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Mietzinsrichtlinien - Sozialhilfe (mehr Personen als Mietzinsrichtlinien definieren)

Veröffentlicht:
15.12.2020
Kanton:
Aargau
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Die Mietzinsrichtlinien in einer Aargauer Gemeinde "hören bei einer Haushaltsgrösse von 5 Personen auf" und wird von der Gemeinde mit CHF 1'500.00 inkl. angegeben.

Die Familiengrösse beträgt 7 Personen. Die Gemeinde teilt mit, dass die selben Mietzinsrichtlinien gelten wie bei 5 Personen.

Im Handbuch Soziales des Kt. Aargau ist unter 7.2.2 zu lesen, dass die Sozialhilfebehörde verpflichtet ist, von den Mietzinsrichtlinien abzuweichen, sollte der Einzelfall dies gebieten. Des Weiteren seien "in relevanten Punkten ungleiche Sachverhalte auch unterschiedlich" zu behandeln.

Kann ich unter diesem Titel eine höhere Mietzinsrichtlinie für den 7 Personen Haushalt erwirken ?

Frage beantwortet am

Cathrin Habersaat-Hüsser

Expert*in Sozialhilferecht

Sehr geehrter Herr Senger

Besten Dank für Ihre Anfrage, die ich gerne beantworte. Aufgrund der Normenhierarchie werde ich auch auf das Gesetz und die Verordnung einbeziehen, damit Ihre Argumentation mehr Gewicht erhält.

Gemäss dem Sozialhilfe- und Präventionsgesetz Kanton Aargau (SPG AG), Stand 8.4.18 regelt der Regierungsrat die Art und Höhe der materiellen Hilfe (§10 Abs. 1). In der Sozialhilfe- und Präventionsverordnung Aargau (SPV AG), Stand 1.3.20 wird in §3 Abs. 1 differenziert, dass die Existenzsicherung Ernährung, Kleidung, Obdach und medizinische Grundversorgung gewährleistet. Bezüglich dem Recht auf Obdach haben die Gerichte schon mehrfach präzisiert, dass ein Anspruch auf eine menschenwürdige Unterkunft, inklusive Schutz vor Kälte, Feuchtigkeit, Übergriffen und Zugang zu Energie, Trinkwasser und sanitären Anlagen garantiert werden muss. So auch im Urteil WBE.2014.3 vom 20. August 2014, Erwägung 2.4.2. §10 Abs. 2 SPG AG legt fest, dass einzelne Leistungen auch pauschalisiert werden können, was gemäss Ihrem Fallbeschrieb die Gemeinde bezüglich der Mietzinse gemacht hat. Ich gehe davon aus, dass es sich nicht um Sozialhilfe für Asylsuchende, Schutzbedürftige ohne Aufenthaltsbewilligung oder vorläufig Aufgenommene handelt, ansonsten würde §16ff. SPG AG zur Geltung kommen. Sofern es sich um Flüchtlinge oder Schutzbedürftige mit Aufenthaltsbewilligung handelt, hat das folgende (§16 SPG AG) dennoch Gültigkeit. §4 SPV legt zudem fest, dass Anspruch auf Sozialhilfe Einzelpersonen oder Personengemeinschaften haben, die eine Unterstützungseinheit bilden. Was als Unterstützungseinheit gilt, wird in § 32 Abs. 3 SPV AG und im Handbuch Soziales Aargau unter 6.1 festgelegt. Ich gehe davon aus, dass ihre siebenköpfige Familie eine solche Unterstützungseinheit bildet. Treffen diese Annahmen in Ihrem Fall nicht zu, dürfen Sie sich gerne nochmals melden.

Bezüglich Wohnungsmietzins findet sich §15b SPV AG. Dort heisst es, dass die Gemeinden Mietzinsrichtlinien festlegen, welche den Richtwert für die Sozialhilfe definieren, wie hoch der maximal zu übernehmende Wohnungsmietzins sein darf. Dabei ist die Grösse des Haushalts zu berücksichtigen und sie sollen sich am ortsüblichen günstigen Mietzins orientieren (Abs. 1). Des Weiteren sind diese Richtlinien periodisch zu überprüfen (Abs. 2) und in begründeten Fällen kann vom Richtwert abgewichen werden (Abs. 3). Das Wort kann ist hier sehr zentral, denn dies räumt der Gemeinde einen Ermessenspielraum ein. Sie kann, muss aber nicht. Im Handbuch Soziales wird unter 7.2.2 das Wort in der Regel gemäss Mietzinsrichtlinien verwendet. Auch daraus ergibt sich, dass Abweichungen von der Richtlinie möglich, aber eben nicht zwingend sind. Dass jeder Fall aber individualisiert angesehen muss, dazu findet sich auch in §5 Abs. 1 SPG AG was. Dort heisst es, dass ein Anspruch auf Sozialhilfe besteht, wenn die eigenen Mittel nicht genügen und andere Hilfeleistungen nicht rechtzeitig erhältlich sind oder nicht ausreichen. In Abs. 2 ist festgehalten, dass dabei den individuellen Verhältnissen der Hilfe suchenden Person Rechnung zu tragen ist. Dies entspricht dem Subsidiaritätsprinzip (Abs. 1) und dem Individualisierungsprinzip (Abs. 2).

