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Neuberechnung Ergänzungsleistungen wegen Vermögensverzehr

Veröffentlicht:
07.05.2020
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialversicherungsrecht

Guten Tag

Meine Klientin hat per 01.03.2020 ihre Liegenschaft verkauft und einen Ertrag von Fr. 167'000 erzielt. Die erste Anzahlung erfolgte Ende November 2019, Fr. 30‘000.00. Den Rest erhielt sie am 05.03.2020, Fr. 137’00.00. Dies wurde der Ausgleichkasse jeweils unverzüglich gemeldet.

Bis zum 31.03.2020 hat sie EL bezogen (Fr. 196 / Monat, IPV). Die Ausgleichkasse Kanton Bern hat per 31.03.2020 verfügt, dass sie kein Anrecht auf EL mehr hat, da Mehreinnahmen (Jahr) von Fr. 875 bestehen. Nach meinen Berechnungen hätte meine Klientin ungefähr ab Sommer 2020 wieder Anspruch auf Ergänzungsleistungen.

Jedoch erklärt nun die Ausgleichskasse, dass gem. Art. 25 Abs. 3 die Möglichkeit besteht infolge Vermögensverzehr die EL neu zu berechnen, jedoch werde auf den Vermögensstand am 1. Januar 2020 abgestellt und nicht auf den Vermögensstand zu einem unterjährigen Zeitpunkt. 1. könne meine Klientin keinen Neuberechnung im 2020 beantragen (da nur ein Mal pro Jahr möglich) und 2. werde auf das Vermögen per 01.01.2020 abgestellt. Daher könne sie sich erst wieder im 2021 melden.

Mir ist diese Erklärung nicht schlüssig. 1. gem. Vermögen per 01.01.2020 hätte meine Klientin Anspruch auf EL, da der Ertrag der Liegenschaft erst im März 2020 auf ihr Konto überwiesen worden ist. 2. finde ich in der ELV, der WEL (oder Einführungsgesetz/-verordnung vom Kanton Bern) keinen Hinweis, dass gem. Art. 25 Abs. 3 auf den Vermögensstand am 1. Januar abzustellen sei.

Hat die Ausgleichskasse Recht, dass sich meine Klientin erst wieder im 2021 für den Bezug von EL anmelden kann?

Vielen Dank für Ihre Bemühungen.

Freundliche Grüsse

Sina Matter, RSD Büren a. A.

Frage beantwortet am

Peter Mösch Payot

Expert*in Sozialversicherungsrecht

 Liebe Frau Matter

Bei der EL ist zu unterscheiden, ob «normal» die jährlichen EL berechnet werden, oder ob es um «ausserordentliche» Änderungen während des Jahres geht:

a) Die grundlegend geltenden Regeln hat das Bundesgericht grundsätzlich im Urteil 9C_480/2018 vom 30.01.2019 E. 2.3 zusammenfassend folgendermassen geklärt:

Die Berechnungsgrundlagen für die jährliche EL können bei der jährlichen Überprüfung der Ergänzungsleistung ohne Bindung an die früher verwendeten Faktoren von Jahr zu Jahr neu festgelegt werden (vgl. BGE 128 V 39; Vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. a ELG).

Die jährliche Neuberechnung betrifft nicht die vorangegangenen Perioden, sondern bezweckt einzig die Berechnung der korrekten Ergänzungsleistung für das neue Kalenderjahr aufgrund der aktuellen tatsächlichen Gegebenheiten.

Das nennt man das Kalenderjahrprinzip.

 

b) Während des Jahres sind Änderung der jährlichen Ergänzungsleistung (Art. 25 ELV) Revisionen von Dauerleistungen nach Art. 17 Abs. 2 ATSG. Anpassung (Erhöhung, Herabsetzung oder Aufhebung) sind zwar möglich, aber im Gegensatz zur jährlichen Neuberechnung nur unter bestimmten Voraussetzungen. Unterjährige Neuberechnung ergänzen die jährlichen Neuberechnungen, ersetzen diese aber nicht (ausführlich, Urteil 8C_94/2007 vom 15. April 2008 E. 3 und 4 und Urteil 9C_52/2015 vom 3. Juli 2015 E. 2.2.1). 

 

c) Mit Blick auf die Bezugszeitpunkte und Grössen für die Berechnung der jährlichen EL besagt Art. 23 ELV, dass in der Regel die anrechenbaren Einnahmen des vorangegangenen Kalenderjahres und das Vermögen am 1. Januar des Bezugsjahres relevant seien.

