Guten Tag
Per 1. Juli 2021 sind zwei Personen (A und B) in eine WG in der Gemeinde X gezogen und ich habe die beiden Fälle (WSH) übernommen. Beide hatten schon vor dem Zuzug in die Gemeinde WSH bezogen. Da sie, trotz Information durch die Vorgemeinden, eine massiv überteuerte Miete hatten, wird die Miete nur gemäss Richtlinien übernommen. Der Rest muss von den Klientinnen aus dem GBL bezahlt werden. Der Mietvertrag wurde von beiden Klientinnen unterschrieben.
Nun ist Klientin A aufgrund diverser Konflikte mit Klientin B Ende August 2021 aus der WG vorübergehend zu ihren Eltern gezogen. Dies hatte sie mir nicht gemeldet. Erst rund 3 Wochen später erfuhr ich davon, da sich der Vermieter meldete und sagte, dass der Mietanteil von Frau A nicht bezahlt worden war und sie nicht mehr dort lebe. Ich rief die Klientin an. Sie sagte, sie könne nicht mehr in der WG mit Klientin B leben. Sie werde zu einem Kollegen in der Gemeinde Y in eine WG ziehen. Unterdessen hat sie sich in der Gemeinde X abgemeldet und in der Gemeinde Y angemeldet.
Meine konkrete Frage ist nun:
- Muss die Gemeinde X die Miete für die Wohnung übernehmen, da Klientin B ja noch dort wohnt?
- Falls ja: In welchem Umfang muss die Gemeinde die Miete übernehmen? (Ganz / gemäss Richtlinien für 1 Person / gemäss Richtlinien für 2 P / ...? ) Die Miete für die 2.5-Zimmerwohnung liegt bei CHF 1'720.00. Die Richtlinien der Gemeinde liegen bei CHF 1'100.00 für 2 Personen / CHF 900.00 für 1 Person.
- Falls ja: Für wie lange? Der Mietvertrag wurde mit Mindestvertragsdauer 1 Jahr abgeschlossen. Das wäre erst Sommer 2022. Klientin B sucht aktuell einen Nachmieter.
Vielen Dank.
Frage beantwortet am
Ruth Schnyder
Expert*in Sozialhilferecht
Sehr geehrte Frau Senn
Gerne beantworte ich Ihre Anfrage. Bitte entschuldigen Sie die arbeitsbedingt verspätete Antwort.
Ihre Frage betrifft die Situation, wo eine unterstützte Person in einem Mehrpersonenhaushalt wohnt und mit der Situation konfrontiert wird, dass sich plötzlich die Haushaltsgrösse ändert, weil eine Person auszieht. Zu dieser Frage gibt es keine einheitliche Praxis (vgl. Guido Wizent, Sozialhilferecht, alphaius, Dike 2020, Rz. 509). Die gleiche Situation kann auch dazu führen, dass jemand bedürftig wird, beispielsweise, wenn sich Ehegatten trennen.
Grundsätzlich ist es so, dass jene Person, die auszieht, nach wir vor (solidarisch) verpflichtet ist, den Mietzins mitzutragen, solange der Vermieter diese Person nicht aus dem Mietvertrag entlässt. D.h. grundsätzlich kann sich die Sozialhilfe auf den Standpunkt stellen, dass die ausziehende Person (vorliegend A.) nach wie vor den bisherigen Mietzinsanteil der Zweier-WG übernimmt. Da aber die verbleibende Person (vorliegend B.), welche von der Sozialhilfe unterstützt wird, in Not gerät, wenn die ausziehende Person dieser Verpflichtung nicht nachkommt, drängt sich im Einzelfall (Individualisierungsprinzip, § 5 SHG/LU und SKOS-RL A.4) auf, dass die Sozialhilfe zumindest während einer Überganszeit den fehlenden Mietzinsanteil ebenfalls übernimmt (vgl. dazu auch Wizent, Rz. 506), zumal die verbleibende Person (ebenfalls solidarisch) verpflichtet ist, für den kompletten Mietzins aufzukommen. Dieses Entgegenkommen lässt sich damit begründen, dass auf diese Weise der unverschuldeten Bedürftigkeit in einem elementaren Lebensbereich Rechnung getragen wird, der betroffenen Person ermöglicht wird, schuldenfrei die Wohnung zu wechseln und zu guter Letzt drohende Obdachlosigkeit zu vermeiden.
