Sehr geehrte Frau Anderer
In unserer Institution sind Kinder mit unterschiedlichen Kindsschutzmassnahmen platziert. Medienpädagogik ist ein wichtiges und ein herausforderndes Lernfeld für uns. Im konkreten Fall handelt es sich um einen 14 jährigen Jugendlichen der seit 12 Jahren und freiwilig plaziert ist. Sein eigener Laptop befindet sich in seinem Zimmer. Leider werden die Nutzungszeiten nicht eingehalten. Das Resultat ist nächtelanges Gamen mit der Konsequenz am darauffolgenden Morgen nicht zur Schule zu gehen. Aus pädagogischer Sicht müssten wir den Laptop am Abend einziehen. Dürfen wir es auch aus rechtlicher Perspektive? Wer müsste die Zustimmung dafür geben oder informiert werden?
Herzlichen Dank im Voraus.
Freundliche Grüsse
Jörg Pieper
Frage beantwortet am
Karin Anderer
Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz
Sehr geehrter Herr Pieper
Der Entzug oder die Einschränkung des Besitzes elektronischer Kommunikationsmittel stellt einerseits eine freiheitsbeschränkende Massnahme dar, andererseits tangiert sie die Eigentumsfreiheit.
Die Institution vertritt die Eltern (ganz oder teilweise) in ihren Erziehungsaufgaben, weshalb die Institution die Einwilligung der Eltern, allenfalls des Vormundes oder der Beiständin, für disziplinarische Massnahmen benötigt (vgl. Peter Mösch Payot , Rechtliche Rahmenbedingungen für freiheitsbeschränkende Massnahmen im Heimbereich, in ZKE 2014, S. 5-30). Dem Platzierungsvertrag, der bei freiwilligen Platzierungen immer mit den Inhabern der elterlichen Sorge abgeschlossen wird, sind u.a. auch Konzepte wie bspw. Umgang mit elektronischen Kommunikationsmitteln, Medienpädagogikkonzept, Hausordnung, Sexualpädagogikkonzept beizulegen. Dadurch nehmen die Eltern bzw. die gesetzliche Vertretung und das urteilsfähige Kind zur Kenntnis, welche Regeln in einer Institution gelten und sie stimmen diesen grundsätzlich zu.
Bei der Wahrnehmung der Erziehungsaufgaben orientiert sich die Institution an den elterlichen Erziehungsbefugnissen nach Art. 301 ZGB. Disziplinarische Massnahmen sind zulässig, solange sie in Art und Ausmass dem elterlichen Erziehungsrecht entsprechen und durch das Kindeswohl motiviert und gedeckt sind. Nach Art. 301 Abs. 2 ZGB ist dem Kind die seiner Reife entsprechende Freiheit der Lebensgestaltung zu gewähren. Das bedeutet, dass disziplinarische Massnahmen verhältnismässig sein und mit dem Selbstbestimmungsrecht des urteilsfähigen Kindes abgewogen werden müssen (Mösch, 22 f.).
Das Verhältnis von Schule und Elternhaus bzw. Institution ist von Rechten und Pflichten geprägt. Die Eltern bzw. hier die Institution haben dafür besorgt zu sein, dass der Jugendliche den Unterricht regelmässig und ausgeruht besucht und dass er genug Zeit für das Erledigen der Hausaufgaben hat. Deshalb erscheint mir im vorliegenden Kontext ein eingeschränkter Besitz des Laptops als zulässig und verhältnismässig, solange der Jugendliche das nicht selber regeln kann oder will.
Fehlt ein Konzept „Umgang mit elektronischen Kommunikationsmitteln“ so empfiehlt es sich, mit den Eltern bzw. der gesetzlichen Vertretung die konkrete disziplinarische Massnahme zu besprechen und die Einwilligung einzuholen. Allenfalls ist ein vorhandenes Konzept dem Platzierungsvertrag im Sinne einer Vertragsergänzung den Eltern bzw. der gesetzlichen Vertretung zuzustellen.
Selbstverständlich kann der urteilsfähige Jugendliche auch selbst in eine disziplinarische Massnahme einwilligen. Je nach Art und Intensität einer Massnahme sind die Eltern oder die gesetzliche Vertretung aber trotzdem darüber zu informieren. Ist im vorliegenden Fall der Jugendliche mit dieser Massnahme einverstanden und ist den Eltern das Medienpädagogikkonzept bekannt, so scheint mir eine Zustimmung der Eltern nicht notwendig. Im Rahmen regelmässiger Elterngespräche sind sie aber über diese "disziplinarische Schwierigkeit" zu informieren.
Auf der Website von Curaviva finden Sie in der unter Fachinformationen > Arbeitsinstrumente die Rubrik „Richtlinien und Musterreglemente zu Bild- und Tonaufnahmen sowie elektronischen Kommunikationsmitteln“.
Werden elektronische Geräte eingezogen, so ist für eine sorgfältige Aufbewahrung zu sorgen.
Ich hoffe, die Angaben sind nützlich und ich grüsse Sie freundlich
Karin Anderer
Luzern, 26.5.2019