Guten Tag
Folgende Situation:
Zwei minderjährige Kinder (Jg. 2009 und 2011), lebten bei der Mutter im Kanton NW (Gemeinde E.) Die Mutter hatte das alleinige Sorgerecht.
Am 25.10.2013 werden die Kinder in einer Pflegefamilie (ausserkantonal) platziert. Eine Beistandschaft nach Art. 308 Abs. 1 und 2 wird errichtet.
Am 13.04.2017 wird die Massnahme angepasst und das Aufenthaltsbestimmungsrecht der Mutter aufgehoben (Art. 310 ZGB). Die Kinder werden getrennt und in unterschiedlichen Pflegefamilien (ausserkantonal) platziert.
Seit Platzierung der Kinder zieht die Mutter diverse Male innerhalb wie auch ausserhalb des Kantons um. Zeitweise bezieht sie an ihrem neuen Wohnort WSH.
Bezüglich WSH für die Kinder (Elternbeitrag) haben wir den Standpunkt vertreten, dass nach nach Abs. 3 lit. c ZUG die Kinder einen eigenen Unterstützungswohnsitz am letzten Unterstützungswohnsitz nach den Absätzen 1 und 2 begründen, wenn sie dauernd nicht bei den Eltern oder einem Elternteil wohnen (abgeleiteter Wohnsitz = Gemeinde E.).
Nun zur Frage: lässt sich diese Argumentation auch in Bezug auf die Alimentenbevorschussung (AB) anwenden? Oder gilt bei der AB das ZGB als Rechtsgrundlage? Dies würde bedeuten, dass für die WSH die Gemeinde E. hingegen für die AB die Gemeinde B. (aktueller, zivilrechtlicher Wohnsitz der Mutter) zuständig wäre?
Ich hoffe, der geschilderte Sachverhalt ermöglicht eine rechtliche Einschätzung.
Besten Dank und freundliche Grüsse
Annamaria Dell'Amore
Frage beantwortet am
Karin Anderer
Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz
Sehr geehrte Frau Dell‘Amore
Art. 290 ZGB regelt die Inkassohilfe und Art. 293 Abs. 2 ZGB die Bevorschussung von Kindesunterhalt; beide Aufgaben fallen den Kantonen zu.
Die Alimentenbevorschussung ist somit kantonal geregelt, im Kanton Nidwalden im Gesetz über die Sozialhilfe (Sozialhilfegesetz, SHG) und in der Vollzugsverordnung zum Gesetz über die Sozialhilfe (Sozialhilfeverordnung, SHV).
Art. 2 SHG regelt die Arten der Sozialhilfe, die generelle Sozialhilfe und die individuelle Sozialhilfe, welche die persönliche Sozialhilfe, die wirtschaftliche Sozialhilfe und die Sonderhilfen umfasst. In Art. 32 SHG ist die Alimentenbevorschussung geregelt, sie stellt eine Sonderhilfe dar.
Art. 7 SHG regelt die Zuständigkeit. Die Sozialhilfe ist grundsätzlich eine Aufgabe der Politischen Gemeinden. Die Durchführung der Sozialhilfe obliegt jener Politischen Gemeinde, in der die hilfesuchende Person den Unterstützungswohnsitz gemäss den Bestimmungen des Bundesgesetzes über die Zuständigkeit für die Unterstützung Bedürftiger (Zuständigkeitsgesetz, ZUG) hat; vorbehalten bleiben Bestimmungen in der eidgenössischen und kantonalen Spezialgesetzgebung.
Nach Art. 32 Abs. 1 SHG haben die politischen Gemeinden die Unterhaltsbeiträge zu bevorschussen. § 11 SHV regelt die Geltendmachung; der Anspruch auf Alimenteninkasso und Alimentenbevorschussung ist von der unterhaltsberechtigten Person beziehungsweise von deren gesetzlichen Vertretung geltend zu machen. Nach Art. 289 ZGB steht der Anspruch auf Unterhaltsbeiträge dem Kind zu und wird, solange das Kind minderjährig ist, durch Leistung an dessen gesetzlichen Vertreter oder den Inhaber der Obhut erfüllt, soweit das Gericht es nicht anders bestimmt. Kommt jedoch das Gemeinwesen für den Unterhalt auf, so geht der Unterhaltsanspruch mit allen Rechten auf das Gemeinwesen über.
Der zivilrechtliche Wohnsitz der Kinder leitet sich nach Art. 25 Abs. 1 ZGB von der Mutter ab, solange sie die alleinige elterliche Sorge innehat und sich in der Schweiz aufhält. Die Aufhebung des Aufenthaltsbestimmungsrechts nach Art. 310 ZGB hat auf die Bestimmung des zivilrechtlichen Wohnsitzes in der vorliegenden Konstellation (alleinige elterliche Sorge) keinen Einfluss.
Nach Art. 7 Abs. 3 lit. c ZUG (nicht Art. 3 ZUG) haben die Kinder, die dauernd nicht bei der Mutter wohnen, einen eigenen Unterstützungswohnsitz am Ort, wo sie unmittelbar vor der Platzierung mit der Mutter gewohnt haben. Gemäss Ihren Angaben war das der Ort E im Kanton NW, E ist somit der Unterstützungswohnsitz.
Die Alimentenbevorschussung ist im Sozialhilfegesetz geregelt und Art. 7 SHG regelt die Zuständigkeiten. Ob der Nidwaldner Gesetzgeber die Anknüpfung auch für die Alimentenbevorschussung am Unterstützungswohnsitz wollte, oder ob es sich hier um eine Regelungslücke handelt, kann ich im Rahmen der Kurzberatung nicht vertieft analysieren. Aus den mir zugänglichen Materialien fand ich keine Antworten. Im Kanton Nidwalden ist das Sozialhilfe-Handbuch nicht publiziert, allenfalls lassen sich dort noch Hinweise finden. Wenden Sie sich mit der Frage nach der Zuständigkeit für die Alimentenbevorschussung an das Kantonale Sozialamt. Nach meinem Dafürhalten wäre eine Anknüpfung an den zivilrechtlichen Wohnsitz der Kinder – und nicht an denjenigen der Mutter – die sachgerechtere Lösung. Der Unterstützungswohnsitz der Kinder bleibt für die ganze Dauer der Platzierung in E im Kanton NW bestehen, auch wenn die Kinder im Kanton NW keinen zivilrechtlichen Wohnsitz mehr haben.
Nach Art. 3 Abs. 2 lit. a ZUG stellen Alimentenvorschüsse keine Sozialhilfeleistungen dar, sie sind Leistungen mit Subventionscharakter (Werner Thomet, Kommentar zum Bundesgesetz über die Zuständigkeit für die Unterstützung Bedürftiger, 2. Auflage, Zürich 1994, N 81).
Ich hoffe, die Angaben sind Ihnen trotzdem nützlich und ich grüsse Sie freundlich.
Karin Anderer
Luzern, 26.3.2018