Der Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 8 Abs. 1 Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft) kann für Ihren Fall ein hilfreiches zusätzliches Argument sein, um die Gemeinde zur Überprüfung und somit zur Nutzung der Kann Form zu animieren. Hierzu findet sich im Handbuch unter 1.1.5 folgendes: „Gleiches ist nach Massgabe seiner Gleichheit gleich, Ungleiches nach Massgabe seiner Ungleichheit ungleich zu behandeln. Somit müssen unterschiedlichen Regelungen rechtlich erhebliche Unterschiede zu Grunde liegen und dürfen Tatbestände, die sich wesentlich unterscheiden, nicht gleich geregelt werden. Ein Entscheid verletzt den Grundsatz der rechtsgleichen Behandlung, wenn er rechtliche Unterscheidungen trifft, für die kein vernünftiger Grund in den zu regelnden Verhältnissen ersichtlich ist, oder wenn er Unterscheidungen unterlässt, die sich aufgrund der Verhältnisse aufdrängen.“ Auch unter 7.2.2 wird weiter ausgeführt, dass der Grundsatz der Rechtsgleichheit verlange, dass in relevanten Punkten ungleiche Sachverhalte auch unterschiedlich behandelt werden müssen. Die Wohnsituation bedürfe der individuellen Abklärung. Explizit steht: „Die Sozialbehörde ist verpflichtet, von der Mietzinsrichtlinie abzuweichen, sollte der Einzelfall dies gebieten“.

§10 Abs. 1 SPV AG legt fest, dass für die Bemessung der materiellen Hilfe die von der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe erlassenen Richtlinien vom April 2005 (4. überarbeitete Ausgabe) für die Ausgestaltung und Bemessung der Sozialhilfe (SKOS-Richtlinien) mit den bis zum 1. Januar 2017 ergangenen Änderungen Gültigkeit haben, sofern das SPG beziehungsweise dessen Ausführungserlasse keine weiteren Abweichungen enthalten. Die gemachten Vorbehalte kommen hier nicht zum Zuge. SKOS-RL B.3 legt jedoch nur fest, dass von Sozialhilfe beziehenden Personen erwartet wird, dass sie in günstigem Wohnraum leben, Richtwerte finden sich keine, da das Mietzinsniveau regional oder kommunal unterschiedlich ist. Es wird aber auch hier empfohlen, dass eine nach Haushaltsgrösse abgestufte Obergrenze für die Wohnkosten festzulegen sei, die periodisch geprüft wird. Weiter ist festgehalten, dass sich die Mietzinsrichtlinien auf eine fachlich begründete Berechnungsmethode abstellen sollten, die gestützt auf Daten des lokalen und aktuellen Wohnungsangebotes angewendet wird.

Zur Individualisierung findet sich unter A.4 was. Das Prinzip verlange, dass die Hilfeleistungen jedem einzelnen Fall angepasst sind und sowohl den Zielen der Sozialhilfe im Allgemeinen als auch den Bedürfnissen der betroffenen Person im Besonderen entsprechen. 1.3.4 im Handbuch Soziales Aargau führt explizit auf, dass die Behörde verpflichtet ist, sowohl die Ziele der Sozialhilfe im Allgemeinen, als auch die persönlichen Bedürfnisse der Unterstützen im Besonderen zu berücksichtigen. Ebenfalls Gültigkeit hat das Bedarfsdeckungsprinzip (SKOS-RL A.4, Handbuch Soziales Aargau 1.3.1). Dieses verlangt, dass die Sozialhilfe einer konkreten, individuellen und aktuellen Notlage abhelfen soll. Ausschlaggebend ist der tatsächlich vorhandene Hilfsbedarf und durch die Sozialhilfeunterstützung soll diese individuelle Notlage überwunden werden. Die Unterstützung muss sich somit am konkreten Bedarf der in ihrem Falle grossen Unterstützungseinheit orientieren. Zum individuellen Unterstützungsbudget zählt gemäss SKOS-RL A.6 die materielle Grundsicherung (Grundbedarf für den Lebensunterhalt, Wohnkosten samt üblichen Nebenauslangen und die medizinische Grundversorgung) und in vielen Fällen zusätzlich situationsbedingte Leistungen, Integrationszulagen und/oder Einkommens-Freibeträge. Ebenfalls zentral in Ihrem Fall ist die Angemessenheit der Hilfe, auch unter A.4 oder im Handbuch Soziales unter 1.3.7 zu finden. Demnach sollen unterstützte Personen materiell nicht besser, aber auch nicht schlechter gestellt werden als nicht unterstützte Personen, die in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen leben. Wird der Lebensstandard einer Person unter das auch in bescheidenen Verhältnissen übliche Mass gesenkt, dann ist gemäss 1.3.6 Handbuch Soziales AG die Menschenwürde verletzt.

