beginn der Invalidität.
Abweichungen können sich ergeben, wenn eine bereits seit Längerem bestehende Arbeitsunfähigkeit zu einer Invalidisierung führt. Insoweit kann es sein, dass aus dem IV-Entscheid nicht abgeleitet werden kann, WANN die relevante Arbeitsunfähigkeit begann, die später zur Invalidität führt. Dies deswegen, weil ja die IV selber nur prüfen muss, ob seit Anmeldung bei der IV sechs Monate abgelaufen sind, und ob ein Jahr vor diesem Zeitpunkt bereits eine relevante Arbeistunfähigkeit bestand (Art. 29 IV). So kann es sein, dass sich aus dem IV-Entscheid nichts ableiten lässt, WANN vorher die AUF begann. Dies ist aber für die Frage, ob eine Pensionskassendeckung besteht, zentral. (Art. 23 BVG)
Ebenso ist die Bindungswirkung nicht bestehend im Überobligatorium. Insoweit sind die reglementarischen Bedingungen genau zu studieren.
Die Bindungswirkung entfällt auch, wenn der Entscheid der IV offensichtlich unhaltbar ist. Die Hürden für diese Behauptung sind aber für die PK hoch (BGE 126 V 311 E. 2a).
b) Eine spezielle Situation besteht auch bei Teilzeitbeschäftigten, insb. wenn der IV-Grad im IV-Entscheid nach der gemischten Methode festgelegt wurde. Die PK versichert nur die Einschränkung der Erwerbstätigkeit. Es ist also die IV-Entscheidung nur soweit beachtlich, als die Einschränkung im Erwerbsbereich wiedergibt, wobei das Valideneinkommen (das in der IV auf ein 100%-PEnsum hochgerechnet wird; vgl. Art. 27bis Abs. 3 lit. a IVV), wieder herungergerechnet wird auf den tatsächlichen Verdienst gemäss der Teilzeiterwerbstätigkeit (BGE 144 V 72).
c) Es ist im vorliegenden Sachverhalt noch nicht ganz klar, weswegen die Pensionskasse von einer fehlenden Bindungswirkung ausgeht und das Verfahren nochmals eröffnet. Ev. geht es darum, dass der Zeitpunkt des Beginns der Arbeitsunfähigkeit nicht klar feststeht, bzw. aus dem IV-Entscheid nicht eruierbar ist aus den oben genannten Gründen.
d) Ich rate dazu, die PK schriftlich an die Bindungswirkung zu erinnern unter Verweis auf BGE 129 V 74 und z.B. auf die Literatur: Stauffer (2019). BErufliche Vorsorge. 3. Auflage. Rz. 1016ff. und zu verlangen, dass die gesetzlichen und reglementarischen Leistungen gewährt werden.
Gleichzeitig kann bzgl. der nachgefragten Vollmacht und der verlangten Untersuchung verlangt werden, dass schriftlich präzisiert wird, auf welcher Grundlage UND bei wem UND zu welchem Zweck Informationen eingeholt werden sollen, bzw. eine vertrauensärztliche Untersuchung erfolgen soll.
e) Sie können sich nach Bedarf nach diesem Schritt gerne wieder an dieses Forum wenden.
Ich hoffe, das dient Ihnen.
Prof. Peter Mösch Payot