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Massnahmekosten in Patchworkfamilie

Veröffentlicht:
17.07.2023
Kanton:
Bern
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Kindes- und Erwachsenenschutz

Guten Tag 

Anbei eine kurze Fallvignette, bevor unsere Fragestellung kommt: 

Herr M. bringt drei Kinder aus erster Beziehung mit in seine Ehe. Mit seiner Frau (Frau M.) hat er noch zwei gemeinsame Kinder. Nun ist eines seiner Kinder aus erster Beziehung, nennen wir sie Eva, in einem Kleinheim platziert (seinerseits unfreiwillig). Für die Berechnung der Beteiligung an den Massnahmekosten von Eva haben wir seine letzte Steuererklärung (gemeinsam mit Frau M.) als Grundlage genommen. Im Gegensatz zu Herrn M. hat Frau M. bei der Heirat 2017  Vermögen (Barvermögen und ein Haus) mit in die Ehe gebracht. In der Steuererklärung ist für uns allerdings nicht ersichtlich, was Eigengut von Frau M. und was gemeinsames Gut der beiden ist (ab Heirat Gütergemeinschaft). Nun ergibt sich aufgrund des Vermögens von Frau M. eine sehr hohe Beteiligung an den Massnahmekosten. Frau M. setzt sich nun zur Wehr, da sie in ihren Augen mit ihrem Eigengut ihrem Ehemann gegenüber nicht beistandspflichtig ist. Ihr Eigengut ist für die zwei gemeinsamen Kinder gedacht und sollte nun nicht für die Massnahmekosten des Stiefkindes Eva aufgebraucht werden. 

Wir können die Haltung von Frau M. sehr gut nachvollziehen, zumal es für Frau M. absolut in Ordnung ist, dass ihr Einkommen und das gemeinsame Gut in die Berechnung der Massnahmekosten von Eva mit einfliesst.

Was können wir Frau M. in diesem Fall raten?

Wie kann sie ihr Eigengut schützen - respektive auf welcher Grundlage kann sie verlangen, dass ihr Eigengut nicht in die Berechnung der Massnahmekosten von Eva mit einfliesst?

Abschliessend kam in unserer Diskussion noch auf, wie sich Massnahmekosten steuertechnisch verhalten. Kindsunterhalt kann ja in Abzug gebracht werden. Massnahmekosten auch?  

Besten Dank im Voraus für ihre Hilfestellung. Das Vorgehen wird uns dann sicherlich noch in weiteren KFSG/Patchworkfällen behilflich sein. 

 Freundliche Grüsse 

Frage beantwortet am

Karin Anderer

Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz

Grüezi

Unabhängig davon, ob es sich um einvernehmlich vermittelte Leistungen (Art. 31 Abs. 2 des Gesetzes über die Leistungen für Kinder mit besonderem Förder- und Schutzbedarf des Kantons Bern (KFSG) vom 3.12.2020, BSG 213.319) oder um Leistungen im Rahmen eines zivilrechtlichen Verfahrens (Art. 32 Abs. 2 KFSG) handelt, richtet sich die zu erbringende Kostenbeteiligungen nach den Art. 34 bis 36 KFSG.

Nach Art. 35 KFSG beteiligen sich unterhaltspflichtige Personen an den Kosten der erbrachten Leistungen nach Massgabe ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Bei Unterhaltspflichtigen mit Beistand einer gesetzlich verpflichteten Person und bei Unterhaltspflichtigen in gefestigter Lebensgemeinschaft wird die finanzielle Leistungskraft der gesetzlich verpflichteten Person oder der Partnerin bzw. des Partners in gefestigter Lebensgemeinschaft angemessen berücksichtigt.

Nach Art. 33 Verordnung über die Leistungen für Kinder mit besonderem Förder- und Schutzbedarf des Kantons Bern (KFSV) vom 30.6.2021, BSG 213.319.1, beteiligen sich die Unterhaltspflichtigen im Rahmen der in Anhang 4 (Art. A4-1) vorgesehenen Beträge an den Kosten der stationären oder ambulanten Leistungen, soweit diese nicht bereits von den Leistungsbezügerinnen und Leistungsbezügern gedeckt sind.

Die in Anhang 4 (Art. A4-1) festgelegte Kostenbeteiligung der unterhaltspflichtigen Personen richtet sich nach dem massgebenden Jahreseinkommen.