Art. 23 ELV kennt dabei dann einige zusätzliche Regeln und Ausnahmen, die für den hier vorliegenden Fall soweit ersichtlich aber nicht von Bedeutung sind.

 

d) Im vorliegenden Fall geht es um eine unterjährige Änderung:

Art. 25 ELV beinhaltet die Tatbestände, bei denen die jährliche EL während des Jahres zu erhöhen, herabzusetzen oder aufzuheben sind. In Art. 25 Abs. 2 ELV sind die Zeitpunkte dafür geregelt.

 

e) Bei Eintritt einer voraussichtlich längere Zeit dauernden Verminderung oder Erhöhung der vom ELG anerkannten Ausgaben oder Einnahmen sowie des Vermögens ist eine Erhöhung/Herabsetzung oder Aufhebung vorzunehmen. Massgebend sind dafür die neuen, auf ein Jahr umgerechneten dauernden Einnahmen und Ausgaben. Abzustellen ist dafür auf das bei Eintritt der Veränderung (also im Zeitpunkt des Liegenschaftsverkaufs, in Ihrem Fall) vorhandene Vermögen. Wenn die Änderung weniger als CHF 120 ausmacht , kann auf eine Anpassung verzichtet werden. (Art. 25 Abs. 1 lit. c ELV).

Von eine solchen voraussichtlich länger dauernden Änderung kann nur ausgegangen werden, wenn sie voraussichtlich vom Eintritt an bis zum Ende des laufenden Kalenderjahres bestehen bleibt (vgl. Bundesgerichtsurteil 9C_901/2014 vom 16. März 2015, E. 3.4.2; vgl. auch Müller Urs, Rechtsprechung des Bundesgerichts zum ELG, Rz. 799).

Das scheint hier, wenn die Berechnungsgrundlagen in Ihrem Fall korrekt sind, der Fall zu sein.

 

f) Der Zeitpunkt ist bei Erhöhungen des Ausgabenüberschusses der Beginn des Monates nach Änderung der Verhältnisse oder – wenn die Meldung aus Verschulden zu spät erfolgt – der Beginn des Monats nach der Meldung (Art. 25 Abs. 2 lit. b ELV. Vgl dazu Urteil P 51/04 vom 22.4.2005 E. 2.4).

Und bei Verminderungen des Ausgabenüberschusses – wie im vorliegenden Fall - spätestens der Beginn des Monats, der auf die Verfügung folgt, vorbehältlich Rückforderungen wegen Meldepflichtverletzungen (Art. 25 Abs. Abs. 2 lit. b und lit. c ELV; siehe dazu Rz. 3643.01 WEL (Stand 1.1.2020, siehe auch Urteil P 63/02 vom 8.5.2003 E 6.2.4).

 

g) Nun gilt aber speziell, dass gemäss Art. 25 Abs. 3 ELV eine Neuberechnung wegen Vermögensverzehr nur einmal jährlich erfolgt.

Das heisst, dass die Neuberechnung wegen einer Änderung der tieferen hypothetischen Einnahmen wegen einer Verminderung des Reinvermögens abzüglich Freibetrag nur einmal im Jahr stattfindet. Gemeint ist damit also die Änderung der jährlichen EL. (vgl. dazu Urteil P 55/00 vom 29.1.2001; siehe auch ZAK 1990 404 E. 2d). Somit stimmt die Aussage, dass dieser Aspekt erst wieder per 2021 geltend gemacht werden kann.

 

h) Nicht ganz klar auf Grund des geschilderten Sachverhalts ist allerdings, ob und inwieweit die Berechnung der unterjährigen Änderung per März 2020 vorliegend korrekt erfolgte. Dafür müsste die Verfügung und müssten die Akten genauer untersucht werden.

Hier könnte im Zweifel eine Einsprache (Rechtsbegehen: a) Es seien die gesetzlichen Leistungen zu gewähren; b) Es sei Akteneinsicht zu gewähren; c) Es sei seine Nachfrist von xy (z.B. vier Wochen) zur weiteren Begründung der Einsprache zu setzen) sinnvoll sein.

Dort könnte die Verfügung darauf hin geprüft werden (gemäss Art. 25 Abs. 1 lit. c ELV), ob tatsächlich die korrekten Einnahmen und Ausgaben und auch das korrekte «bei der Änderung« vorhandene Vermögen berücksichtigt wurde. Ev. wäre die Inanspruchnahme juristischer Unterstützung bei so einer Einsprache sinnvoll.

 

Ich hoffe, das dient Ihnen.

Prof. Peter Mösch Payot