Liebe Karin
Ich hoffe, es geht dir gut und du hattest einen schönen Sommer!
Wie du siehst, haben wir nun auch eine Mitgliedschaft bei sozialinfo.ch, über die wir sehr erfreut sind.
Der Einbezug von minderjährigen Kindern während der Hospitalisation ihres Elternteils ist uns ein wichtiges Anliegen und so sind wir aktuell dabei unser bisheriges Konzept zu überarbeiten. In diesem Rahmen habe ich im Auftrag der Leitung eine Wegleitung zum zivilrechtlichen Kindesschutz geschrieben, in der ich u.a. den Versuch unternommen habe, das Melderecht bei Kindeswohlgefährdungen für die lups zu konkretisieren und einen Vorschlag zum Vorgehen zu machen. Dies insbesondere in Hinblick auf die 2019 kommende Gesetzesänderung und die damit erweiterten Melderechte.
Da sich dies m.E. als nicht ganz trivial gestaltete, wollte ich dich in Rücksprache mit der Leitung um eine kurze Rückmeldung zu meiner Auslegung (die sehr auf den Wortlaut abstellt) und dem geplanten Vorgehen bitten. Ich kopiere dir einfach mal den besagten Textausschnitt (ohne Fussnoten) hierein. Ich hoffe, meine Anfrage sprengt den Rahmen nicht. Wenn doch, kein Problem! Ich danke dir bereits im Voraus! Liebe Grüsse, Anna
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Für das Kindesschutzverfahren ist das Verhältnis von Melderecht, Meldepflicht und Berufsgeheimnis nun klarer geregelt. Ab dem 01.01.2019 besteht ein erweitertes Melderecht, welches es den an das Berufsgeheimnis gebundenen Personen unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt, der KESB ohne vorherige Entbindung eine Kindeswohlgefährdung mitzuteilen:
Art. 314c ZGB – Melderechte; Inkrafttreten am 01.01.2019
1Jede Person kann der Kindesschutzbehörde Meldung erstatten, wenn die körperliche, psychische oder sexuelle Integrität eines Kindes gefährdet erscheint.
2Liegt eine Meldung im Interesse des Kindes, so sind auch Personen meldeberechtigt, die dem Berufsgeheimnis nach dem Strafgesetzbuch unterstehen. Diese Bestimmung gilt nicht für die nach dem Strafgesetzbuch an das Berufsgeheimnis gebundenen Hilfspersonen.
Das neue Melderecht setzt das „Interesse des Kindes“ voraus. Dieser Wortlaut bringt zum Ausdruck, dass BerufsgeheimnisträgerInnen im Gegensatz zu Privatpersonen eine Abwägung der Vor- und Nachteile einer Meldung mit Blick auf das Kindeswohl vorzunehmen haben.
Vom Melderecht ausgenommen werden explizit die sogenannten „Hilfspersonen“, welche weiterhin strikter dem Berufsgeheimnis nach Art. 321 StGB unterstehen. Als solche Hilfspersonen im gesetzlichen Sinn sind in der lups alle Berufsgruppen zu qualifizieren, die nicht namentlich in Art. 321 StGB aufgezählt werden, d.h. insbesondere Pflegepersonen, HeilpädagogInnen, ErgotherapeutInnen und SozialarbeiterInnen. Folglich kommt das erweiterte Melderecht in der lups nur den leitenden bzw. fallführenden ÄrztInnen und PsychologInnen zu. Die gesetzliche Unterscheidung zwischen primären BerufsgeheimnisträgerInnen und deren Hilfspersonen erweist sich aus rechtlicher Sicht in vielen Bereichen als adäquat, weniger jedoch für die lups aufgrund der hier typischerweise teamstrukturierten, interprofessionellen Zusammenarbeit. Denn neben ÄrztInnen und PsychologInnen sind auch andere Berufsgruppen im Rahmen der Fallführung direkt für die Behandlungsplanung und -durchführung verantwortlich. Für ein rechtssicheres und einheitliches Vorgehen innerhalb der lups sollte die Meldung daher unter Nennung der fallführenden Person von der oder dem Vorgesetzten erfolgen. Das bedeutet, die Meldung erfolgt ausschliesslich im Namen der ärztlichen bzw. psychologischen Leitung der Station, mit Angabe, wer die Fallführung während der Behandlung innehat. Die fallführende Person selbst unterzeichnet die Meldung nicht, erstellt dem oder der Vorgesetzten jedoch im Voraus eine schriftliche Zusammenfassung (Meldungs-Entwurf) mit den für sie oder ihn ausschlaggebenden Gründen für eine Meldung. Hierbei kann die fallführende Person Unterstützung bei der oder dem Knowhow-Tragenden der Station suchen.
