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Mietkautionsversicherungsprämien

Veröffentlicht:
06.04.2022
Kanton:
Bern
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Grüsser,

In einem Beschluss wies das Bundesgericht einen Rekurs der Sozialdienst der Stadt V. ab und bestätigte somit den Entscheid des Kantons Bern, dass die Sozialdienste in bestimmten Situationen die Kosten der Mietkautionsversicherungsprämien als Wohnkosten zu tragen hätten.

Im 2021 hielt sich die Stadt V. insofern an diesen Beschluss, als dass sie Rechnungen für Mietkautionsversicherungsprämien bezahlte, wenn die Sozialhilfeempfänger diese einforderten.

 

Ab 2022 änderte der Sozialdienst V. seine Vorgehensweise. Seither gehen die Prämien zu Lasten der Leistungsempfänger. Der Sozialdienst unterstreicht, dass seine Methoden von einigen Stichwörtern des Berner Handbuchs für Sozialhilfe (BKSE) abweichen können - die Bezahlung der Kautionsprämien ist eine dieser Ausnahmen.

Die Leistungsempfänger können aktuell zwar beantragen, dass die Kaution vom Sozialdienst bezahlt wird, da ihnen anschliessend aber der entsprechende Betrag von der Unterhaltspauschale abgezogen wird, müssen letztendlich doch sie die Kosten tragen.

 

Wie beurteilen Sie diese Situation? Würde es aus Ihrer Sicht Sinn machen, erneut den Rechtsweg zu beschreiten?

Ich danke Ihnen im Voraus für Ihre Antwort.

Frage beantwortet am

Ruth Schnyder

Expert*in Sozialhilferecht

Guten Tag

Gerne beantworte ich Ihre Anfrage. Die von Ihnen erwähnten Urteil sind folgende:

Seither hat sich auf kantonaler Ebene eine Rechtsänderung ergeben: Anfang 2022 ist folgende Bestimmung in der SHV/BE in Kraft getreten:

Art. 11c1 

 1 Der Sozialdienst kann der bedürftigen Person einen angemessenen Betrag vorschiessen, wenn diese eine Sicherheit für die Wohnungsmiete leisten muss.

2 Er vereinbart mit der bedürftigen Person Abzahlungsraten und verrechnet diese unter Wahrung des Bedarfsdeckungsprinzips mit der wirtschaftlichen Hilfe.

3 Besteht vor der vollständigen Abzahlung des Vorschusses keine wirtschaftliche Bedürftigkeit mehr, hat die ehemals bedürftige Person

a den Restbetrag zurückzuzahlen oder

b die noch nicht abbezahlten Raten vereinbarungsgemäss bis zur vollständigen Abzahlung des Vorschusses zu tilgen.

Auf diese Bestimmung bezieht sich nun auch der BKSE-Eintrag unter dem Stichwort «Mietzins». Danach übernimmt der Sozialdienst grundsätzlich keine Mietzinskautionen oder Prämien für entsprechende Versicherungen. Er kann aber einen angemessenen Betrag vorschiessen, was sodann zur Verrechnung mit der wirtschaftlichen Hilfe führt unter Wahrung des Bedarfsdeckungsprinzips.

In Anbetracht dieser Rechtsänderung scheint die von Ihnen geschilderte Praxis verordnungskonform zu sein. Grundsätzlich könnte man die Verordnungsbestimmung aber im Rahmen einer konkreten Normenkontrolle, d.h. wenn bei einer unterstützten Person eine Verrechnung der vorgeschossenen Prämien verfügt wird, auf Rechtskonformität bzw. Verfassungskonformität (Gewährleistung von Obdach) durch die Rechtsmittelinstanzen (Regierungstatthalter, ggf. Gerichte) überprüfen lassen. Dies kann aber nicht einfach unter Berufung auf die o.e. Gerichtsurteile geschehen. Denn diese beruhen im Wesentlichen auf der alten Rechtslage, d.h. die damals massgebende Bestimmung Kap. B.3 der SKOS-Richtlinien (heute SKOS-RL C.4.3 Abs. 2) und die Praxis der Sozialdienste. Die neue Verordnungsbestimmung geht nun aber den SKOS-RL vor, was sich aus Art. 8 Abs. 1 SHV/BE ergibt. Immerhin ergibt sich aus dem Berner Urteil die Aussage, wonach sich ein Trend dahingehend abzeichnen würde, dass die von den Sozialdiensten ausgestellten Mietübernahmegarantien von den Vermietern offenbar häufig als unzureichend angesehen würden (Erw. 6.3). Insofern stellt sich schon die Frage, ob die neue Verordnungsbestimmung mit der Existenzsicherung und dem Bedarfsdeckungsprinzip im Einklang steht, wenn ohne Mietkautionsversicherung kaum noch Wohnraum gefunden werden kann.

Wollen Sie die neue Bestimmung Art. 11c1 SHV/BE rechtlich überprüfen lassen, rate ich Ihnen, die Chancen vorgängig durch eine Anwältin bzw. einen Anwalt (von Vorteil mit entsprechender Spezialisierung) beurteilen bzw. das rechtliche Argumentarium abklären zu lassen.

Ich hoffe, Ihnen damit Ihre Frage beantwortet zu haben.

Freundliche Grüsse

Ruth Schnyder