Guten Tag Peter
es geht um folgenden Sachverhalt:
Im Jahr 2012 wurde eine Klientin Opfer eines sexuellen Übergriffes. Sie war zu diesem Zeitpunkt unfallversichert über den Lehrbetrieb. Das Delikt wurde nicht dem Unfallversicherer gemeldet. Wäre es möglich rückwirkend das Ereignis zu melden und Leistungen einzufordern? Die gleiche Frage gilt für Leistungen im Rahmen des Opferhilfegesetzes.
Klientin ist bei der IV angemeldet und weist eine Vielzahl von psychischen und physischen Beschwerden auf, die teilweise auf das Gewaltdelikt zurückzuführen sind.
Besten Dank für Deine Bemühungen.
Beste Grüsse
Sabine Bauer
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Liebe Sabine
Die Frage der Möglichkeit der rückwirkenden Geltendmachung von Ansprüchen ist danach zu prüfen, ob dem Verjährungs- oder Verwirkungsfristen entgegenstehen. Abgesehen davon sind jeweils mögliche Beweisprobleme hinsichtlich der anspruchsbegründenden Voraussetzungen zu beachten.
a) Zuerst zum allfälligen Anspruch auf Opferhilfe:
Im Bereich der Opferhilfe besteht gemäss Art. 25 OHG eine fünfjährige Verwirkungsfrist für die Geltendmachung von Ansprüchen auf Entschädigung und Genugtuung bei der kantonalen OH-Entschädigungsstelle. Diese Frist kann weder unterbrochen werden noch stillstehen, auch eine Vereinbarung über eine Fristunterbrechung ist nicht möglich (BGE 123 II 241).
Als Ausnahme davon ist zu beachten, dass ein minderjähriges/jugendliches Opfer bei bestimmten Delikten, (vgl. Art. 97 Abs. 2 StGB) den Anspruch auf jeden Fall bis zum 25. Geburtstag einreichen kann. Dies ist der Fall bei sexuellen Handlungen mit Kindern unter 16 Jahren (Art. 187), bei sexuellen Handlungen mit Abhängigen (Art. 188 StGB; das wäre hier denkbar, wenn der sexuelle Übergriff unter Ausnützung eines Abhängigkeitsverhältnisses im Kontext der Arbeit/Lehre etc. erfolgt wäre).
Ebenfalls wäre ein solches Gesuch noch nicht verwirkt vor dem 25. Geburtstag, wenn eine sexuelle Nötigungen oder eine Vergewaltigungen oder ein ähnliches Delikt vorliegt UND die Betroffene damals unter 16 Jahre alt war.
Falls im vorliegenden Fall ein Strafverfahren lief und dort Zivilansprüche (Schadenersatz etc.) geltend gemacht wurden, so kann bis ein Jahr nach dem rechtskräftigen Entscheid über die Zivilansprüche Entschädigung oder Genugtuung nach OHG geltend gemacht werden.
Für eine allfällige Soforthilfe oder eine langfristige Hilfe nach OHG bestehen keine zeitlichen Einschränkungen/Verwirkungsfristen. Es dürfte sich aber nach vielen Jahren insoweit die Frage stellen, ob entsprechende Hilfe/Kosten noch genügend kausal mit der fraglichen Straftat im Zusammenhang stehen..
b) Im Bereich der Unfallversicherung ist zunächst wichtig, dass eine blosse Unterlassung der Anmeldung kurz nach dem Unfall nicht als Leistungsverzicht im Sinne von Art. 23 ATSG gewertet werden darf. (BGE 135 V 106 E. 6.2.3).
Für die Unfallmeldung gilt, dass diese unverzüglich erfolgen muss (Art. 45 Abs. 1 UVG). Wenn die Unfallmeldung in unentschuldbarer Weise nicht erfolgt, können die Leistungen halbiert werden, insb. wenn die Meldung nicht binnen dreier Monate erfolgt. Im Übrigen muss aber eine Nachzahlung erfolgen (Art. 66 UVV). Im Zusammenhang mit einer Vergewaltigung/sexuellen Nötigung kann ev. argumentiert werden, dass das Versäumnis unverschuldet war, namentlich wenn die Belastung und der gesundheitliche Zustand dazu führten, dass eine Unfallmeldung nicht erfolgte.
Im Übrigen gilt aber eh, dass die Ansprüche gegenüber der Unfallversicherung selber nach fünf Jahren im Sinne von Art. 24 ATSG verwirken (BGE 139 V 246). Diese First als Verwirkungsfrist kann weder stillstehen noch unterbrochen werden. Nur die Anmeldung zum Leistungsbezug hat verwirkungsaufhebenden Charakter (vgl. KIESER ATSG-Kommentar, 3. Auflage, Zürich 2015, Art. 24 Rz. 30).
Daran dürfte vorliegend die Geltendmachung von Ansprüchen für Leistungen aus einem Unfall von 2012 scheitern.
Ich hoffe, das dient Dir.
Peter Mösch Payot
Guten Tag Peter
danke für Deine ausführlichen Erläuterungen.
Beste Grüsse
Sabine