Lange befristete Mietverhältnisse führen nicht einfach dazu, dass die Sozialhilfe bis zum Ende des Vertragsverhältnisses die effektive Miete übernehmen muss. Vielmehr ist es davon abhängig, inwieweit eine zumutbare Wohnung gefunden werden kann (§ 31 SHG/LU i.V.m. SKOS-RL C.4.1 Abs. 3). Denn es ist aus mietvertraglicher Sicht zulässig, die Wohnung vorzeitig aufzugeben, indem man eine Nachmieterschaft stellt (Art. 264 OR). Da es sich zudem um eine WG handelt, käme anstelle der Wohnungssuche in Frage, einen neuen WG-Partner bzw. eine neue WG-Partnerin zu suchen. Beide Möglichkeiten erfordern eine aktive Mitwirkung der in der Wohnung verbleiben Person, vorliegend B, und von Seiten der Sozialhilfe eine realistische Einschätzung für das Gelingen dieser Vorgehensweisen. Im vorliegenden Fall stellt sich zu Lasten des Vermieters aber die Frage, ob es ihm nicht hätte klar sein müssen, dass die beiden Mieterinnen (A. und B.) auf so lange Dauer nicht in der Lage sind, die Finanzierung der Wohnung sicherzustellen. Allenfalls lohnt es sich, mit dem Vermieter (mit Einverständnis von B.) Kontakt aufzunehmen, um eine Lösung zu suchen.
Im geschilderten Fall ergibt sich für die Frage der Höhe des von der Sozialhilfe zu finanzierenden Mietzinses jedoch folgende Besonderheit: Der Mietzins (Fr. 1720) übersteigt den Grenzwert gemäss kommunalen Richtlinien (Fr. 1'100 für 2 Personen) und die Gemeinde finanziert schon von Beginn weg nur den Grenzwert, da beiden Mietparteien vor Zuzug der Grenzwert bekannt war. Insoweit scheint es auch nach Auszug der einen Mietpartei (A.) nun nicht angezeigt, dass der effektive Mietzins übernommen wird. Die Sozialhilfe würde im vorliegenden Fall während einer Übergangszeit (siehe vorstehender Abschnitt für die Kriterien) den Grenzwert für den Zweipersonenhaushalt weiterhin finanzieren – falls A. sich nicht mehr an den Wohnkosten beteiligt.
Dadurch ergibt sich im vorliegenden Fall noch eine weitere Besonderheit: B. muss damit die Differenz bis zum effektiven Mietzins (Fr. 620) selber stemmen, was sie zuvor zu zweit mussten. Wenn dies der verbleibenden Mietpartei (B.) nicht möglich ist (z.B. mit Einkommensfreibetrag gemäs § 11 SHV/LU und GB-Anteil) und es sich als schwierig erweist, einen Nachmieter zu stellen oder eine neue WG-Partnerin zu finden, dann wäre es vertretbar, wenn die Sozialhilfe während einer regulären Kündigungsfrist (3 Monate) den Mietgrenzwert für den Zweipersonenhaushalt übernimmt und danach jener für einen Einpersonenhaushalt. Damit trägt die Sozialhilfe dem Umstand Rechnung, dass die Wohnung nicht erhaltenswert ist, sie mit dem höheren Grenzwert lediglich dazu beiträgt, die Schulden etwas kleiner zu halten, jedoch nicht zur Gewährleistung von Obdach. Dasselbe gilt natürlich, wenn sich B. weder um Nachmieterschaft noch um eine neue WG-Partnerin bemüht (vgl. SKOS-RL C.4.1 Abs. 5). Der Mietzins für einen Einpersonenhaushalt wäre zeitlich nicht befristet, wobei die Sozialhilfe die Situation beobachten sollte, wenn B. weiterhin alleine in der überteuerten Wohnung wohnen bleibt.
Zusammengefasst kann festgehalten werden, dass es für die vorliegende Situation keine einheitliche Handhabung gibt. Im Einzelfall kann die Sozialhilfe die bisherige Situation während einer Übergangsfrist mittragen, wobei vorliegend ein bereits angeordneter Grenzwert beachtet werden dürfte. Hingegen ist es legitim, wenn die Sozialhilfe nach kurzer Übergangsfrist den Einpersonenhaushalt zur Anwendung bringt, wenn höhere Ansätze (Grenzwert Zweipersonen-WG) den Verlust der (nicht erhaltenswerten) Wohnung nicht abwenden könnten.
Ich hoffe, Ihnen damit Ihre Frage beantwortet zu haben.
Freundliche Grüsse
Ruth Schnyder