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Mündigenunterhalt bei einer Zweitausbildung

Veröffentlicht:
22.06.2021
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialversicherungsrecht

Die IV-Stelle unterstützte meine Klientin bei einer Büroassistenzlehre EBA, welche meine Klientin erfolgreich abschloss. Sie fand jedoch keine Anstellung in diesem Beruf. Zumal Fachpersonen der Ansicht sind, dass die Lehre aufgrund ihrer Hörbehinderung, Interesse und Fähigkeiten eine ungeeignete Ausbildung war und ist. Die Ausbildung erfolgte meines Wissens noch zu einer Zeit da sie noch nicht Volljährig war bzw. erst im Laufe der Ausbildung wurde. 

Damit sie im Berufsleben Fuss fassen kann, hat sie sich eine Lehrstelle unterstützt von einem JobCoach der IV-Stelle, gesucht und kann im August 2021 eine Lehre EFZ beginnen. 

Die Eltern sind seit 2010 geschieden, die Mutter leider im letzten Jahr verstorben. Ob es ein Unterhaltsvertrag gab ist mir nicht bekannt. Ich gehe davon aus, dass es einen gab. 

Der Vater meiner Klientin ist der Ansicht, dass er nicht mehr finanziell unterstützungspflichtig ist. (Er weigert sich auch für die Stipendien seine Steuerunterlagen zur Verfügung zu stellen.)

Wie sieht die Rechtsgrundlage aus? Ist der Vater verpflichtet eine EFZ-Ausbildung in Form von einem Mündigenunterhalt zu bezahlen?

Vielen Dank für Ihre Antwort. 

Frage beantwortet am

Peter Mösch Payot

Expert*in Sozialversicherungsrecht

Liebe Frau U.

 

1) Ihre Frage ist zwar eher zivilrechtlicher Natur, weil sie das Rechtsverhältnis zwischen Eltern und Kind betrifft. Aber ich beantworte sie trotzdem gerne.

Wenn das Kind mit 18 noch keine angemessene Ausbildung hat, so haben die Eltern, soweit es ihnen nach den gesamten Umständen zugemutet werden darf, für seinen Unterhalt aufzukommen, bis eine entsprechende Ausbildung ordentlicherweise abgeschlossen werden kann (Art. 277 Abs. 2 ZGB).

Damit sollten vom Kind kin nicht ausserordentliche Leistungen verlangt werden, sondern Fleiss, Einsatz und guter Wille.

Massstab kann nicht der Idealverlauf des jeweiligen Bildungsganges sein. Ebenso sind obligatorische oder doch faktisch unentbehrliche Praktika oder Sprach(schul)aufenthalte und Ähnliches zu berücksichtigen (PETER BREITSCHMID, Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht [Basler Kommentar], Zivilgesetzbuch I, Art. 1-456 ZGB, 2. Aufl., Basel 2002, N 22 zu Art. 277 mit zusätzlichen Hinweisen zur Praxis der Mündigenunterhaltspflicht).

Ein einmaliger Misserfolg oder ein vorübergehender Unterbruch machen die Ausbildungsdauer noch nicht unverhältnismässig.

Eine EFZ-Lehre gehört also auf jeden Fall zu den mit dem Volljährigenunterhalt zu unterstützenden Tätigkeiten, unabhängig davon, ob eine IV-gestützte EBA voranging.

 

2) Schranke bei der Unterhaltsbemessung bildet der Bedarf des Kindes. Dieser kann anhand einer konkreten Budgetberechnung ermittelt werden. Entscheidet sich das unterhaltsberechtigte Kind, ausserhalb des elterlichen Haushalts zu wohnen, muss es je nach den Umständen die dadurch entstehenden Mehrkosten selbst finanzieren, dies namentlich, wenn es dem Kind zumutbar und möglich wäre, während der Erstausbildung mit den Eltern in einer Wohngemeinschaft zu leben.

Eine weitere Grenze ist die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Eltern. Nach Ausrichtung der Unterhaltsleistung soll den Eltern oder dem in Anspruch genommenen Elternteil noch ein Einkommen verbleiben, das den familienrechtlichen Grundbedarf um ungefähr 20% übersteigt (BGE 118 II 97 E. 4b). Darüberhinausgehende finanzielle Einschränkungen sind den Eltern im Gegensatz zum Unterhalt für minderjährige Kinder grundsätzlich nicht zumutbar.

Zu beachten ist auch, dass Unterhaltsverpflichtungen für minderjährige Kinder vorgehen.

Schliesslich kann der Unterhaltsbeitrag aufgrund der Eigenversorgungskapazität des Kindes nach unten angepasst oder gänzlich aufgehoben werden. Zu berücksichtigen sind dabei das Vermögen des Kindes und dessen Ertrag, Leistungen Dritter sowie ein zumutbares Erwerbseinkommen, hier z.B. der Lehrlingslohn.

 

3) Schliesslich will das Bundesgericht bei der Beurteilung des Mündigenunterhalts auch persönliche Aspekte berücksichtigt wissen: Ist die Beziehung zwischen den unterhaltspflichtigen Eltern und dem volljährigen Kind zerrüttet, kann die Unterhaltspflicht trotz wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit für die Eltern unzumutbar werden, dies namentlich, wenn das Kind ohne Grund aus eigenem Willen die persönlichen Beziehungen zu den Eltern abbricht oder sich grundlos dem persönlichen Verkehr mit ihnen entzieht. Dafür müsste aber dem Kind für die Familiensituation objektiv betrachtet ein Vorwurf gemacht werden können. (Siehe BGer 5A_503/2012 vom Dezember 2012, E. 3).

Im hier skizzierten Rahmen ist der betroffen Vater unterhaltspflichtig. 

Ich hoffe, das dient Ihnen.

Peter Mösch Payot