Sehr geehrte Damen und Herren
Eine Person mit Diebesgut wird am 30. September 2016 in einem Zug aufgegriffen und im Bahnhof der Gemeinde A aus dem Zug genommen. Sie kommt in Untersuchungshaft, welche sich im Sicherheitsstützpunkt der Gemeinde B befindet. Bei der Person wurde eine Verwirrtheit festgestellt. Am 6. Oktober 2016 wurde die Person per FU in eine psychiatrische Klinik eingeliefert. Am 13. Oktober 2016 hat die Person die Klinik verlassen.
Ob die angegebenen Personalien der Person korrekt sind, konnte durch die Staatsanwaltschaft nicht geklärt werden. Am 6. Oktober hatte die Staatsanwaltschaft den Fall abgeschlossen, weil das Delikt sich im Kanton C ereignete. Die Staatsanwaltschaft des Kantons C trat nicht auf den Fall ein.
Aufgrund der vorliegenden Informationen besteht kein Unterstützungswohnsitz in der Schweiz und die Nationalität ist vermutlich Rumäne.
Die psychiatrische Klinik versendet für den Aufenthalt von 8 Tagen eine Rechnung von rund Fr. 7‘900.00 an die Gemeinde A.
Folgende Fragen stellen sich:
- Ist die Gemeinde A oder B die Notfallgemeinde? Gemäss § 21 ShG des Kt. Schwyz obliegt die Pflicht zur Hilfe derjenigen Gemeinde, auf deren Gebiet die Hilfsbedürftigkeit eingetreten ist. Da die Person erst nach 6 Tagen in die psychiatrische Klinik per FU überwiesen wurde, ist es fraglich, ob es sich um einen Notfall gehandelt hat, welcher in der Gemeinde A stattfand.
(Artikel 5 und Artikel 9 Abs. 3 des ZUG beziehen sich immer auf den Unterstützungswohnsitz). - Ist jemand auf sofortiger Hilfe angewiesen, so muss nach Art. 13 des ZUG der Aufenthaltskanton ihm diese leisten. Wie lange besteht bei einer psychischen Beschwerde ein Notfall? Insbesondere wenn die Person anscheinend nach 8 Tagen die Klinik verlassen hat.
- Kann aufgrund der Verwirrtheit der Person eine Massnahme nach Art. 56 StGB in Betracht gezogen werden?
Vielen Dank für Ihre Antwort.
Frage beantwortet am
Ruth Schnyder
Expert*in Sozialhilferecht
Sehr geehrter Herr Schaller (lieber Philipp)
Gerne beantworte ich Ihre Anfrage. Im Wesentlichen geht es darum, ob die Gemeinde A. das zahlungspflichtige Gemeinwesen für die aufgegriffene ausländische Person darstellt. Erst, wenn dies zu bejahen wäre, wäre die geleistete Hilfe aus dem Blickwinkel der Notfallhilfe näher anzuschauen.
Nach Rückfrage bei Ihnen handelt es sich bei den Gemeinden A. und B. um Schwyzer Gemeinden, d.h. es handelt sich um eine innerkantonale Zuständigkeitsfrage. Gemäss Schwyzer Sozialhilferecht kommen die Bestimmungen des Bundesgesetzes vom 24. Juni 1977 über die Zuständigkeit für die Unterstützung Bedürftiger (ZUG) sinngemäss zur Anwendung, soweit Gesetz oder Verordnung nichts etwas anderes vorschreiben (Art. 4 SHV).
Im vorliegenden Fall verhält es sich so, dass bei der ausländischen Person nicht bekannt ist, woher sie kommt und was ihre Absichten waren mit der Reise, sie zudem papierlos ist, oder zumindest die Richtigkeit nicht festgestellt werden konnte. So kommt man nicht umhin, die Zuständigkeit am Aufenthaltsort anzuknüpfen, ohne bisherige Orte einbeziehen zu können. Für die Frage des Aufenthalts sieht das Schwyzer Sozialhilferecht keine besondere Regelung vor, so dass jene des ZUG zur Anwendung gelangt.
Nach Art. 21 ZUG gilt Folgendes bei ausländischen Personen:
Art. 21 Ausländer ohne Wohnsitz in der Schweiz
1 Bedarf ein Ausländer, der sich in der Schweiz aufhält, hier aber keinen Wohnsitz hat, sofortiger Hilfe, so ist der Aufenthaltskanton unterstützungspflichtig.
2 Der Aufenthaltskanton sorgt für die Rückkehr des Bedürftigen in seinen Wohnsitz- oder Heimatstaat, wenn nicht ein Arzt von der Reise abrät.
Der in Art. 21 ZUG erwähnte Aufenthaltskanton bestimmt sich nach der allgemeinen Regel von Art. 11 ZUG:
1 Als Aufenthalt nach diesem Gesetz gilt die tatsächliche Anwesenheit in einem Kanton; dieser wird als Aufenthaltskanton bezeichnet.
2 Ist eine offensichtlich hilfsbedürftige, insbesondere eine erkrankte oder verunfallte Person auf ärztliche oder behördliche Anordnung in einen andern Kanton verbracht worden, so gilt der Kanton als Aufenthaltskanton, von dem aus die Zuweisung erfolgte.
Indem die ausländische Person in der Gemeinde A. aus dem Zug genommen wurde, erfüllte sie das Kriterium der tatsächlichen Anwesenheit, so dass sie damit Aufenthalt in der Gemeinde A. begründet hat (vgl. dazu Werner Thomet, ZUG-Kommentar zu Art. 11, Rz. 169). Mit der strafrechtlich motivierten Verbringung in die Haftanstalt, die nach Rückfrage mit Ihnen unmittelbar erfolgte, hat man jedoch nicht ihrer Hilfsbedürftigkeit begegnet. D.h. Absatz 2 von Art. 11 ZUG kommt gar nicht zur Anwendung (vgl. dazu Werner Thomet, ZUG-Kommentar zu Art. 11, Rz. 173), so dass eine weitere Zuständigkeit der Gemeinde A entfällt.
Damit trifft die Gemeinde A. auch keine Rückvergütungszuständigkeit in Bezug auf den Klinikaufenthalt im Sinne von § 21 Abs. 2 des Schwyzer SHG. Zuständig bleibt in diesem Fall alleine der Sitzort der Haftanstalt, gemäss Ihren Ausführungen die Gemeinde B. Diese kommt gestützt auf Art. 21 i.V.m. 11 Abs. 1 ZUG (Verweis auf das ZUG gemäss Art. 4 des Schwyzer SHV/§ 18 des Schwyzer SHG) die Zuständigkeit zu, so auch für den während der Haft eingeleiteten Klinikaufenthalt.
Die Frage des Notfalls kann somit offen bleiben. Die Soforthilfe im Sinne von Art. 21 ZUG ist jedoch so zu verstehen, dass sie auf das Minimum beschränkt ist und angezeigt ist, soweit sie erforderlich ist, dies bis zur zumutbaren Rückreise (vgl. auch ZUG-Kommentar, Rz. 235).
Ich hoffe, Ihnen mit dieser Antwort gedient zu haben.
Freundliche Grüsse, Ruth Schnyder