Ich frage an, wegen einer Beratung in unserem Sozialdienst.
Es geht um eine Frau mit zwei Kindern. CH, bis jetzt alleinerziehend, seit Geburt erstes Kind, geb. 2016, Sozialhilfebezügerin. Jüngeres Kind, geb. 2018. Nun ist durch die Heirat und per Familiennachzug der Vater der beiden Kindern in die CH eingereist. War vorher in D (dort Niederlassung), Drittstaatenangehöriger. Frau hat Sozialberatung schon vorher informiert, bei Einreise wurde Ehemann gleich angemeldet und dies gleichzeitig an die Sozialberatung gemeldet. Nach 15 Tagen kam eine Meldung der Sozialberatung, dass die Zahlungen eingestellt werden bis der Ehemann alle Papiere, welche per Liste bekannt gegeben wurden, beigebracht hat.
Bis dahin hat die Frau, trotz Nachfrage keine genaueren Angaben erhalten. Sie wusste bis dahin nicht was gefordert war. Gleichzeitig war die finanzielle Situation des Mannes schon klar, da es wegen der Alimentenzahlungen Abklärungen gab und diese Unterlagen dem Sozialamt bekannt waren.
Der Pass lag immer noch beim Migrationsamt zwecks Abklärung der Arbeitsbewilligung. Die Bankauszüge aus Deutschland sind nach einem Monat noch nicht eingetroffen. Ein Arbeitsvertrag vor 4 Jahren muss aus D eingefordert werden und 3jährige Lohnabrechnung sind auch noch eingefordert.
Ich verstehe, dass die Unterlagen des Mannes eingereicht werden müssen. Eigentlich möchte er sich am liebsten gar nicht bei der Sozialhilfe anmelden müssen, da er Angst um seine Aufenthaltsbewilligung hat. Er möchte so bald als möglich arbeiten und hat wohl auch einen ersten Bewerbungstermin.
Könnte man nicht vorerst eine Auszahlung für 3 Personen im 4-P-HH auszahlen? Oder den Grundbetrag bei 3 Personen lassen? Die Frau hat zwei Kinder zuhause und hatte Ende Monat keine Auszahlung. Sie konnte kein Essen kaufen, die Miete und alles andere nicht bezahlen.
Auf welcher Rechtsgrundlage beruht diese Einstellung? Ist eine Einstellung in diesem Fall überhaupt korrekt?
Frage beantwortet am
Ruth Schnyder
Expert*in Sozialhilferecht
Sehr geehrte Frau Helbling
Gerne beantworte ich Ihre Anfrage. Aufgrund der Einreise des Ehemannes und Wohnsitznahme bei der Ehefrau mit Kindern handelt es sich ab diesem Zeitpunkt um einen 4-Personenhaushalt, bei welchem nicht nur der Bedarf angepasst wird, sondern auch die gesamten finanziellen Ressourcen (Einkommen und Vermögen) des Ehemannes berücksichtigt werden. Insoweit ist es korrekt, wenn die Gemeinde nun die Bedürftigkeit neu überprüft. Wie Sie richtig sehen, ist die Frage vielmehr beim Vorgehen respektive Verfahren anzusiedeln. So wie Sie schreiben, erhielt die Ehefrau keine Instruktionen, was von ihr gefordert wird. Sie schreiben nicht, ob der Ehemann, welcher sich angemeldet hat, Instruktionen erhalten hat. Ich nehme jedoch an, dass der Ehemann Instruktionen der Gemeinde erhalten hat. Falls meine Annahme unzutreffend ist, lassen Sie es mich wissen.
Generell gilt, dass verfahrensrechtlich beide Ehegatten einzubeziehen sind. Das ergibt sich daraus, dass der Sozialhilfeanspruch höchstpersönlicher Natur ist, d.h. auch wenn die Ehegatten als Unterstützungseinheit betrachtet werden, haben sie einen Einzelanspruch (Guido Wizent, Die sozialhilferechtliche Bedürftigkeit, Dike 2014, S. 462). Dies bedeutet, dass sie verfahrensrechtlich gemeinsam anzusprechen sind und die Ehefrau in Ihrem Fall einen Anspruch hat, ebenfalls Instruktionen zu erhalten. Da sie die Instruktionen nicht erhalten hat, wurde damit ihr verfassungsmässiger Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 BV) verletzt. Bei einer Einstellung der wirtschaftlichen Hilfe wiegt diese Verletzung schwer und das Vorgehen der Behörde basiert auf einem schwerwiegenden Verfahrensmangel. Bereits aus diesem Grund erweist sich die Einstellung als widerrechtlich.