Dieses zweistufige Vorgehen dient nicht zuletzt auch der Überprüfung der Notwendigkeit bzw. Geeignetheit der Meldung in Hinblick auf das Kindeswohl ("Interesse des Kindes" )
Frage beantwortet am
Karin Anderer
Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz
Liebe Anna,
deinen Ausführungen erscheinen mir korrekt, für eine Meldung nach Art. 314c Abs. 2 ZGB benötigt die dem Berufsgeheimnis unterstehende Person keine Entbindung vom Berufsgeheimnis, eine Hilfsperson hingegen schon. Das gewählte Vorgehen scheint mir, was die Meldung anbelangt, praktikabel.
Der Botschaft ist Folgendes zu entnehmen: Auf ein Melderecht für Hilfspersonen, die ebenfalls dem Berufsgeheimnis nach dem Strafgesetzbuch unterstehen (Art. 321 Ziff. 1 StGB), soll dagegen verzichtet werden. Die Interessenabwägung, ob das Vertrauensverhältnis bewahrt oder eine Meldung an die Kindesschutzbehörden gemacht werden soll, obliegt den primären Berufsgeheimnisträgerinnen und -trägern selber. Falls eine Hilfsperson Kenntnis von einer möglichen Kindeswohlgefährdung erhält, sollte sie dies den primären Berufsgeheimnisträgerinnen und -trägern zur Kenntnis bringen, damit diese die erforderliche Interessenabwägung vornehmen können (BBL 2015 3431, 3456).
Allerdings stellt sich anschliessend die Frage, wie das Vorgehen aussieht, wenn die KESB Rückfragen zur Meldung bzw. zur Fallsituation hat. Die Hilfsperson steht weiterhin unter dem Berufsgeheimnis, hilfreicher ist es aber oftmals, von der fallführenden Hilfsperson direkt die Informationen zu erhalten und nicht von der primären Berufsgeheimnisträgerin.
In diesem Zusammenhang möchte ich auf zwei Bestimmungen betreffend der Mitwirkung bei der Abklärung eines Sachverhalts hinweisen:
- Der neue Art. 314e Abs. 2 ZGB lautet: Personen, die dem Berufsgeheimnis nach dem Strafgesetzbuch unterstehen, sind zur Mitwirkung berechtigt, ohne sich vorgängig vom Berufsgeheimnis entbinden zu lassen. Diese Bestimmung gilt nicht für die nach dem Strafgesetzbuch an das Berufsgeheimnis gebundenen Hilfspersonen.
- Und nach dem neuen Art. 314e Abs. 3 ZGB sind Personen, die dem Berufsgeheimnis nach dem Strafgesetzbuch unterstehen, zur Mitwirkung verpflichtet, wenn die geheimnisberechtigte Person sie dazu ermächtigt hat oder die vorgesetzte Behörde oder die Aufsichtsbehörde sie auf Gesuch der Kindesschutzbehörde vom Berufsgeheimnis entbunden hat.
Das heisst, dass fallführende Hilfspersonen eigentlich nur mitwirken können, wenn eine Ermächtigung der betroffenen Person oder eine Entbindung vom Berufsgeheimnis vorliegt. In der Botschaft wird allerdings darauf hingewiesen, dass, wo die primären Berufsgeheimnisträger die Mitwirkung ihrer Hilfsperson für angezeigt halten – etwa weil es die Hilfspersonen waren, welche die mögliche Kindeswohlgefährdung wahrgenommen hat –, sie sich jedoch durch diese im Verfahren vertreten lassen kann. Auch eine Entbindung der Hilfsperson vom Berufsgeheimnis durch die vorgesetzte Behörde oder die Aufsichtsbehörde kommt in Frage (BBL 2015 3431, 3461).
Somit ist es also möglich, dass die fallführende Hilfsperson der KESB weiterführende Auskünfte auf Nachfrage hin erteilen kann. Idealerweise wird das bereits auf der Meldung von der primären Berufsgeheimnisträgerin kommuniziert.
