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Kündigung, neue Anstellung mit Ausschluss Lohnzahlung bei Krankheit Kind

Veröffentlicht:
16.01.2023
Kanton:
Aargau
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Arbeitsrecht

Sehr geehrtes Rechtsberatungsteam

Eine Sozialhilfebezügerin mit 1.5 jähriger Tochter hat seit 1.5 Jahren einer Arbeitsstelle als Kosmetikerin. Im Herbst war die Tochter mehrmal hintereinander krank und musste einmal hospitalisiert werden. Die Mutter erhielt nun mitte Dezember per Ende Januar 2023 die Kündigung. Heute fragte die Mutter bei uns an, ob sie die Arbeit annehmen soll und ob es zulässig sei, dass der Arbeitgeber im neuen Arbeitsvertrag festhalte, dass er nur dann Lohn auszahle, wenn sie anwesend sei oder sie persönlich krank ist. Kranheitsabwesenheiten aufgrund der Pflege der Tochter vergüte er nicht. 

Ist so ein Arbeitsvertrag zulässig?

Besten Dank für eine Rückmeldung. 

Frage beantwortet am

Kurt Pärli

Expert*in Arbeitsrecht

Guten Tag

Gerne beantworte ich Ihre Frage wie folgt:

Es handelt sich gemäss Sachverhalt vermutlich um ein privatrechtliches Arbeitsverhältnis. Es gelangen deshalb die Bestimmungen zum ARbeitsvertrag des OR und Arbeitsgesetzes (ArG)  zur Anwendung. Aufgrund des von Ihnen beschriebenen Sachverhaltes gehe ich davon aus, dass der Abeitsvertrag im Juli 2021 angeschlossen wurde. Folglich befand sich ihre Klientin im Dezember 2022 im zweiten Dienstjahr.

Art.336c OR hält verschiedene Gründe fest, bei deren Vorliegen eine Kündigung nichtig ist. Nicht aufgeführt ist der Kündigungsgrund "Betreuung des kranken Kindes" (Art. 336cter OR nennt die Dauer des Betreuungsurlaubes als Phase des absoluten Kündigungsschutzes, vorliegend geht es jedoch nicht um einen Betreuungsurlaub zur Betreuung schwer kranker oder behinderter Kinder). Art. 336c schützt während beschränkter Zeit auch vor Kündigung während krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Dieser Schutz würde nur greifen, wenn nicht das Kind, sondern die Mutter selbst krank (und arbeitsunfähig) gewesen wäre.

Zwischenergebnis 1: Die Kündigung verstösst nicht gegen Art. 336c OR und ist deshalb gültig.

Art.335c OR hält fest, dass nach Ablauf der Probezeit das Arbeitsverhältnis im zweiten bis und mit dem neunten Dienstjahr mit einer Frist von zwei Monaten gekündigt werden darf (auf das Ende eines Monats). Ihre Klientin ist im zweiten Dienstjahr, es gilt deshalb die zwei monatige Kündigungsfrist. Das bedeutet, das Arbeitsverhältnis kann im Dezember auf Ende Februar gekündigt werden. Die vorliegende Kündigung wird aber nicht ungültig, die Wirkung der Kündigung tritt einfach erst auf den gesetzlichen vorgesehenen Termin, also Ende Februar, ein.

Zwischenergebnis 2: Die Wirkung der Kündigung tritt erst auf Ende Februar ein, bis dahin gilt der alte Arbeitsvertrag.