Hinzukommt, dass vorliegend offenbar weder klare Verhältnisse gegeben sind, was die finanziellen Verhältnisse des Ehemannes anbelangt, noch eine Meldepflichtverletzung vorliegt. Zwar liegen die relevanten Unterlagen wie Kontoauszüge nicht vor, hingegen verfügt die Gemeinde über Angaben, die sie im Rahmen der Abklärungen zur Unterhaltspflicht des Ehemannes erhalten hat. Wenn gestützt darauf aktuell (!) nicht einfach davon ausgegangen werden kann, dass der Ehemann den Unterhalt von Ehefrau und Kinder vollumfänglich finanzieren kann, dann ist eine sofortige Einstellung ohne vorgängige Androhung unzulässig (sinngemäss § 24a SHG, dazu Zürcher Sozialhilfe-Behördenhandbuch Kap. 14.3.03 Ziff. 2.1 und Zürcher Verwaltungsgericht Urteil 2007.00465 vom 7.2.08 E. 4.2). D.h. die Behörde hätte gegenüber der Ehefrau zunächst ein Androhungsschreiben zukommen lassen müssen, bevor sie eine Einstellung der wirtschaftlichen Hilfe umsetzt. In diesem Androhungsschreiben hätten die Gründe für die Zweifel an der Bedürftigkeit dargelegt werden müssen und die Ehefrau hätte instruiert werden müssen, mit welcher Mitwirkung sie die Zweifel ausräumen kann. D.h. es liegt, so wie Sie schreiben, keine Situation vor, die einen sofortigen Widerruf ohne vorgängige Androhung rechtfertigen würde (Vgl. o.e. Urteil des Zürcher Verwaltungsgerichts, Wegfall der Bedürftigkeit nach § 14 SHG).
Wie Sie auch erwähnen, wäre aber zulässig, den Bedarf an einen 4-Personenhaushalt umgehend anzupassen. Dabei stellt sich die Frage, wie mit dem anteiligen Bedarf des Ehemannes zu verfahren ist. Aufgrunddessen, dass von seiner Seite ein nachträgliches Gesuch eingereicht wurde, er also bisher nicht unterstützt wurde, muss seine Bedürftigkeit in einem ersten Schritt zumindest glaubhaft erscheinen, so dass zumindest vorsorglich unterstützt werden muss, um währendessen seine finanziellen Verhältnisse abschliessend zu klären (siehe Kap. 6.2.02 Ziff. 2.4 Zürcher Sozialhilfe-Behördenhandbuch). D.h. auch in Bezug auf seinen Bedarf wäre eine Verweigerung der wirtschaftlichen Hilfe nur zulässig, wenn seine Bedürftigkeit nicht glaubhaft erscheint. Wenn er bspw. seinen bisherigen Job aufgegeben hat, keinen Lohnanspruch mehr hat, oder bisher vom deutschen Staat unterstützt werden musste, wäre seine Bedürftigkeit als glaubhaft zu betrachten und die wirtschaftliche Hilfe wäre für ihn vorsorglich aufzunehmen (allenfalls mit einer Rückerstattungsverpflichtung nach § 20 SHG ZH, falls Vermögenswerte auftauchen würden). Der Ehemann wäre somit zu instruieren, welche Unterlagen von ihm gefordert werden. Erscheint seine Bedürftigkeit aber nicht als glaubhaft, wäre es aus meiner Sicht richtig, seine anteilige wirtschaftliche Hilfe zurückzubehalten, bis der Nachweis gelingt. Aber auch in diesem Fall muss die Gemeinde den Ehemann instruieren, mit welchen Unterlagen er den Nachweis erbringen kann. Die Bedürftigkeit muss letztendlich als überwiegend wahrscheinlich erscheinen, soweit der absolute Beweis nicht möglich ist z.B. mit Einreichung von Kontoauszügen.
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die sofortige Einstellung der wirtschaftlichen Hilfe ohne vorgängige Androhung nur zulässig gewesen ist, wenn aufgrund der Sachlage (bekannte Unterlagen und Umstände) mit überwiegender Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden kann, dass der Ehemann für Ehefrau und Kinder aufkommen kann. Ihm gegenüber darf zudem die umgehende Hilfe verweigert werden, wenn nicht glaubhaft erscheint, dass er bedürftig ist.
Da Ehefrau und Kinder bereits unterstützt wurden, der Ehemann aber nicht, ist das Verfahren unterschiedlich zu gestalten, jedoch beide Ehegatten müssen einbezogen werden. D.h. die Ehefrau müsste zumindest eine Verfügung (Anordnung gemäss § 10 Verwaltungsrechtspflegegesetz [VRG ZH]) über die Einstellung der Leistungen erhalten, vor dieser sie anzuhören wäre (Art. 29 BV). Beides ist offenbar nicht erfolgt, so dass unter diesem Gesichtspunkt die Einstellung als nichtig einzustufen ist.
