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Minderjährige: mit Erbschaft die SH Kosten bezahlen?

Veröffentlicht:
04.02.2019
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Guten Tag
Kanton Bern:
Als Beiständin habe ich folgende Frage: Meine Klientin (17 jährig) verlor durch einen Unfall ihre Mutter. Sie hat eine Entschädigung von 40'000.-- und nach dem Tod den Erbschaftsanteil von 21'000.00 erhalten. Sie ist seit mehreren Jahren stationär Untergebracht, die Platzierungskosten werden von der KESB getragen (Art. 310 ZGB), jedoch die Nebenkosten von der Sozialhilfe. Nun fordert die Leitung der SH, dass der KESB Antrag gestellt wird, damit die 21'000.00 für die Platzierungskosten verwendet werden können, da sie sonst besser gestellt sei, als andere SH Klienten. Mit dem Erreichen der Volljährigkeit werden ihr von der Genugtuung nur der Freibetrag von 25'000.00 bleiben, da sie die SH dann davon bezahlen muss.
Stipendien wird sie keine erhalten, da der Vater aufgrund des Verlustes seiner Frau nun genügend Mittel hätte, um seine Tochter zu unterstützen, was er jedoch nicht macht und das Geld auch schon ausgegeben hat.
Kann die Leitung dies von meiner Klientin (mir) verlangen?
Besten Dank & freundliche Grüsse
Daniela Walder

Frage beantwortet am

Anja Loosli

Expert*in Sozialhilferecht

Sehr geehrte Frau Walder
Vielen Dank für Ihre Frage. Ich verstehe Sie so, dass es Ihnen schwerpunktmässig um die Frage geht, ob die Sozialhilfe von Ihnen verlangen kann, dass Sie das Vermögen Ihrer Klientin in der Höhe des Erbanteils von CHF 21'000.-- angreifen und zur Deckung des Lebensunterhalts verwenden. Diese Frage beantworte ich genre wie folgt:
Nach Art. 9 Abs. 1 des Sozialhilfegesetzes des Kantons Bern (SHG BE) gilt in der Sozialhilfe der Grundsatz der Subsidiarität. Die Sozialhilfe hat demnach nur dann Hilfe zu leisten, wenn diese nicht selbst oder von dritter Seite rechtzeitig erhältlich ist (Art. 9 Abs. 2 SHG BE). Eigene Mittel sind demnach bei der Bemessung der Hilfe durch die Sozialhilfe angemessen zu berücksichtigen (Art. 30 Abs. 2 SHG BE). In Art. 8 Abs. 1 der Sozialhilfeverordnung des Kantons Bern (SHV BE) steht, dass für die Ausrichtung und Bemessung der wirtschaftlichen Hilfe die SKOS-Richtlinien verbindlich sind, wenn das SHG BE oder eine Verordnung nicht eine abweichende Regelung enthält. Bezüglich Kindesvermögen findet sich weder im SHG BE noch in der SHV BE eine ausdrückliche Regelung. Die SKOS-Richtlinien kommen deshalb zur Anwendung. Dort steht in Kapitel E.2.1, dass gestützt auf Art. 320 Abs. 1 des Zivilgesetzbuches (ZGB) Abfindungen, Schadenersatz und ähnliche für den Unterhalt des Kindes bestimmte Vermögenswerte für den Kindesunterhalt verwendet bzw. verbraucht werden dürfen. Diese Leistungen dürfen von der Sozialhilfe dann angerechnet werden. Für den Einbezug des übrigen Kindesvermögens muss eine Einwilligung der Kindesschutzbehörde vorhanden sein. In Art. 320 Abs. 2 ZGB wird dies folgendermassen formuliert: Erweist es sich für die Bestreitung der Kosten des Unterhalts, der Erziehung oder der Ausbildung als notwendig, so kann die Kindesschutzbehörde den Eltern (ergänzend: oder dem Beistand) gestatten, auch das übrige Kindesvermögen anzugreifen. Die SKOS verlangt in Kapitel E.2.1, dass bei einer Sozialhilfe beziehenden Familie von den Eltern erwartet wird, dass sie um eine solche Bewilligung ersuchen. Andernfalls könne auch das Sozialhilfeorgan an die Kindesschutzbehörde gelangen.
Aufgrund des oben geschilderten Subsidiaritätsprinzips ist der Erbteil Ihrer Klientin deshalb grundsätzlich bei der Bemessung der Leistungen zu berücksichtigen. Da es weder eine Abfindung noch Schadenersatz ist, sondern eine Erbschaft, handelt es sich nach ZGB aber um übriges Kindesvermögen, das nicht ohne Weiteres angegriffen und damit bei der Bemessung der Leistungen berücksichtigt werden darf. Vielmehr ist eine Einwilligung der Kindesschutzbehörde einzuholen, wobei aufgrund des Subsidiaritätsprinzips tatsächlich kein Wahlrecht besteht, ob Sie als Beiständin um eine Bewilligung ersuchen wollen oder nicht. Sie müssen die Kindesschutzbehörde darum ersuchen, den Erbanteil Ihrer Klientin anzehren zu dürfen für die Nebenkosten der Fremdplatzierung. Lehnt die Kindesschutzbehörde dies ab, darf die Sozialhilfe dieses Vermögen nicht anrechnen und Sie müssen die Kosten nicht vom Erbteil bezahlen. Was Sie nach Kapitel E.2.1 SKOS-Richtlinien allenfalls tun können, ist die Sozialhilfe zu bitten, sich direkt an Kindesschutzbehörde zu wenden, wobei ich Zweifel habe, ob die Kindesschutzbehörde auf das Begehren der Sozialhilfe eintreten wird, da die Sozialhilfe weder die Eltern noch die Beiständin Ihrer Klientin ist. In diesem Fall müssten doch Sie den Antrag stellen. Sollten Sie sich verweigern, einen Antrag zu stellen, kann die Sozialhilfe die Leistungen wegen Verletzung der Subsidiarität allenfalls einstellen (Kapitel A.8.3 SKOS-Richtlinien).
Ergänzend möchte ich ausführen, dass Integritätsentschädigungen (ich vermute, dass es sich um eine solche handelt bei der Entschädigung von CHF 40'000.--) gemäss Kapitel E.2.1 SKOS-Richtlinien tatsächlich angerechnet werden können, soweit sie bei Einzelpersonen CHF 25'000.-- übersteigen und deshalb auch diese Anrechnung, erfolgt sie betraglich korrekt, richtig ist.
Ich hoffe, Ihnen mit meiner Antwort weiterhelfen zu können, wenn Sie vermutlich auch nicht in Ihrem Sinn ist.
Freundliche Grüsse
Anja Loosli Brendebach

Guten Tag Frau Loosli Brendenbach
Besten Dank für Ihre Antwort. Zwischenzeitlich hat sich die Sozialarbeiterin der SH an die KESB gewandt. Diese hat geantwortet, dass in diesem Fall die Erbschaft nicht angerechnet werden muss, da die Erbschaft rein aus der Genugtuung der Mutter besteht. Dies jedoch nur bis meine Klientin volljährig wird, danach ist es so wie Sie ja auch vermerkt haben, dass 25'000.00 geschützt sind.
Besten Dank für die Unterstützung und freundliche Grüsse
Daniela Walder

Frage beantwortet am

Anja Loosli

Expert*in Sozialhilferecht

Sehr geehrte Frau Walder
Vielen Dank für Ihre interessante Information. Auch nach meiner Einschätzung hat die KESB rechtlich korrekt entschieden.
Freundliche Grüsse
Anja Loosli Brendebach