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Kündigung / Sperrfrist / Lohnfortzahlung

Veröffentlicht:
17.04.2024
Kanton:
Luzern
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Arbeitsrecht

Guten Tag

Ein Klient erhielt am 15.04.2024 die Kündigung durch den Arbeitgeber auf den 31.07.2024. Bei diesem ist er seit dem 01.01.2018 angestellt. Der Klient ist seit dem 12.02.2024 aufgrund einer Krankheit zu 100% arbeitsunfähig geschrieben. der Klient war aufgrund der gleichen Erkrankung bereits vom 08.03.2022 bis 11.04.2022 zu 100% und danach bis 31.07.2022 in verschiedenen Teilpensen arbeitsunfähig geschrieben. Gemäss seinen eigenen Angaben war er seit dem 01.08.2022 und im gesamten Jahr 2023 nie ärztlich arbeitsunfähig geschrieben. Der Arbeitgeber geht davon aus, dass die gesetzliche Sperrfrist von 180 Tagen zum Zeitpunkt der Kündigung bereits aufgehoben war, da er die beiden Krankheitsfälle zusammengerechnet hat. Beide Arbeitsunfähigkeiten des Klienten sind auf die gleiche Diagnose zurück zu führen.

Nun stellt sich die Frage, ob der Arbeitgeber mit seiner Einschätzung der rechtlichen Lage richtig liegt, oder ob die rund 17-monatige Zeitdauer zwischen den beiden Erkrankungen, welchen die gleiche Diagnose zu Grunde liegt, einen Neuanfang der Sperrfrist ab dem 12.02.2024 erlaubt. Je nach Einschätzung der Rechtslage erfolgte die Kündigung nach oder noch innerhalb der Sperrfrist.

Aufgrund der rechtlichen Einschätzung des Arbeitgebers erhielt der Arbeitnehmer während der aktuellen Arbeitsunfähigkeit zudem den Lohn über Leistungen der Krankentaggeldversicherung und deshalb um 20% reduziert. Auch hier stellt sich die Frage, ob der Arbeitgeber die aktuelle Arbeitsunfähigkeit zu derjenigen aus dem Jahr 2022 dazu rechnen darf und deshalb von der gesetzlichen Lohnfortzahlungspflicht während einer Arbeitsunfähigkeit aufgrund einer Erkrankung befreit ist und den Lohn ab dem ersten Tag der Erkrankung bereits über die Leistungen der Krankentaggeldversicherung ausrichten darf.

Besten Dank für die Beantwortung dieser beiden Fragen.

Freundliche Grüsse

Frage beantwortet am

Kurt Pärli

Expert*in Arbeitsrecht

 

Guten Tag

Gerne beantworte ich Ihre Fragen wie folgt:

1. Sperrfristproblematik

Vorab gehe ich davon aus, dass im vorliegenden Fall das OR und nicht öffentliches Personalrecht anwendbar ist. Auch wird bei der Antwort davon ausgegangen, dass kein GAV anwendbar ist, der allenfalls für den Arbeitnehmer bessere Konditionen vorsieht.

Ihr Klient ist im siebten  Dienstjahr, es gilt für ihn somit die 180tägige Sperrfrist. Diese begann mit der erstmaligen Erkrankung am 8.2.2022 zu laufen, vom 8.3. bis 31.7.2022 «konsumierte» ihr Klient bereits einen Teil der gesamten Sperrfrist. Die erneute Arbeitsunfähigkeit ab dem 12.2.2024 bedeutete, dass Ihr Klient noch die restlichen Tage der (nun) 180tätigen Sperrfrist geniessen konnte. Die am 15.4.2024 erfolgte Kündigung liegt somit nicht mehr in der Sperrfrist und ist rechtmässig.

Die gerade dargestellte Rechtslage wird bestätigt durch die rechtswissenschaftliche Lehre. In ihrem Standartwerk schreiben Streiff Ullin/von Kaenel Adrian/Rudolph Roger (Arbeitsvertrag, Praxiskommentar zu Art. 319-362 OR, 7. Aufl., Zürich - Basel - Genf 2012, Art. 336c): Ein Rückfall oder eine klare Folgeerscheinung lösen also keine neue Sperrfrist aus. So entschieden dies das Bundesgericht für eine Depression, welche auf ein Burnout folgte (BGE 4A_117/2007 und 4A_127/2007 vom 13.9.2007 E.5.2 = JAR 2008 S. 264, gl.M. CA GE als Vorinstanz in JAR 2008 S. 386 E.6.3), und die Pretura Mendrisio-Sud für eine nervöse Depression, die gemäss eingeholtem Gutachten im Zusammenhang mit einer bronchialen Hyperaktivität bzw. Asthma gestanden haben soll (SAE 2007 S. 70). Diese Schlussfolgerung erscheint allerdings aufgrund der publizierten Erwägungen zum Gutachtensbefund alles andere als zwingend. Allerdings wurde der Entscheid bestätigt (TA TI in RtiD 2008 I 47c und BGE 4A_153/2007 vom 31.8.2007). 