Ist eine sofortige Einstellung nicht zulässig, hätte gegenüber der Ehefrau zunächst eine Androhung mit Darlegung der Zweifel an der Bedürftigkeit und gleichzeitiger Instruktion zum Ausräumen der Zweifel erfolgen müssen. Währenddessen hätte die Gemeinde weiter unterstützen müssen, sie hätte aber die Unterstützungshöhe bereits anpassen dürfen. Die Frage, ob Ehefrau und Kinder anteilsmässig als 3-Personenhaushalt in einem 4-Personenhaushalt unterstützt werden müsste, hängt davon ab, ob die Bedürftigkeit vom Ehemann glaubhaft erscheint. Ist sie nicht glaubhaft, wäre die anteilsmässige Unterstützung zu bejahen, andernfalls wäre der ganze 4-Personenhaushalt zu unterstützen. Die Androhung ist eine Auflage, die nicht in Form der Verfügung (bzw. Anordnung gemäss § 10 VRG ZH) erfolgen muss (Verwaltungsgericht ZH Urteil VB.2018.00100 vom 22.5.18; Urteil Bundesgericht 8C_449/2018 vom 18.1.19).
Im Ergebnis scheint das Vorgehen der Gemeinde so oder so rechtlich nicht korrekt zu sein. Ich hoffe, Ihnen damit Ihre Fragen beantwortet zu haben.
Freundliche Grüsse
Ruth Schnyder
Sehr geehrte Frau Schnyder
ich danke Ihnen sehr für die ausführliche Darlegung der rechtlichen Situation. Ich habe noch eine Bemerkung und zwei Zusatzfragen. Die Ehefrau hat nie schriftlich eine Einstellungsverfügung erhalten. Es wurde ihr einfach telefonisch mitgeteilt, dass sie kein Geld erhalten werde, bis alle Unterlagen der Mannes eingereicht worden sind. Das finde ich sehr schwierig.
Nun aber meine Fragen. Der Mann hat sich nachweislich am 4.2.2020 angemeldet und die Ehefrau hat dies am gleichen Tag an die Sozialberatung weitergegeben. Danach hat die Familie wie erwähnt zehn bis vierzehn Tage nichts mehr gehört. Nun hat die Familie eine Abrechnung erhalten und hat ab März auch die Berechnung eines 4 PP-HH. Es wurde der Ehefrau aber keine Nachzahlung für den Februar gegeben. Ist die Zahlung nicht ab Anmeldedatum vorgehesen?
Zudem frage ich mich, ob im Fall einer Änderung des Haushalts nicht auch eine neue Verfügung gemacht werden müsste?
Ich danke Ihnen sehr, wenn Sie mir diese beiden Fragen noch beantworten könnten.
Freundliche Grüsse
Frage beantwortet am
Ruth Schnyder
Expert*in Sozialhilferecht
Liebe Frau Helbling
Zur Ihrer Bemerkung: Für die Menschen ist das sehr schwierig. Rechtlich haben sie eine Handhabung dagegen, aber die andere Frage ist natürlich, ob sie in der Lage sind, die nötigen Schritte einzuleiten.
Zu Ihren zusätzlichen Fragen:
- Zeitpunkt der Zahlung: Diese ist ab Anmeldung geschuldet. Siehe dazu im Handbuch Ziff. 3 Kap. 6.2.07 . Falls die Gemeinde praxisgemäss bei Anmeldungen in den ersten Tagen des Monats stets ab Monatsbeginn, d.h. 1. des Monats, die wirtschaftliche Hilfe ausrichtet, dann wäre dies auch hier so zu halten. D.h. Dann hätte Ihre Klientin und ihr Ehemann ab dem 1.2. den höheren Anspruch, sofern ihr Ehemann dann schon eingezogen war.
- Verfügungserfordernis Änderung Haushaltsgrösse: Eine neue Verfügung bzw. Anordnung nach § 10 VRG ZH wäre angezeigt. Entspricht die Anordnung voll und ganz dem Ansinnen der Klientin und ihrem Ehemann kann nach § 10 a Abs. 1VRG ZH auf die Begründung verzichtet werden – nicht aber auf eine formelle Anordnung im Sinne einer Verfügung. In Ihrem Fall würde dir Anordnung nur vollständig dem Begehren entsprechen, wenn das Budget ab 4.2. angepasst worden wäre. D.h. für diesen Punkt wäre die Gemeinde sogar begründungspflichtig gewesen. Es wäre also nun eine formelle Anordnung nach § 10 VRG ZH zu verlangen, wenn die Gemeinde nicht sofort einlenkt mit dem Unterstützungsbeginn ab 4.2. (ggf. 1.2).
Ich hoffe, Ihnen damit Ihre zusätzlichen Fragen beantwortet zu haben.
Freundliche Grüsse
Ruth Schnyder