Liebes Expertenteam
ihm Rahmen einer Kinderschutzabklärung bei einer 17jährigen wurde festgestellt, dass die Kindsmutter die Krankenkassenprämie nie bezahlt hat. Die Jugendliche wohnt seit je her bei ihrer Grossmutter. Es gab jedoch keine Beistandschaft oder einen Pflegevertrag. Auch ist der Unterhalt nicht geregelt.
Im Rahmen der Abklärung wurde ein Termin beim Psychiatrischen Dienst aufgegleist. Es ist wahrscheinlich ein stationärer Aufenhalt nötig.
Vom wem müssen nun die Prämien bezahlt werden? Von der Sozialhilfe? Welche Möglichkeiten hat der Sozialdienst, dass die Prämien nicht zu den Schulden der Jugendlichen werden? Es ist ja eine Motion im Parlament hängig. Hat die Jugendliche die vollen Leistungenn der KK zugute?
Besten Dank für die Bemühungen.
Freundliche Grüsse
Sabine Bauer
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Liebe Sabine
a) Zwar ist tatsächlich im Parlament eine Motion von beiden Räten angenommen worden, welche die Pflicht von Kindern aufheben will, ab 18 für Prämienschulden wegen durch die Eltern nichtbezahlten die Kinder betreffenden Prämien aufzukommen (https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/suche-curia-vista/geschaeft?AffairId=20173323$).
Es wird aber wohl noch einige Zeit dauern bis eine solche Änderung auch als Gesetz in Kraft tritt.
b) Bis auf Weiteres gilt bzgl. der Nachzahlung von Prämienausständen durch Kinder also Folgendes:
In der Krankenversicherung gilt das Prinzip der Individualversicherung. Rechtlich werden also stets einzelne Versicherungsverhältnisse mit den jeweiligen Familienmitgliedern, auch den minderjährigen, von den Eltern vertretenen, Kindern abgeschlossen. (Bundesgerichtsurteil K 137/02 vom 4. Juli 2003, E 4.1). Sind die Kinder minderjährig, so wird die Versicherung von den Eltern für das Kind und auf dessen Rechnung abgeschlossen (Art. 3 Abs. 1 KVG, Bundesgerichtsurteil 9C_660/2007 E. 3.2).
Die Krankenversicherungen können deswegen versicherte Personen gemäss verschiedener Gerichtsentscheide für ausstehende Prämien aus der Zeit vor dem vollendeten 18. Altersjahr belangen, weil es sich bei Prämienforderungen dabei immer auch um eine Forderung gegen das Kind handelt (Bundesgerichtsurteil K 5/00=RKUV 2000 KV 129 232 E. 2; Bundesgerichtsurteil 9C_660/2007 E. 3.2).
Einige Versicherungen verzichten darauf im Einzelfall bei Gesuch aus Kulanzgründen.
Die Rechnungsstellung an die Eltern ändert dabei noch nichts an den gesetzlichen Schuldverhältnissen. Eine automatische Schuldmitübernahme der Eltern für die Prämien volljähriger Kinder besteht nicht (vgl. BGE 125 V 183 E.3; BGer 2P.445/1998 E.2; EVG K 137/02 E. 4.1; EVG K 4/07 E. 4.2f. (Verwaltungsgericht Bern Nr. 200 09 369 KV; siehe auch Gebhard Eugster, Krankenversicherung, in: Schweizerisches Bundesverwaltungsrecht [SBVR], Soziale Sicherheit, 3. Auflage. Basel 2016, S. 745 N 1312 ff.).
Die Zahlungspflicht kann mittels einer Vereinbarung mit der Versicherung von einer Drittperson übernommen werden, zum Beispiel von der Sozialhilfe oder auch von den Eltern für ihr volljähriges Kind. Es ist also wohl nicht ausgeschlossen (bzw. bisher nicht von der Rechtsprechung ausgeschlossen worden), dass Verträge abgeschlossen werden, bei denen die Eltern gegenüber der Krankenversicherung explizit versprechen, die Prämien für ihr volljähriges Kind zu schulden und zu übernehmen. Dabei besteht dann aber die Prämienzahlungspflicht der versicherten Person, z.B. des volljährigen Kindes, weiterhin. Sie wird bedeutsam, wenn die Übernahme der Prämienzahlung durch Dritte dahinfällt.
Will der Sozialdienst also die allfällige Verpflichtung des Kindes zur Nachzahlung der Prämien vermeiden, so müsste er die Prämien für das Kind übernehmen. Sozialhilferechtlich müsste für das Kind ein eigenes Dossier eröffnet werden und die Bedürftigkeit des Kindes entsprechend geprüft werden im Sinne einer Bevorschussung von Unterhalt.
Der Sozialdienst könnte dann die entsprechenden Kosten zivilrechltich bei den Eltern geltend machen. Da insoweit die Ansprüche des Kindes gegenüber den Eltern subrogiert werden, der Sozialdienst also im Umfang des Vorschusses und der Unterhaltspflicht der Eltern deren Gläubiger wird (Art. 289 Abs. 2 ZGB).
c) Zu möglichen Leistungseinschränkungen bei Prämienausständen: Auf der Basis Art. 64a KVG vergüten die Versicherer seit dem 1. Januar 2012 die erbrachten Leistungen auch bei säumigen Prämienzahlern. Im Gegenzug sind die Kantone verpflichtet, 85 Prozent der ausstehenden Forderungen für Prämien und Kostenbeteiligungen zu übernehmen. Die Versicherer sind verpflichtet die Ausstände in Betreibung zu setzen.
Eine Einschränkung der Leistungspflicht der Krankenversicherung bei Prämienausständen ist nur in den Kantonen möglich, die auf der Basis von Art. 64a KVG Listen säumiger Prämienzahler führen und unter kantonal unterschiedlichen Voraussetzungen die Leistungen für diese Gruppe auf Notfallbehandlungen reduzieren.
Eine solche Liste besteht noch in den Kantonen Aargau, Luzern, Zug, Tessin, St. Gallen und Thurgau. In Solothurn wurde letzten Herbst die Abschaffung beschlossen.
Da und soweit die Prämienpflicht für das Kind im Kanton Bern besteht, besteht keine solche „Liste säumiger Prämienzahler“ mit entsprechenden Leistungseinschränkungen.
Ich hoffe, das dient Dir.
Prof. Peter Mösch Payot