Eine Kündigung kann zwar gültig, aber missbräuchlich sein. Die Rechtsfolge besteht in der Pflicht der Arbeitgeberin, eine Entschädigung von bis zu sechs Monatelöhnen auszurichten. Art. 336 Abs. 1 OR hält verschiedene Gründe fest, bei deren Vorliegen eine Kündigung missbräuchlich ist. Eine Kündigung mit der Begründung, die Arbeitnehmerin hätte sich um das kranke Kind gekümmert, könnte gegen Art. 336 Abs. 1 lit. a und oder lit. d OR verstossen. Um gegen eine missbräuchliche Kündigung vorzugehen, muss bis Ende der Kündigungsfrist bei der Arbeitgeberin schriftlich Einsprache erhoben werden. Nach Ende des Arbeitsverhältnisses hat die gekündigte Partei während 180 Tage Zeit, beim Arbeitsgericht eine Klage wegen Missbräuchlichkeit der Kündigung einzureichen und eine Entschädigung von bis zu sechs Monatslöhnen zu fordern. 

Zwischenergebnis 3: Die Kündigung als Folge der Abwesenheit wegen Betreuung eines kranken Kindes könnte missbräuchlich sein. Falls dieser Weg weiter verfolgt werden soll, muss umgehend bei der Arbeitgeberin schriftlich Einsprache gegen die Kündigung eingereicht werden.

Die Betreuung von Kindern und weiteren Familienangehörigen ist seit dem 1. Januar 2021 neu geregelt worden. Zu beachten sind die Vorschriften des ArG, Art. 324a OR und der neu eingeführt Art. 329h OR.

Das ArG hält in Art. 36 Abs. 1 ArG Vorschriften zu Arbeitnehmenden mit Familienpflichten. Als Familienpflichten gelten die Erziehung und Betreuung von Kindern bis 15 Jahren und die Betreuung pflegebedürftiger Familienmitglieder oder anderer nahestehender Personen. Gemäss Artikel 36 Absatz 3 ArG haben Arbeitgeber den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern gegen Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses die zur Betreuung kranker Kinder erforderliche Zeit im Umfang von bis zu drei Tagen freizugeben. Das ArG enthält keine Regelung betreffend Lohnfortzahlung.Diese ist im OR verankert.

Art. 324a OR regelt die Lohnfortzahlungspflicht des Arbeitgebers bei einer Verhinderung des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin aus Gründen, die in seiner oder ihrer Person liegen und die dazu führen, dass er oder sie der Arbeitsverpflichtung nicht nachkommen kann oder dass eine solche für die betroffene Person nicht zumutbar ist. Eine Verhinderung besteht nicht nur bei Krankheit oder Unfall des Arbeitnehmers oder der Arbeitnehmerin, sondern auch dann, wenn dieser oder diese eine gesetzliche Pflicht erfüllen muss (Art. 324a Abs. 1 OR). Eine solche gesetzliche Pflicht liegt etwa vor bei der Betreuung und Pflege eigener Kinder sowie der Ehegattin, des Ehegatten, der eingetragenen Partnerin oder des eingetragenen Partners. Die Lohnfortzahlungspflicht besteht zudem nur so lange, bis eine adäquate Ersatzlösung gefunden werden kann oder – im Falle erkrankter oder verunfallter Kinder – die Betreuung durch die Eltern aus medizinischen Gründen als notwendig erachtet wird. Zu den möglichen Ersatzlösungen gehören u. a. Familienmitglieder, die verfügbar sind oder die Entlastungsangebote verschiedener Organisationen. 

Die per 1.1.2021 neu eingeführte Bestimmung in Art. 329h OR lautet wir folgt:

Die Arbeitnehmerin oder der Arbeitnehmer hat Anspruch auf bezahlten Urlaub für die Zeit, die zur Betreuung eines Familienmitglieds, der Lebenspartnerin oder des Lebenspartners mit gesundheitlicher Beeinträchtigung notwendig ist; der Urlaub beträgt jedoch höchstens drei Tage pro Ereignis und höchstens zehn Tage pro Jahr.

