Sachverhalt.
Ich betreue eine betagte, verwitwete Frau, welche nicht mehr urteilsfähig ist und im Pflegeheim lebt (Vertretungs- und Verwaltungsbeistandschaft nach Art. 394 i.V.m. Art. 395 ZGB). Die Frau hat drei Kinder und besitzt eine Liegenschaft, welche sie früher mit ihrer Tochter bewohnte, heute lebt die Tochter alleine in dem Haus. Die Angehörigen haben mangels Liquidität im letzten halben Jahr die Heimkosten nicht mehr beglichen, es bestehen offene Forderungen von rund Fr. 27'000.--, welche teils bereits in Betreibung gesetzt wurden. Die Kinder sind untereinander zerstritten und es kommt keine gütliche Einigung für den Verkauf der Liegenschaft zustande. Es besteht eine Hypothek, welche bis zur Belastungsgrenze ausgeschöpft ist. Die finanzierende Bank lässt keine Erhöhung der Hypothek mehr zu. Es besteht trotz Ergänzungsleistungen und einer Taggeldversicherung ein mtl. Fehlbetrag von rund Fr. 4'000.--, welcher derzeit vom zuständigen Sozialamt übernommen wird (Bevorschussung).
Um den finanziellen Verpflichtungen meiner Klientin nachkommen zu können, muss ich das Haus verkaufen. Es besteht ein Ehe- und Erbvertrag, welcher bestimmt, dass das Haus nach dem Tod meiner Klientin der Tochter, welche im Haus wohnt, zuweist. Als Nacherben werden die anderen beiden Kinder eingesetzt. Gemäss Auskunft des Notars ist ein Verkauf der Liegenschaft nur möglich, wenn alle drei Kinder diesem Verkauf zustimmen. Die Kinder stellen sich jedoch quer. Ein Verkauf an Dritte lässt das Notariat nur zu, wenn im Kaufvertrag explizit steht, dass der Beistand den Verkauf im Wissen des bestehenden Ehe- und Erbvertrages tätigt, damit ein allfälliger Käufer Kenntnis von dieser Rechtslage hat.
Fragen:
- Kann ich die Liegenschaft als vertretungsberechtigter Beistand an einen Dritten verkaufen, obwohl ich Kenntnis von diesem Ehe- und Erbvertrag habe?
- Müssen die Kinder einem Kaufvertrag zwingend zustimmen?
- Kann das Notariat verlangen, dass ein Passus mit Verwies auf den Ehe- und Erbvertrag in den Kaufvertrag aufgenommen wird und der Beistand im Wissen dieses Vertrages trotzdem einen Verkauf an Dritte tätigt?
Besten Dank für den rechtlichen Beistand.
Reto Hensler, Berufsbeistand
Frage beantwortet am
Urs Vogel
Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz
Erwägungen
Vorliegend besteht ein Ehe- und Erbvertrag (Art. 494 Abs. 1 ZGB), welcher bezüglich der Vermögensregelung beim Tod des ersten Ehegatten regelt, dass die gesamte Errungenschaft gemäss Art. 216 ZGB dem überlebenden Ehegatten aufgrund des Eherechts zu Alleineigentum zugewiesen wird. In einer weiteren Ziffer, neuformuliert durch einen späteren notariell beglaubigten Nachtrag, wird geregelt, dass beim Versterben des zweiten Ehegatten Tochter D. als Vorerbin bezüglich eines Grundstückes eingesetzt wird, als Nacherben die beiden anderen Kinder eingesetzt werden.
Vorliegend ist der Ehemann der Klientin X. verstorben, die Nachlassregelung entsprechend dem Ehe- und Erbvertrag ergab lediglich die güterrechtliche Zuteilung der Errungenschaft aus Eherecht (siehe dazu Ziff. 3a des Ehe- und Erbvertrages) und das Eigengut der Ehefrau an die Ehefrau, Eigengut des Ehemannes war nicht vorhanden. Die im Ehe- und Erbvertrag aufgeführten Liegenschaften stehen somit im Alleineigentum der überlebenden Ehefrau, was grundbuchlich auch entsprechend nachvollzogen wurde.
Die im Ehe- und Erbvertrag formulierte Zusatzziffer (Ziff. 4b) betreffend Vor- und Nacherbeneinsetzung kommt erst dann zur Anwendung, wenn die Ehefrau (Klientin) stirbt. Solange sie lebt kann sie über ihr Vermögen vollkommen frei verfügen, somit auch über die Veräusserung ihrer Grundstücke und anderer Vermögenswerte, sie ist lediglich eingeschränkt bezüglich letztwilliger Verfügungen. In diesem Bereich ist sie durch den Ehe- und Erbvertrag gebunden. Eine Verpflichtung zum Erhalt gegenüber den Kindern besteht durch diesen Ehe- und Erbvertrag jedoch nicht, sind die Kinder doch nicht Vertragspartei dieses Erbvertrages, sondern lediglich beim Versterben der Klientin als Begünstigte eingesetzt. Die Bindungswirkung der entsprechenden Ziffer entfaltet nur Wirkung gegenüber der, als Vorerbin bezeichneten Tochter, sollte beim Ableben der Ehefrau das Grundstück noch vorhanden sein. In diesem Falle wäre es der Vorerbin untersagt, ohne Zustimmung der beiden Nacherben das Grundstück zu veräussern.
Die Klientin ist aufgrund ihres Pflegaufenthaltes auf liquide Mittel angewiesen, ein Verkauf des Grundstückes ist somit in ihrem Interesse und durch den Beistand an Hand zu nehmen. Zustimmung zum Verkauf ist gestützt auf Ar. 416 Abs. 1 Ziff. 4 ZGB von der KESB einzuholen, eine Zustimmung der Kinder ist in keiner Weise möglich oder notwendig. Wird die Liegenschaft nicht verkauft, so droht die Zwangsverwertung aufgrund der bereits bestehenden Betreibungen.
Beantwortung der Fragen:
- Kann ich die Liegenschaft als vertretungsberechtigter Beistand an einen Dritten verkaufen, obwohl ich Kenntnis von diesem Ehe- und Erbvertrag habe?
Ja, mit Zustimmung der KESB gestützt auf Art. 416 Abs. 1 Ziff. 4 ZGB. Die verbeiständete Person ist Alleineigentümerin und in ihren Verfügungsrechten nicht eingeschränkt.
- Müssen die Kinder einem Kaufvertrag zwingend zustimmen?
Nein, die Kinder haben bezüglich der Vermögensverwaltung ihrer Mutter keine Rechte.
- Kann das Notariat verlangen, dass ein Passus mit Verwies auf den Ehe- und Erbvertrag in den Kaufvertrag aufgenommen wird und der Beistand im Wissen dieses Vertrages trotzdem einen Verkauf an Dritte tätigt?
Nein, der Verweis des Ehe- und Erbvertrages hat vorliegend für die Veräusserung des Grundstückes keine Bedeutung und käme erst zum Tragen, wenn die Vorerbin (Tochter A) nach dem Tod der verbeiständeten Person das Grundstück erben würde. Der Notar kann diesen Zusatz nicht verlangen, da es sich nicht um ein erbvertragliches Geschäft sondern um die freie Verwendung des Vermögens von Frau XY handelt.
Kulmerau, 17.3.20
Urs Vogel