Noch ein paar Bemerkungen zur Meldepflicht:
Art.314d regelt neu die Meldepflicht im Kindesschutzbereich:
1 Folgende Personen, soweit sie nicht dem Berufsgeheimnis nach dem Strafgesetzbuch unterstehen, sind zur Meldung verpflichtet, wenn konkrete Hinweise dafür bestehen, dass die körperliche, psychische oder sexuelle Integrität eines Kindes gefährdet ist und sie der Gefährdung nicht im Rahmen ihrer Tätigkeit Abhilfe schaffen können: - Fachpersonen aus den Bereichen Medizin, Psychologie, Pflege, Betreuung, Erziehung, Bildung, Sozialberatung, Religion und Sport, die beruflich regelmässig Kontakt zu Kindern haben;
- wer in amtlicher Tätigkeit von einem solchen Fall erfährt.
2 Die Meldepflicht erfüllt auch, wer die Meldung an die vorgesetzte Person richtet.
3 Die Kantone können weitere Meldepflichten vorsehen.
Somit besteht für die LUPS weder nach Abs. 1 noch nach Abs. 2 der Bestimmung eine Meldepflicht. Fachpersonen, die zwar regelmässig mit Kindern zu tun haben, aber dem Berufsgeheimnis nach dem Strafgesetzbuch unterstehen, sind lediglich berechtigt, eine Meldung nach Artikel 314 c Abs.2 zu erstatten. Es bleibt hier allerdings abzuwarten, ob der Kanton Luzern weitere Meldepflichten vorsieht, die auch die LUPS betreffen könnten.
In der Botschaft lässt sich zur Rolle der Hilfsperson folgendes finden: Soweit die Fachpersonen als Hilfspersonen einer Trägerin oder eines Trägers eines Berufsgeheimnisses tätig sind, unterstehen sie ebenfalls dem Berufsgeheimnis (Art. 321 Ziff. 1 StGB). Sie sind damit ebenfalls vom Kreis der Meldepflichtigen ausgenommen. Auf die Einführung eines Melderechts für Hilfspersonen von Berufsgeheimnisträgerinnen und -trägern wurde verzichtet, da die Interessenabwägung, ob das Vertrauensverhältnis bewahrt oder eine Meldung an die Kindesschutzbehörden gemacht werden soll, den primären Berufsgeheimnisträgerinnen und -trägern selber obliegen sollte (…). Die Einführung einer Meldepflicht für Hilfspersonen von Berufsgeheimnisträgerinnen und -trägern würde dieser Gewichtung zuwiderlaufen und die Hilfspersonen in einen Interessenkonflikt bringen. Hilfspersonen von Berufsgeheimnisträgerinnen und -trägern sind damit zwar weder meldeberechtigt noch meldepflichtig. Sie sind jedoch angehalten, mögliche Kindeswohlgefährdungen den primären Berufsgeheimnisträgerinnen und -trägern zur Kenntnis bringen. Es muss gewährleistet sein, dass diese die erforderliche Interessenabwägung vornehmen können (BBL 2015 3431, 3458 )
Nach Art. 453 ZGB sind Personen, die dem Amts- oder Berufsgeheimnis unterstehen, in einem Fall, wo die die ernsthafte Gefahr besteht, dass eine hilfsbedürftige Person sich selbst gefährdet oder ein Verbrechen oder Vergehen begeht, mit dem sie jemanden körperlich, seelisch oder materiell schwer schädigt, berechtigt, der Erwachsenenschutzbehörde Mitteilung zu machen. Diese Bestimmung erlaubt also der Hilfsperson, in diesen besonderen Gefahrensituationen auch eine Meldung zu machen.Eine Ermächtigung der betroffenen Person oder eine Entbindung vom Berufsgeheimnis benötigt es in diesen Fällen nicht.
Ich hoffe, die Antwort ist dir nützlich und ich grüsse dich freundlich
Karin Anderer
Luzern, 19.10.2018
Liebe Karin
Vielen Dank für deine ausführliche Antwort! Sie deckt sich mit meinen weiteren (nicht kopierten) Ausführungen, also doch nicht alles falsch gemacht ;)
Vielen lieben Dank!! Liebe Grüsse und ein schönes Wochenende!