Guten Tag
Ich habe leider nicht gefunden, wo es explizit steht. (Ausser einem Hinweis betreffs AHV in BGE 129 V 96 S. 98, wo auf BBI 1976 III 198 verwiesen wird, was mir wiederum nichts sagt.)
Ist es korrekt, dass die Hinterlassenenleistungen bei AHV und Pensionskasse nicht gekürzt werden?
Oder sind bei der PK nur die Leistungen nach BVG geschützt und überobligatorische Leistungen könnten im Regelement fortbedungen werden?
Im UVG und bei privaten Lebensversicherungen gibt es dagegen Kürzungen oder Leistungsverweigerungen.
Und bei einem Freitod mit Exit, wo sowieso schon eine infauste Prognose gegeben sein muss, darf da auch gekürzt werden?
Oder wenn ich langjährige psychiatrische Behandlung nachweisen kann... bekommt dann der Suizid nicht Krankheistcharakter, wird quasi Symptom der Krankheit statt willentlich herbeigeführtes Schadensereignis?
(Im konkreten Fall geht es mir um AHV und PK, die anderen Aspekte interessieren mich einfach so.)
Vielen Dank im Voraus
M. Blindow
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Lieber Herr Blindow
Tatsächlich werden bei Suizid in der AHV bei den Hinterlassenenleistungen keine Kürzungen vorgenommen. Grund dafür ist die Formulierung von Art. 21 Abs. 1 und Abs. 2 ATSG: Gemäss Art. 21 Abs. 2 BVG dürfen für Angehörige oder Hinterlassene Leistungen ja nur gekürzt werden, wenn DIESE den Versicherungsfall vorsätzlich herbeigeführt hätten, oder wenn sie diesen bei vorsätzlicher Ausübung eines Verbrechens oder Vergehens herbeiführen. Letzteres wäre nur der Fall, wenn die Angehörigen selber eine Tötung auf Verlangen oder eine unzulässige Beihilfe zur Selbsttötung (aus selbstsüchtigen Beweggründen) vornehmen würden.
Im Bereich der BVG kann bei Suizid gemäss Art. 18 lit.a BVG eine Leistungspflicht bestehen, wenn der Versicherte im Zeitpunkt des Todes versichert war, oder wenn der Tod im engen sachlichen und zeitlichen Zusammenhang steht mit einer Erkrankung/Arbeitsunfähigkeit, die eintrat als er versichert war (vgl. dazu Urteil 9C_172/2007 des Bundesgerichts vom 6. November 2007). Ebenso, wenn im Zeitpunkt des Todes eine Alters- oder Invalidenrente der Vorsorgeeinrichtung bezogen wird (Art. 18 lit. d BVG), und im seltenen Fall des Todes von Früh- und Geburtsinvaliden, wenn diese mit einer Arbeitsunfähigkeit von mindestens 20% und höchstens 40% die Erwerbstätigkeit begonnen hatten (Art. 18 lit. b und c BVG).
Suizid schränkt den Leistungsanspruch im Bereich der obligatorischen Leistungen nicht ein. Allerding könnte im Reglement der PK vorgesehen sein, dass keine oder gekürzte überobligatorischen Leistungen bei Suizid gewährt werden.
Im UVG-Bereich liegt bei in urteilsfähigem Zustand vorgenommenen Suiziden genau genommen gar kein Unfall vor, da es am Element der Unfreiwilligkeit fehlt. Eine Leistungspflicht wird gemäss Art. 48 UVV trotzdem bestehen für den Fall, dass der Betreffende zum Zeitpunkt der Tat jede Urteilsfähigkeit fehlt. Dann kann, wenn die anderen Unfallelemente erfüllt sind (so die Plötzlichkeit) ein Anspruch aus UVG bestehen (vgl. auch BGE 140 V 220). Art 37 Abs. 1 UVG verschafft als Spezialregel, obwohl wie gesagt bei Suizid meist der Unfallbegriff nicht erfüllt ist, auch bei bewusstem Suizid ein Anspruch auf eine Bestattungsentschädigung.
Bei Lebensversicherungen entscheidet das Reglement und schliesst Leistungen häufig aus, insb. wenn der Versicherungsabschluss noch nicht allzu lange zurück liegt.
In beiden Fällen (UVG und Lebensversicherungen) besteht für Suizide bei infauster Prognose keine generelle gesetzlich vorgesehene Ausnahme.
Ich hoffe, das dient Ihnen.
Prof. Peter Mösch Payot