Art. 36 Abs. 1 KFSV legt Folgendes fest: Für die Bemessung der Kostenbeteiligung der beitragspflichtigen Personen wird das massgebende Einkommen der wirtschaftlichen Haushaltseinheit bestimmt. Nach Art. 36 Abs. 2 KFSV umfasst die wirtschaftliche Haushaltseinheit neben der beitragspflichtigen Person

a die Ehegattin oder den Ehegatten,

b die registrierte Partnerin oder den registrierten Partner,

c die Partnerin oder den Partner, soweit diese oder dieser mit der beitragspflichtigen Person gemeinsame Kinder hat oder seit mehr als zwei Jahren mit ihr zusammenlebt,

d minderjährige oder volljährige, in Erstausbildung stehende Kinder unter 25 Jahren.

Nach Art. 37 KFSV wird das für die Berechnung der Kostenbeteiligung massgebende Jahreseinkommen soweit möglich gestützt auf die letzte rechtskräftige Veranlagungsverfügung oder Taxationseinschätzung der Steuerbehörde bemessen.

Die Ehegattin gehört zur wirtschaftlichen Haushaltseinheit und die Kostenbeteiligung ist anhand der letzten rechtskräftigen Veranlagungsverfügung oder Taxationseinschätzung der Steuerbehörde zu bemessen.

Die Ehefrau ist gestützt auf Art. 272 gegenüber ihrem Ehemann und den Stiefkindern beistandspflichtig (BSK ZGB I-Schwenzer/Cottier Art. 272, N 2). Und nach Art. 278 Abs. 2 ZGB hat jeder Ehegatte dem andern in der Erfüllung der Unterhaltspflicht gegenüber vorehelichen Kindern in angemessener Weise beizustehen. Art. 278 Abs. 2 ZGB konkretisiert die eheliche Beistandspflicht des Stiefelternteils nach Art. 159 Abs. 3 ZGB und die gemeinsame Unterhaltspflicht der Stieffamilie nach Art. 163 ZGB (BSK ZGB I-Fountoulakis Art. 278 N 4).

Das Güterrecht ist für die Bemessung der Leistungsfähigkeit nicht zu berücksichtigen, abgestellt wird auf das massgebende Jahreseinkommen des gemeinsamen Haushaltes. Güterrechtliche Fragen stellen sich erst in Fällen der Auflösung des Güterstandes bzw. der Ehe.

Nichts anderes ergibt sich aus Art. 35 KFSG, der auf Unterhaltspflichtige mit Beistand einer gesetzlich verpflichteten Person hinweist.

Auf der Website des Kantonalen Jugendamtes findet sich folgender Hinweis: «Beiträge der Unterhaltspflichtigen: Die Kostenbeteiligung wird auf der Basis des massgebenden Jahreseinkommens des gemeinsamen Haushaltes berechnet und beträgt höchstens die effektiven Kosten der Massnahme (Art. 35 KFSG, Art. 37 KFSV). Kosten, welche die Eltern wegen fehlender wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit nicht übernehmen können, deckt das Gemeinwesen.»

Nicht bekannt sind mir interne Berechnungsvorlagen und weitere Vorgaben und Empfehlungen des Kantons zur Berechnung der Kostenbeteiligung.

Die Mutter von Eva ist im Übrigen auch unterhaltspflichtig.

Zu steuerrechtlichen Fragestellungen und einem möglichen Sozialabzug kann ich Ihnen keine Auskunft erteilen, fragen Sie direkt beim kantonalen Steueramt nach.

Ich hoffe, die Angaben sind nützlich und ich grüsse Sie freundlich.

Luzern, 22.7.2023

Karin Anderer

Guten Tag Frau Anderer 

 

Besten Dank für die Angabe der Gesetzesartikel. Noch eine kleine Nachfrage: Sie schreiben durchgehend vom Jahreseinkommen. In meiner Frage ging es jedoch um das Vermögen der Stiefmutter von Wva, nicht um ihr Einkommen. Macht dies einen Unterschied? Besten Dank.

Frage beantwortet am

Karin Anderer

Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz

Grüezi

Ja, das macht es. Die Vorgaben zur Berechnung sind in Art. 35 KFSG und in den Art. 33 ff. KFSV geregelt, die Berechnung knüpft an das massgebende Jahreseinkommen, gestützt auf die letzte rechtskräftige Veranlagungsverfügung oder Taxationseinschätzung der Steuerbehörde, an.

Schauen Sie Anhang Art. A4-1 KFSV an, wo die Kostenbeteiligung der Unterhaltspflichtigen geregelt ist. Die Tabelle legt die Kostenbeteiligung der Unterhaltspflichtigen gemäss Artikel 33 Absatz 1 KFSG fest.

Mir ist nicht bekannt, ob Sie abweichende interne Berechnungsvorlagen haben und ob es weitere Vorgaben und Empfehlungen des Kantons zur Berechnung der Kostenbeteiligung gibt? Wenn ja, gestützt auf welchen Grundlagen berechnen Sie die Kostenbeteiligung abweichend vom KFSG und von der KFSV?

Freundliche Grüsse

Karin Anderer