Guten Tag
Eine Frau hat sich an uns gewendet, die als Vertretungsperson in der Patientenverfügung ihres Vaters ernannt wurde. Die Tochter ist für diese Aufgabe sehr geeignet, da sie selbst im Pflegebereich arbeitet.
Die Tochter hat während des Krankenhausaufenthaltes ihres Vater mehrmals festgestellt, dass die Patientenverfügung ihres Vaters nicht beachtet wird. Der Vater ist urteilsunfähig (Demenz). Wenn medizinische Entscheidungen getroffen werden müssen, wird der Vater gefragt, was getan werden soll, er kann den Inhalt jedoch nicht nachvollziehen. Er antwortet dann einfach "Tun Sie, was Sie tun müssen. Die Tochter hat mehrmals auf die Patientenverfügung hingewiesen und hat dem Personal auch eine Kopie ausgehändigt. Zudem hat sie mitgeteilt, dass sie als medizinische Vertretungsperson kontaktiert werden möchte, wenn medizinische Entscheidungen getroffen werden müssen. Das medizinische Fachpersonal hat diese Information weiterhin nicht befolgt.
Uns stellt sich die Frage: Was kann man tun, wenn die Patientenverfügung in der Praxis nicht beachtet und die medizinische Vertretungsperson nicht in den Behandlungsverlauf miteinbezogen wird?
Vielen herzlichen Dank für die Beantwortung unserer Frage.
Frage beantwortet am
Karin Anderer
Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz
Guten Tag
Eine Patientenverfügung muss gültig errichtet worden sein, d.h. der Vater muss im Zeitpunkt der Errichtung urteilsfähig gewesen sein (Art. 370 Abs. 1 ZGB). Des Weiteren besteht das Formerfordernis der einfachen Schriftlichkeit (Art. 371 ZGB).
Die Patientenverfügung wird erst mit Eintritt der Urteilsfähigkeit beim Vater rechtswirksam. Es stellt sich also die Frage, ob der Vater hinsichtlich der zu entscheidenden medizinischen Massnahmen urteilsfähig ist. Es ist Aufgabe des Spitalpersonals, die Urteilsfähigkeit des Vaters abzuklären. Medizinische Behandlungen setzen eine Einwilligung voraus, was eine Aufklärung des Vaters voraussetzt. Das Spitalpersonal muss also abklären, ob die Einwilligung beim urteilsfähigen Vater einzuholen ist, oder, falls er urteilsunfähig ist, zwingend bei der gesetzlichen Vertretungsperson. Eine fehlende Einwilligung führt zu einer Verletzung der Persönlichkeitsrechte und der körperlichen Integrität. Die gehörige Aufklärung und Einwilligung des Vaters hat das Spitalpersonal zu beweisen (Aebi-Müller, Fellmann, Gächter, Rütsche, Tag, Arztrecht, § 4 N 8).
Möglich ist auch, dass der inzwischen urteilsunfähige Vater in der Patientenverfügung verbindliche Anordnungen in Bezug auf künftige medizinische Massnahmen getroffen hat (Art. 377 Abs. 1 ZGB). In diesem Fall muss die vertretungsberechtigte Person nicht beigezogen werden (Art. 377 Abs. 2 ZGB).
Die Tochter kann sich nach Art. 373 ZGB an die KESB wenden und geltend machen, dass der Patientenverfügung nicht entsprochen wird und die Interessen des urteilsunfähigen Vaters gefährdet oder nicht mehr gewahrt sind.
Dem Sachverhalt kann nicht entnommen werden, mit welcher Begründung das Spitalpersonal die Patientenverfügung nicht beachtet. Wird von einer ungültigen Patientenverfügung ausgegangen, wird sie als nicht rechtswirksam beurteilt, weil der Vater hinsichtlich der zu entscheidenden Behandlungen als urteilsfähig eingestuft wird, hat sich der Vater zur Behandlung in der Patientenverfügung verbindlich geäussert, oder wird sie einfach ignoriert? Ich würde der Tochter empfehlen, zunächst mit dem zuständigen Arzt oder der zuständigen Ärztin oder einer ärztlichen Leitungsperson das Gespräch zu suchen, um die Gründe zu erfahren.
Ich hoffe, die Angaben sind nützlich und ich grüsse Sie freundlich.
Karin Anderer
Luzern, 17.6.2022