Liebes Expertenteam
Eine erwachsene Pat. ist mit ihren Eltern aus Italien in die CH gezogen. Sie bezieht eine volle italienische IV-Rente. Welche Leistungsansprüche hat sie in der CH?
Kann sie EL beziehen?
Kann Sie an einem geschützten Arbeitsplatz arbeiten?
Hätte sie Anspruch auf HiLo?
Freundliche Grüsse
Frage beantwortet am
Peter Mösch Payot
Expert*in Sozialversicherungsrecht
Lieber Marius
Gerne beantworte ich diese komplexe Anfrage wie folgt. Die von Ihnen beschriebene Person bekommt, weil er nie in der Schweiz gearbeitet hat, eine Rente der italienischen Rentenversicherung.
1. Im Sinne des Freizügigkeitsabkommens ist die EL eine besondere beitragsun- abhängige Geldleistung im Sinne von Art. 3 Abs. 3 i.V.m. Art. 70 und Anhang X VO 883/2004).
Es gilt dabei, dass die Betroffene wegen Art. 24 Anhang I FZA (Freizügigkeits- abkommen) und der entsprechenden Verordnung 883/04 bei Wohnsitz und Aufenthalt in der Schweiz den Schweizer Bürgern gleichgestellt ist.
Das hat zur Folge, dass für sie bzgl. eines EL-Anspruchs weder die besondere Karenzfrist für Ausländer/innen im Sinne von Art. 5 ELG gilt, auch wird die EL NICHT plafoniert im Sinne von Art. 5 Abs. 3 ELG wie bei anderen Ausländerinnen aus Staaten mit Sozialversicherungs- abkommen in der Schweiz (vgl. BGE 133 V 271 f. E. 5.2 und 53; Wegleitung EL, Stand 1.1.2020 (WEL). Rz. 941, 955 und 2410.01).
Es ist aber zu beachten, dass die Betroffene nur eine ausländische Rente hat. Es fehlt also an einer eigentlichen Grundleistung, welche normalerweise für einen EL-Bezug notwendig ist. Es stellt sich also die Frage, ob ein Bezug einer nach Art. 7 VO 883/2004 in die Schweiz zu exportierenden Invalidenrente aus einem FZA-Staat mit dem nach dem ELG erforderlichen Bezug einer Rente der schweizerischen IV (Art. 5 Bst. a VO 883/2004) gleichzustellen ist.
Dazu besagt der in Titel I («Allgemeine Bestimmungen») der Verordnung Nr. 883/2004 untergebrachte Art. 5 Bst. a die folgende (unter Vorbehalt abweichender Bestimmungen geltende) Regelung: «Hat nach den Rechtsvorschriften des zuständigen Mitgliedstaats der Bezug von Leistungen der sozialen Sicherheit […] bestimmte Rechtswirkungen, so sind die entsprechenden Rechtsvorschriften auch bei Bezug von nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gewährten gleichartigen Leistungen […] anwendbar.»
Gemäss BGE 141 V 396 verlangt dieser Grundsatz nicht zwingend, dass die Invalidenrente eines EU-Mitgliedstaats für den Bezug von Ergänzungsleistungen einer Rente der schweizerischen IV gleichgestellt wird. Dies sei nur der Fall, wenn die beiden Länder im Anhang VII der Verordnung (EWG) 883/04 in Anwendung von Art. 46 Abs. 3 des Abkommens die Übereinstimmung zwischen den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten in Bezug auf die Feststellung des Grades der Invalidität als gleichwertig gelten. Das ist soweit ersichtlich für die Schweiz und Italien nicht der Fall.
Insoweit gilt aber wohl, dass Staatangehörige eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft und der EFTA, die der Verordnung (EWG) 883/04 unterstellt sind, einen EL-Anspruch erwerben, wenn sie neben den allgemeinen Voraussetzungen (Aufenthalt und Wohnsitz, wirtschaftliche Voraussetzung) eine Invalidität von 40% ausweisen. Dies müsste auf der Basis der bestehenden medizinischen Situation im Rahmen des EL-Verfahren abgeklärt werden. Wird dies nachgewiesen, wäre wohl im Sinne von Art. 4 Abs. 1 lit. b Ziff. 1 ELG eine so genannte rentenlose EL zu gewähren.
2. Allerdings gilt grundsätzlich auch, dass gemäss Art. 24 Abs. 8 Anhang I FZA die Aufenthaltsbewilligung widerrufen, bzw. nicht verlängert werden kann, wenn die Bedingung der wirtschaftlichen Selbständigkeit der nichterwerbstätigen Personen, die aus dem EU-Raum in die Schweiz einreisen, nicht mehr erfüllt ist. Gemäss BGE 135 II 265 E. 3.7 ist dabei in aufenthaltsrechtlicher Hinsicht der EL-Bezug wie Sozialhilfebezug zu beurteilen.
Aufgrund der Frage der Zumutbarkeit ist insoweit aber gemäss den ausländerrechtlichen Grundsätzen eine Gesamtbetrachtung notwendig, unter Berücksichtigung des Bezuges der Schweiz, der Gründe für die Wohnsitznahme in der Schweiz, der Dauer desselben etc. Insoweit müssten bei Bedarf genauere Auskünfte bei einem auf Ausländerrecht spezialisierten Anwalt eingeholt werden. Die Praxis der Migrationsämter ist dabei nicht einheitlich.
Weil bezogen auf diese Fragen nicht alle rechtlichen Aspekte vollständig geklärt sind, rate ich bei einem abschlägigen Entscheid, spezialisierte anwaltschaftliche Hilfe in Anspruch zu nehmen.
3. Bei bestehender Hilflosigkeit wird eine Hilflosenentschädigung in diesem Fall geschuldet. Es spielt bei EU-EFTA-Staatsangehörigen, wie auch bei Schweizer Staatsangehörigen keine Rolle, ob die HIlflosigkeit in einem Zeitpunkt entstanden ist, als sie hier in der Schweiz Wohnsitz hatten oder nicht.
Hilflosenentschädigungen werde aber in keinem Fall exportiert. Notwendig ist ein Wohnsitz und ein gewöhnlicher Aufenthalt in der Schweiz (also kein Unterbruch von drei Monaten oder mehr pro Jahr).
4. Einer Tätigkeit an einem geschützten Arbeitsplatz steht rechtlich soweit ersichtlich nichts entgegen. Entscheidend ist, dass die Invalidität ausgewiesen werden kann (siehe oben Ziff. 1) und dass der Wohnsitz in der Schweiz besteht. Die Finanzierung erfolgt über die kantonale Heimgesetzgebung in Konkretisierung des IFEG (SR 831.26).
Soweit die Finanzierung als berufliche Massnahmen über die IV erfolgen sollen, so ist beachtlich, dass für solche Massnahmen ein Eingliederungspotential ersichtlich sein muss.
Ich hoffe, das dient Dir.
Peter Mösch Payot