Zum Inhalt oder zum Footer

Kürzung junge Erwachsen und § 9 SHV 892a

Veröffentlicht:
17.01.2025
Kanton:
Luzern
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialhilferecht

Frau A. ist 22 J. alt, kann aus psychischen Gründen momentan nicht arbeiten (Arztzeugnis vorhanden). Sie hat noch keine 1.5 Jahre Erwerbsarbeit geleistet. Ihr Grundbedarf wird aufgrund junge Erwachsene um 20% gekürzt, zusätzlich werden noch 10% aufgrund  § 9 SHV 892a (keine 1.5 Jahre erwerbstätig) gekürzt. Davon kann abgesehen werden, wenn sie sich um die berufliche Integration bemüht. Aufgrund ihrer Krankheit ist das momentan nicht möglich, sie wird voraussichtlich in die Tagesklinik gehen. Sie lebt zusammen mit ihrem Freund und ihrer Mutter (beide Sozialhilfebeziehende)

Müssen, trotz vorhandenem Arztzeugnis, sämtliche Kürzungen vorgenommen werden? Oder kann aufgrund der Krankschreibung auf die Kürzung § 9 SHV 892a verzichtet werden?

Vielen Dank für Ihre Rückmeldung

Frage beantwortet am

Melanie Studer

Expert*in Sozialhilferecht

Guten Abend 

Vielen Dank für Ihre Frage. Ich werde sie Anfang nächster Woche ausführlich beantworten und bitte Sie um etwas Geduld, während ich einen Aspekt der Antwort noch mit meiner Kollegin abspreche. 

Beste Grüsse

Frage beantwortet am

Melanie Studer

Expert*in Sozialhilferecht

Guten Tag

Erneut vielen Dank für Ihre Frage und entschuldigen Sie bitte die Verzögerung. Ich beantworte die Frage gerne unter Berücksichtigung des Sozialhilfegesetztes und der Sozialhilfeverordnung des Kantons Luzern sowie der SKOS-Richtlinien (welche gem. § 31 SHG LU anwendbar sind, ausser es gebe Abweichungen in der SHV).

Zunächst ist meiner Meinung nach ein Blick auf die Wohnsituation von Frau A. zu werfen und ihr Grundbedarf zu bestimmen. Sie schreiben, sie lebe mit ihrem Freund und ihrer Mutter zusammen. Ich nehme an, Sie bewerten dieses Zusammenleben als «Familienähnliche Wohn- und Lebensgemeinschaft» gemäss der Definition in den SKOS-RL C.3.1., Erläuterung b? Das scheint mir in dieser Konstellation naheliegend und ich gehe im Folgenden davon aus.

Entsprechend hätte Frau A. grundsätzlich Anspruch auf einen ganzen Grundbedarf aber auf Basis eines drei Personenhaushalts. Also konkret stünde ihr ein Grundbedarf von CHF 658 / Monat zur Verfügung. Dieser Grundbedarf darf nicht zusätzlich mit der Begründung «Junge Erwachsene» gekürzt werden (Guido Wizent, Sozialhilferecht, 2. Aufl. 2023, Rz. 923). Die Kürzung des GBL um 20% bei Jungen Erwachsenen trifft nur diejenigen, die in einem eigenen Haushalt wohnen, wenn sie zugleich nicht eine Ausbildung absolvieren, oder einer Erwerbstätigkeit nachgehen oder eigene Kinder betreuen (SKOS-RL C.3.2 Abs. 4).

Die zweite Frage ist dann, ob basierend auf § 9 SHV eine Kürzung um 10 % vorgenommen werden darf (Anwendung von § 9 Abs. 1 lit. b SHV LU). Von dieser Kürzung ist gemäss den Ausführungen im Luzerner Handbuch (C.3.1.c) abzusehen, wenn Junge Erwachsene mit gekürztem Grundbedarf in einer Zweck-WG leben und sie sich um die berufliche Integration bemühen, eine Erwerbstätigkeit ausüben oder eigene Kinder betreuen. Für Junge Erwachsene mit eigenem Haushalt sind jedoch die Kürzungen gem. § 9 SHV vorzunehmen.

Nun lebt ja aber Frau A weder in einer Zweck-WG noch hat sie einen eigenen Haushalt, sondern lebt sie in einer familienähnlichen Wohn- und Lebensgemeinschaft. Somit wären gestützt auf die Ausführungen im Handbuch die Kürzungen gemäss § 9 SHV grundsätzlich anwendbar (somit wäre der Grundbedarf noch CHF 592.2).

Sie stellen nun aber fest, dass Frau Y. aktuell aus psychischen Gründen nicht erwerbstätig sein kann und fragen sich, ob sie deswegen von der Kürzung gem. § 9 SHV absehen können. Mir scheinen erstmal keine expliziten Ausnahmen für diesen Fall vorgesehen. Ich verstehe Sie zudem so, dass Frau A.s Arbeitsunfähigkeit noch nicht von langer Dauer ist. Bei länger dauernder Arbeitsunfähigkeit respektive generell bei Klient:innen mit dauerhaften gesundheitlichen Problemen, müsste man aber meines Erachtens prüfen, ob nicht die gesundheitliche Situation Grund dafür ist, dass nicht 1.5 Arbeitsjahre vorgewiesen werden können. Falls dies zu bejahen wäre, müsste man im Sinne des Individualisierungsprinzips, der Verhältnismässigkeit sowie der Gleichbehandlung und Nicht-Diskriminierung von einer Kürzung in Anwendung von § 9 SHV absehen.

Ich hoffe das hilft Ihnen so weiter. Falls ich mit meiner Annahme, es handle sich um eine familienähnliche Wohn und Lebensgemeinschaft nicht richtig lag, dürfen Sie sich gerne mit entsprechenden Nachfragen melden.

Beste Grüsse