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Kürzung Arbeitslosentaggeld infolge IV-Entscheid

Veröffentlicht:
27.01.2022
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Arbeitsrecht

Guten Tag

Gemäss IV-Entscheid ist ein Klient in seiner angestammten Tätigkeit nicht mehr  arbeitsfähig. In einer angepassten Tätigkeit besteht eine 100% Leistungsfähigkeit. Gemäss Einkommensvergleich beträgt der IV-Grad 14%.

Der Klient hat sich beim RAV gemeldet für eine 100% Arbeitstätigkeit. Er erhielt das volle Taggeld. Aufgrund des Entscheides der IV wurde ihm das Taggeld nun um die 14% gekürzt. Ist dies korrekt? Der Klient sucht nach wie vor eine 100% Anstellung (worin er auch voll leistungsfähig ist gemäss IV). 

Vielen Dank für Ihre Rückmeldung

Frage beantwortet am

Kurt Pärli

Expert*in Arbeitsrecht

Guten Tag

gerne beantworte ich Ihre Frage wie folgt:

Die ALV-Behörde stützt sich bei ihrem Entscheid auf Art. 40b AVIV. Dies Bestimmung lautet:

Art. 40b126 Versicherter Verdienst von Behinderten

(Art. 23 Abs. 1 AVIG)

Bei Versicherten, die unmittelbar vor oder während der Arbeitslosigkeit eine ge­sundheitsbedingte Beeinträchtigung ihrer Erwerbsfähigkeit erleiden, ist der Ver­dienst massgebend, welcher der verbleibenden Erwerbsfähigkeit entspricht.

***

Das Bundesgericht hat in BGE 140 V 89 dazu festgehalten;

Erwägung 5.1

Art. 40b AVIV betrifft nicht allein die Leistungskoordination zwischen Arbeitslosen- und Invalidenversicherung, sondern - in allgemeinerer Weise - die Abgrenzung der Zuständigkeit der Arbeitslosenversicherung gegenüber anderen Versicherungsträgern nach Massgabe der Erwerbsfähigkeit. Nach Sinn und Zweck der Verordnungsbestimmung soll die Leistungspflicht der Arbeitslosenversicherung auf einen Umfang beschränkt werden, welcher sich nach der verbleibenden Erwerbsfähigkeit der versicherten Person während der Dauer der Arbeitslosigkeit auszurichten hat. Da die Arbeitslosenversicherung nur für den Lohnausfall einzustehen hat, welcher sich aus der Arbeitslosigkeit ergibt, kann für die Berechnung der Arbeitslosenentschädigung keine Rolle spielen, ob ein anderer Versicherungsträger Invalidenleistungen erbringt (BGE 133 V 524 E. 5.2 S. 527). Durch das Abstellen auf die verbleibende Erwerbsfähigkeit soll verhindert werden, dass die Arbeitslosenentschädigung auf  einem Verdienst ermittelt wird, den der Versicherte nicht mehr erzielen könnte (BGE 132 V 357 E. 3.2.3 S. 359 mit Hinweis auf das Schreiben des Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartementes vom 18. April 1985 an den Bundesrat). Der Beschwerdeführer weist zwar zu Recht darauf hin, dass teilinvaliden, nicht rentenberechtigten Versicherten bei dieser Bemessung des versicherten Verdienstes ein ungedeckter Ausfall entsteht. Indessen ist zu berücksichtigen, dass einen solchen Ausfall auch erleidet, wer - bei nicht rentenbegründender Invalidität - einem Erwerb nachgeht und einen Invalidenlohn erzielt (BGE 133 V 524 E. 5.3 S. 528). Entgegen der Ansicht des Versicherten kann es für die Anwendbarkeit von Art. 40b AVIV nicht ausschlaggebend sein, ob die Teilinvalidität von der Invalidenversicherung oder - wie vorliegend - von der Unfallversicherung festgestellt wurde.