 

Fazit:

Sollte die Gemeinde gar keine Richtlinie für 7 Personen kennen (es steht nicht 5 oder mehr Personen), so würde ich mich auf §15b SPV AG stützen, wo klar in Abs. 1 festgehalten ist, dass die Gemeinde Mietzinsrichtlinien zu erlassen habe, bei der die Grösse des Haushalts zu berücksichtigen ist (so auch in den SKOS-RL B.3). Dies entspricht auch der Orientierung am individuellen Bedarf (SKOS-RL A.4, Handbuch 1.3.1). Dabei gilt es zu beachten, dass die Familie nicht besser, aber eben auch nicht schlechter gestellt wird als nicht unterstützte Personen, die in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen leben (Angemessenheit, SKOS-RL A.4, Handbuch 1.3.7).

Wenn festgehalten ist, dass 5 oder mehr Personen die Fr. 1500.00 an Mietzins berücksichtigt erhalten, dann würde ich mich auf den Gleichbehandlungsgrundsatz (Art. 8 Abs. 1 BV, Handbuch 1.1.5) stützen, wenn sich in Ihrem beschrieben Falle Unterscheidungen aufgrund der Verhältnisse aufdrängen, also von den Mietzinsrichtlinien abgewichen werden soll. Die Gemeinde müsste wie im Handbuch vorgesehen den Sachverhalt individuell abklären und im Einzelfall entscheiden, dies gebietet auch der in der Sozialhilfe stark verankerte Grundsatz der Individualisierung, der rechtlich in §5 Abs.2 SPG AG (SKOS-RL A.4, Handbuch 1.3.4) verankert ist. Dies würde ich schriftlich einfordern, falls dies nicht erfolgt ist. Dann würde ich mich auch auf das Handbuch 7.2.2 abstützen, wo es heisst, dass die Gemeinde verpflichtet ist, von der Mietzinsrichtlinie abzuweichen, wenn dies der Einzelfall gebietet. In der Verordnung lässt sich jedoch diese Pflicht nicht ableiten, sondern es handelt sich um eine Kann Norm, bei der Ermessensspielraum besteht (§15b Abs. 3). Ich würde Ihnen empfehlen aus Ihrer Sicht zu begründen, weswegen in diesem Einzelfall von den Mietzinsrichtlinien abgewichen werden soll. Dies können Argumente bezüglich der Bedürfnisse der betroffenen Personen sein, Bsp. wenn es schon ältere Kinder sind können die Rückzugsmöglichkeiten oder gute Lernbedingungen angeführt werden. Ebenfalls wäre ein Argument, dass sich die Unterstützung am individuellen Bedarf zu orientieren hat (SKOS-RL A.4, Handbuch 1.3.1) und sich die berechtigte Frage stellt, ob mit dem durch die Gemeinde gewählten Vorgehen diesem Grundprinzip der Sozialhilfe Rechnung getragen wird. Es müsste also geprüft werden, ob mit dem zugestandenen Betrag überhaupt eine Wohnung gefunden werden kann (der Bedarf also effektiv gedeckt werden kann), die den individuellen Bedürfnissen Rechnung tragen. Ist dies nicht der Fall, so wäre die Gemeinde aus meiner Sicht verpflichtet, höhere Kosten zu übernehmen. Auch ein gutes Argument wäre, dass die Familie durch die Regelung schlechter gestellt ist als Personen in bescheidenen wirtschaftlichen Verhältnissen ohne Sozialhilfe (SKOS-RL A.4, Handbuch 1.3.7). Wäre der Lebensstandard unter das auch in bescheidenen Verhältnissen übliche Mass gesenkt, dann wäre gemäss 1.3.6 Handbuch Soziales AG die Menschenwürde verletzt, welche in der Schweiz ja hohe Beachtung findet und auch in der Bundesverfassung verankert ist. Dies müsste aber gut recherchiert werden. Ein Argument könnte auch sein, dass die SKOS-RL in B.2.2 bezüglich dem Grundbedarf für den Lebensunterhalt ab der 5. Person eine zusätzliche Pauschale von Fr. 200.00 pro weiterer Person vorsehen. Dies sieht auch das Handbuch unter 7.1.1 so vor.

Zu guter Letzt: Hilft alles nichts, dann können Sie noch prüfen, ob die Richtlinien sich am ortsüblichen günstigen Mietzins orientieren und periodisch geprüft werden (§15b Abs. 1 und 2 SPV AG, SKOS-RL B.3). Die SKOS-RL verweisen darauf, dass sich die Mietzinsrichtlinien auf eine fachlich begründete Berechnungsmethode abstellen sollten, die gestützt auf Daten des lokalen und aktuellen Wohnungsangebotes angewendet wird. Auch da könnten Sie mal kritisch nachfragen.

Ich hoffe, Sie finden in meiner Antwort einige passende Argumente, um eine Üperprüfung bei der Gemeinde zu erreichen.

Freundlich grüsst

Cathrin Habersaat