Guten Tag
Eine Sozialhilfe beziehende Familie in unserer Gemeinde (Kt. Bern) wohnt in einem Wohnquartier, bei dessen Wohnungen grössere Renovationsarbeiten an Fassade, Fenstern und Rolladen anfallen. Aufgrund der damit verbundenen Unannehmlichkeiten (insbesondere auch des Lärms) erhält die Familie eine Mietzinsreduktion im Umfang von ca. Fr. 200.- in denjenigen fünf Monaten, in welchen die Bauarbeiten durchgeführt werden.
Die Familie hat sich nun erkundigt, ob die Mietzinsreduktion aufgrund des verringerten Bedarfs vom Sozialhilfebudget abgezogen wird, oder ob der Sozialdienst weiterhin die Höhe des bisherigen Mietzinses erstattet und die Familie so während fünf Monaten die Differenz von je ca. Fr. 200.- für sich behalten darf.
Intuitiv erscheint es mir ungerecht, wenn der Sozialdienst diese Entschädigung für die verringerte Wohnqualität einkassiert und die Familie selbst nichts davon hat. Wie gilt es aber aus Ihrer Sicht hier zu entscheiden und auf welcher rechtlichen Grundlage?
Ich freue mich auf Ihre Antwort.
Frage beantwortet am
Anja Loosli
Expert*in Sozialhilferecht
Sehr geehrte Frau Lehmann
Vielen Dank für Ihre Frage. Ich beantworte diese gerne wie folgt:
Nach Art. 30 Abs. 1 des Gesetzes über die öffentliche Sozialhilfe des Kantons Bern vom 11. April 2001 (Sozialhilfegesetz, SHG, BG 860.1) deckt die wirtschaftliche Hilfe den Grundbedarf für den Lebensunterhalt für die bedürftige Person und ermöglicht ihr die angemessene Teilnahme am sozialen Leben. Für den Vollzug der wirtschaftlichen Hilfe werden nach Art. 8 Abs. 1 der Verordnung über die öffentliche Sozialhilfe vom 24. Oktober 2001 (Sozialhilfeverordnung, SHV) die Richtlinien für die Ausgestaltung und Bemessung der Sozialhilfe der Schweizerischen Konferenz für Sozialhilfe (SKOS-Richtlinien) in der Fassung der fünften Ausgabe vom 1. Januar 2021 für verbindlich erklärt, soweit das SHG und die SHV keine andere Regelung vorsehen.
Gemäss Lit. C.1 SKOS-Richtlinien besteht die materielle Grundversorgung u.a. aus den anrechenbaren Wohnkosten. Daraus kann und muss geschlossen werden, dass die Sozialhilfe maximal die von den Klienten geschuldeten Wohnkosten bezahlen muss. Sinken die Wohnkosten aufgrund einer Mietzinsreduktion vorübergehend, so muss die Sozialhilfe konsequenterweise auch weniger Mietzins bezahlen. Dies ist insbesondere auch deshalb so, weil eine Mietzinsreduktion keine Genugtuung sondern Schadenersatz darstellt (Art. 259a OR) und damit vollumfänglich zu berücksichtigen ist. Erfolgt die Reduktion des Mietzinses nicht zeitnah sonders mittels Rückzahlungen durch den Vermieter, stellt diese folglich eine Einnahme dar. Dies kann ebenfalls in analoger Auslegung der Erläuterungen zu Lit. C.4.1 SKOS-Richtlinien (Wohn- und Nebenkosten im Allgemeinen) geschlossen werden, wenn dort steht, dass Rückzahlungen von zu viel geleisteten Akontozahlungen im Auszahlungszeitpunkt als Einkommen anzurechnen sind. Das muss auch für Mietzinsreduktionen gelten.
Meine Antwort lautet zusammengefasst deshalb folgendermassen: Die Mietzinsreduktion kann nicht von den Klienten «behalten» werden, sondern die Bedürftigkeit reduziert sich in diesem Umfang und die Sozialhilfe muss entsprechend weniger bezahlen bzw. bei einer Rückzahlung gehen anzurechnende Einnahmen ein.
Ich hoffe, Ihnen mit dieser Antwort weiterhelfen zu können.
Freundliche Grüsse