5.2 Soweit der Versicherte geltend macht, der Begriff der Erwerbsunfähigkeit gemäss Art. 40b AVIV sei nicht im Sinne der Definition in Art. 7 ATSG (SR 830.1), sondern als Arbeitsunfähigkeit in einer Verweistätigkeit zu verstehen, kann ihm ebenfalls nicht gefolgt werden. Unter Erwerbsunfähigkeit nach Art. 40b AVIV ist die als dauernde Erwerbsunfähigkeit umschriebene Invalidität im Sinne des Art. 8 ATSG zu verstehen (Urteil des Eidg. Versicherungsgerichts C 140/05 vom 1. Februar 2006 E. 3.2.2). Die im ATSG enthaltenen Formulierungen der Erwerbsunfähigkeit und der Invalidität entsprechen den bisherigen von der Rechtsprechung dazu entwickelten Begriffen (BGE 130 V 343). Deshalb ist die Behauptung des Beschwerdeführers, Art. 40b AVIV sei schon vor Inkrafttreten des ATSG in Kraft gestanden, weshalb dieses Gesetz für die Auslegung des Begriffs Erwerbsfähigkeit in Art. 40b AVIV nicht massgebend sein könne, nicht stichhaltig. Aus dem Umstand, dass der versicherte Verdienst beim Zusammentreffen von Arbeitslosenentschädigung und Krankentaggeldern nicht verändert wird, lässt sich ebenfalls nichts ableiten, da Art. 40b AVIV nicht die vorübergehende Arbeitsunfähigkeit, sondern allein die Erwerbs(un)fähigkeit betrifft. Der Versicherte verkennt sodann, dass es im Anwendungsbereich des Art. 40b AVIV nicht um Zweifel über die Vermittlungsfähigkeit geht. Die gesetzliche Vermutung der grundsätzlich gegebenen Vermittlungsfähigkeit von Behinderten (Art. 70 Abs. 2 lit. b ATSG und Art. 15 Abs. 2 AVIG in Verbindung mit Art. 15 Abs. 3 AVIV) führt für die Zeit, in welcher der Anspruch auf Leistungen einer anderen Versicherung abgeklärt wird und somit noch nicht  feststeht (Schwebezustand), zu einer Vorleistungspflicht der Arbeitslosenversicherung. Damit sollen Lücken im Erwerbsersatz vermieden werden. Die Vorleistungspflicht ist aber auf die Dauer des Schwebezustandes begrenzt, denn sobald das Ausmass der Erwerbsunfähigkeit feststeht, muss der versicherte Verdienst im Sinne von Art. 40b AVIV angepasst werden (BGE 136 V 95 E. 7.1 S. 101). Art. 40b AVIV kommt mit anderen Worten lediglich zur Anwendung, wenn eine dauernde Einschränkung in der Erwerbsfähigkeit feststeht. Aus dem Umstand, dass bei der Beurteilung des Anspruchs auf Heilbehandlung und Taggeld nach dem UVG die Rechtsprechung zur Invalidität bei unklaren Beschwerden gemäss BGE 130 V 352 nicht zur Anwendung gelangt, lässt sich folglich nicht mit dem Versicherten ableiten, die Erwerbs(un)fähigkeit nach Art. 40b AVIV müsse abweichend von Art. 7 (recte: Art. 8) ATSG definiert werden.

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Sie erwähnen, dass Ihr Klient weiterhin eine 100% Tätigkeit sucht und sich folglich zu Recht die Frage stellt, weshalb er jetzt ein um 14% gekürztes Taggeld erhält. Die Antwort liegt in der "Logik" des Systems, Ihr Klient ist nur noch zu 100% in einer Verweistätigkeit (also nicht mehr in seinem angestammten Beruf) erwerbsfähig, folglich ist er auch in der ARbeitslosenversicherung "nur" in diesem Ausmass versichert.

Angesichts dieser Ausgangslage wäre übrigens zu prüfen, ob ihr Klient nicht bei Gelegenheit bei der IV eine Revision beantragen müsste, er könnte eine Verbesserung des Gesundeitszustandes geltend machen was zu einer Reduktion des IV-Grades unter 10% führen müsste. Diesfalls würde die Einschränkung der ERwerbsfähigkeit bei der ALV nicht mehr berücksichtigt, das entnimmt sich

Ein Invaliditätsgrad von weniger als 10 % führt nicht zu einer Anpassung des versicher-
ten Verdienstes, das entnimmt sich BGer 8C_678/2013 vom  31.3.2014.

Genügen Ihnen diese Auskünfte? Mit Dank für die Kenntnisnahme und freundlichen Grüssen

Kurt Pärli

P.S. siehe zum Ganzen auch ALE SECO-TC AVIG-Praxis ALE/Versicherter Verdienst von behinderten Personen, Art. 40b AVIV

Randziffer C26 bis C29. Herunterladbar hier: https://www.arbeit.swiss/dam/secoalv/de/dokumente/publikationen/kreisschreiben/kreisschreiben2/AVIG-Praxis_ALE.pdf.download.pdf/AVIG-Praxis_ALE.pdf