Zum Inhalt oder zum Footer

KVG Art 3.1 in Verbindung mit 5.1

Veröffentlicht:
02.03.2020
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialversicherungsrecht

Guten Tag

 

Das Asylgesuch von Herrn N wurde vor einiger Zeit abgelehnt. Er reiste nicht aus. Er hatte damit nur noch den Anspruch auf Nothilfe und allenfalls Notfallbehandlungen im Spital zu Lasten des Kantons.

Jetzt hat er im Februar eine Schweizerin geheiratet.

Die Einwohnerkontrolle der Wohngemeinde liess ihn darauf noch im Februar Wohnsitz nehmen.

Die eigentliche Aufenthaltserlaubnis / Ausländerausweis folgt aber erst Ende März, April…

Nach KVG Artikel 3 Absatz 1 muss er sich innerhalb von 3 Monaten krankenversichern.

Und Artikel 5 Absatz 1: Bei rechtzeitigem Beitritt beginnt die Versicherung zum Zeitpunkt der Wohnsitznahme.

D.h. er muss sich jetzt, wo er noch keine Arbeitserlaubnis und kein Einkommen hat, nicht sofort anmelden.

Würde er jetzt aber spitalbedürftig, könnte er sich sofort bei der Krankenkasse anmelden und diese würde rückwirkend auf das Datum, wo die Gemeinde seinen Wohnsitz eingetragen hatte, leistungspflichtig?

Ist das so korrekt?

 

freundliche Grüsse

M. Blindow

Frage beantwortet am

Peter Mösch Payot

Expert*in Sozialversicherungsrecht

Sehr geehrter Herr Blindow

Gerne beantworte ich Ihnen hier nach unserem informellen Austausch zur Ihrer Frage nun auch noch die Antwort im Forum:

1. Jede Person mit Wohnsitz in der Schweiz ist gemäss Art. 3 Abs. 1 KVG KVG-pflichtig. Der Wohnsitz ausländischer Staatsangehöriger bestimmt sich dabei nach Art. 20 Abs. 1 lit. a IPRG (vgl. BGer 9C_294/2007 E. 5), bzw. Art. 23 bis 26 ZGB. Ein solcher Wohnsitz und somit eine Versicherungspflicht kann auch dann bestehen, wenn die Person keine Aufenthaltsbewilligung aufweist (vgl. BGE 129 V 77 E. 5.1; BGE 125 V 77)

Im Übrigen wurde die Versicherungspflicht in Art. 1 Abs. 2 KVV erweitert auf Inhaber von  Kurzaufenthaltsbewilligungen von mehr als drei Monaten, auf Asylsuchende und auf vorläufig Aufgenommene im Sinne der Ausländergesetzgebung, in dem Kanton, dem sie zugewiesen sind (BGE 124 II 498).

In Artikel 2 Absatz 1 KVV wird im Weiteren festgehalten, dass Personen, die sich ausschliesslich zur ärztlichen Behandlung oder zur Kur in der Schweiz aufhalten, der Versicherungsplicht nicht unterstehen, d.h. sie haben keinen Anspruch auf einen Versicherungsabschluss.  Dies spielt im vorliegenden Fall aber soweit ersichtlich vorliegend keine Rolle.

Entscheidend ist also, ob und ab wann hier ein Wohnsitz im Sinne von Art. 23-26 ZGB vorliegt: Dies ist dann der Fall, wenn der Betroffene mit der Absicht des dauernden Verbleibes (ca. mehr als drei nate) sich hier in der Schweiz aufhält (vgl. Art. 23 ff. ZGB). Es kommt also darauf an, ob der Mittelpunkt der Lebensbeziehungen bedeutsam ist. Indizien sind dafür die Anmeldung und die Hinterlegung der Schriften, die fremdenpolizeiliche Bewilligung, sowie die Gründe, die zur Wahl eines Wohnsitzes veranlassen (vgl. BGer v. 12.7.2007, 9C_291/2007, E.2).

Das hat zu Folge, dass die Versicherer eine Aufnahmepflicht haben, auch bei ausreisepflichtigen Personen.

Die Kantone haben  dafür zu sorgen, dass versicherungspflichtige Sans Papiers (inkl. ausreisepflichtige Personen) versichert sind. Sie haben Personen, die ihrer Versicherungspflicht nicht rechtzeitig nachkommen, einem Versicherer zuzuweisen (Art. 6 KVG).

Soweit im vorliegenden Fall ersichtlich, ist dies bei der betroffenen Person A. schon länger der Fall, aller spätestens aber mit der Heirat, unabhängig vom Vorliegen der ausländerrechtlichen Bewilligung..

Das Versicherungsverhältnis darf erst beenden werden, wenn die Bedingungen gemäss Art. 5 Abs. 3 KVG gegeben sind, also insb. bei einem Wegzug aus der Schweiz. Hier konnte ich aus dem Fall keinen entsprechenden Grund erkennen. Wahrscheinlich hätte eine KVG-Unterstellung schon lange erfolgen sollen. Unabhängig davon kann es aber sein, dass aufgrund der fehlenden Prämienzahlung ein Leistungsaufschub erfolgt (soweit es sich um einen Wohnsitzkanton handelt, der eine entsprechende Regelung kennt).

2. Im Krankenversicherungsrecht ist gemäss Art. 3 Abs. 1 KVG bei Wohnsitznahme in der Schweiz eine Anmeldung innert drei Monaten notwendig. Gemeint ist damit der zivilrechtliche Wohnsitz (Art. 13 ATSG); ob eine migrationsrechtliche Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung vorliegt ist unerheblich. In Grenzfällen ist eher von einer Versicherungspflicht auszugehen (BGE 129 V 78).Bei rechzeitigem Beitritt, also innert drei Monaten nach Wohnsitznahme, beginnt die Versicherung im Zeitpunkt der Wohnsitznahme; bei verspätetem Beitritt im Zeitpunkt des Beitritts.

3. Im vorliegenden Fall hätte wohl eine Krankenversicherungsanmeldung schon länger erfolgen sollen. Wahrscheinlich ist die Frist von drei Monaten zur Anmeldung, die dann eine rückwirkende Aufnahme ermöglicht, bereits abgelaufen. Ich rate daher unbedingt zu einer sofortigen Anmeldung, weil hier wahrscheinlich erst ab dem Anmeldetermin eine Leistungspflicht besteht. Das verhindert, dass bei einem auftretenden Gesundheitsproblem die Leistungspflicht abgelehnt werden kann, weil die KVG-Unterstellung im Zeitpunkt des Gesundheitsproblems und des Behandlungsbedarfs nicht bestand.

 

Prof. Peter Mösch Payot