Hingegen kann bei einem Rückfall der Rest einer noch nicht vollständig konsumierten Sperrfrist noch in Anspruch genommen werden. War die Arbeitnehmerin wegen einer Diskushernie 65 Tage im Spital, so wäre sie bei einem Rückfall und einer Sperrfrist von 90 Tagen noch während 25 Tagen gegen eine Kündigung geschützt bzw. würde eine bereits laufende Kündigungsfrist um weitere 25 Tage unterbrochen. Damit ist auch gesagt, dass der Schutz durch die Sperrfrist bereits vor der Kündigung konsumiert werden kann, dies allerdings nur, soweit vom selben Verhinderungsgrund die Rede ist.

 

Erwähnenswert ist auch ein neuerer Bundesgerichtsentscheid:  BGE 8C_826/2015 vom 21.9.2016 = ARV 2016 S. 277 = JAR 2017 S. 277: Keine neue Sperrfrist löst eine Arbeitsverhinderung aus, die auf den gleichen Grund wie die vorangehende Arbeitsverhinderung zurückzuführen ist, wie dies etwa bei einem Rückfall angenommen wird (E.3.3.1). Im vorliegenden Fall erkannte die kantonale Instanz einen Zusammenhang zwischen zwei zeitlich auseinanderliegenden Operationen, die aufgrund derselben gynäkologischen Erkrankung notwendig waren. Das kantonale Gericht hatte deshalb ohne willkürliche Anwendung von Art. 336c OR das Vorliegen einer zweiten Sperrfrist verneint (E.3.3.2.2).

Auch kantonale Urteile gehen in die gleiche Richtung, siehe etwa:

Kantonsgericht SG, Urteil BO.2016.47 vom 9.6.2017 = JAR 2018 S. 548: Die Sperrfrist gemäss Art. 336c Abs. 1 Bst. b OR erneuert sich nicht mit Anbruch eines neuen Dienstjahres, sondern mit jedem neuen Unfall und jeder neuen Krankheit; ein blosser Rückfall löst dagegen keine neue Sperrfrist aus. Da Art. 336c Abs. 2 OR ein einheitlicher Schutzgedanke zugrunde liegt, hat dies zur Folge, dass dort, wo ein Arbeitnehmer vor und nach der Kündigung aus der- oder denselben Ursachen wiederkehrend an der Arbeit verhindert ist ("Rückfall"), eine Anrechnung stattfindet und nach der Kündigung nur noch der Rest einer nicht vollständig konsumierten Sperrfrist in Anspruch genommen werden kann. Illustratives Fallbeispiel für eine Mehrheit von Krankheitsbildern (Bronchitis, Stirn- und Nasennebenhöhlenentzündung, Polypen inkl. operative Entfernung), die aber auf einer einheitlichen gesundheitlichen Ursache beruhten.

Obergericht BE, JAR 2022 S. 551: Weiteres Fallspiel für eine zulässige Kumulation von mehreren Erkrankungen, die - nach durchgeführtem Beweisverfahren - in einem Zusammenhang standen (chronisch rezidive Erkrankung der Luftwege).

 

2. Lohnfortzahlung

Für die korrekte Beantwortung dieser Frage müsste ich den Inhalt des Arbeitsvertrages und insbesondere die Krankentaggeldlösung kennen. Grundsätzlich verhält es sich so: Nach Art. 324a OR muss der Arbeitgeber bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit für eine beschränkte Zeit den Lohn weiterhin ausrichten. Der Anspruch besteht dabei pro Dienstjahr. Im Jahre 2022 befand sich ihr Klient im 5. Dienstjahr und hatte damals je nach anwendbarer Skala (Berner Basler oder Zürcher, https://www.trabeco.ch/fileadmin/media/downloads/Mitarbeiter/KMU_Portal_Berner_Skala.pdf ) einige Wochen lang Anspruch auf Lohnfortzahlung. Im 2024 entstand ein neuer Anspruch, nun ist ihr Klient im 7. Dienstjahr und hat entsprechend Anspruch auf die längere Dauer.

Sie erwähnen indes eine Taggeldversicherung. Es ist davon auszugehen, dass der Arbeitgeber sein Personal via eine Versicherung kollektivkrankentaggeldversichert hat und dass diese Versicherung während vermutlich 720 Tagen ein Taggeld von 80% ausrichtet. Gilt eine solche Taggeldversicherung, dann liegt nach Gerichtspraxis eine gleichwertige Lösung wie in Art. 324a Abs. 1 – 3 OR vorgesehen ist und die Arbeitgeberin ist damit von der Lohnfortzahlung befreit (Art. 324a Abs. 4 OR). Nach der Gerichtspraxis ist dies auch dann zulässig, wenn bereits ab dem ersten Krankheitstag «nur» 80% des Lohnes in Taggeldform ausgerichtet werden. Die Gleichwertigkeit besteht darin, dass der Arbeitnehmer dafür wesentlich länger abgesichert ist, als dies der Fall wäre, wenn nur Art. 324a Abs. 1-3 OR gelten würde.

Genügen Ihnen diese Auskünfte? Mit Dank für die Kenntnisnahme und freundlichen Grüssen

Kurt Pärli