Nun stellt sich die Frage, wie sich Art. 324a zu Art. 329h verhält:

Gemäss Botschaft gestaltet sich das Verhältnis zu den anderen Gesetzesbestimmungen wie folgt: "Das Verhältnis der neuen Bestimmung zu Artikel 324a OR stellt sich folgendermassen dar: Der dreitägige Urlaub erfolgt unabhängig von Artikel 324a OR. Das hat insbesondere zur Folge, dass die Voraussetzungen nach Artikel 324a OR nicht gelten, etwa die Verhinderung des Arbeitnehmers oder das jährliche Abwesenheitskontingent. Einer Person steht es jedoch frei, Urlaub über ihr Kontingent nach Artikel 324a OR zu beziehen, ohne den Urlaub nach Artikel 329g OR anzubrechen."

Artikel 324a OR lässt sich auch geltend machen, wenn der dreitägige Urlaub bereits bezogen worden ist, sofern die einschlägigen Voraussetzungen erfüllt werden und vor allem das jährliche Kontingent noch nicht aufgebraucht ist.

Was bedeutet dies nun alles für den Fall ihrer Klientin? Im Herbst 2022 befand sich ihre Klientin noch im ersten Dienstjahr. Gestützt auf Art. 324a Abs. 2 OR hatte sie deshalb maximal Anspruch auf drei Wochen Lohnfortzahlung durch die Arbeitgeberin, u.a. zur Betreuung des kranken Kindes, sofern keine Alternativlösung möglich ist. Zudem hatte ihre Klientin einen Anspruch auf einen dreitägigen bezahlten Urlaub für die Betreuung des kranken Kindes gemäss Art. 329h OR.

Zwischenergebnis 4: Ihr Klientin hatte für die Abwesenheiten zur Betreuung ihres Kindes im Herbst 2022 Anspruch auf Lohn

Es fehlen jetzt nocht Angaben zum neuen Arbeitsvertrag. Die zuvor genannten Bestimmungen, also Art. 324a OR und Art. 329h OR sind relativ zwingend, das heisst, sie dürfen in einem Arbeitsvertrag nur durch für die Arbeitnehmerin günstigere Bestimmungen ersetzt werden. Das ist jedoch vorliegend gerade nicht der Fall. Der Arbeitgeberin will einen Vertragsinhalt, der die relativ zwingenden Bestimmungen 324a und 329h ausser Kraft setzt. Das ist unzulässig, das heisst, diese Teile des neuen Arbeitsvertrags sind ungültig.

Zwischenergebnis 5: Die Klauseln im Arbeitsvertrag, wonach kein Lohn ausgerichtet werde bei Abwesenheit wegen des kranken Kindes, sind unzulässig.

 

Zusammenfassendes Gesamtergebnis und Empfehlung:

Gegen die mitte Dezember auf Ende Januar ausgesprochen Kündigung ist sinnvollerweise schriftlich bei der Arbeitgeberin Einsprache zu erheben. Inhalt: Kündigungsfrist nicht eingehalten (zwei Monate, da im zweiten Dienstjahr), zudem, Kündigungsgrund "Betreuung des kranken Kindes" ist missbräuchlich. Im gleichen Schreiben kann auch darauf hingewiesen werden, dass die neuen Vertragsklauseln gegen die zwingenden BEstimmungen in Art. 324a und 329h OR verstossen.

Ziel des Schreibens muss sein: die Arbeitgeberin soll ihre Kündigung zurückziehen und den alten Vertrag gemäss den zwingenden gesetzlichen Bestimmungen einhalten. 

Genügen Ihnen diese Angaben? Mit Dank für die Kenntnisnahme und freundlichen Grüssen - Kurt Pärli

Guten Tag Herr Pärli

Danke für die ausführliche Antwort. Bei erneuten Prüfung ist uns aufgefallen, dass die Klientin erst seit Juni 2022 angestellt ist. Somit ist die Kündigungfrist exakt, entschuldigen Sie den Fehler. 

Im Kündigungsschreiben wird sie auf das Konkurrenzverbots des GAV hingewiesen. 

Zudem schreibt der Arbeitgeber:

"Sie verichten auf die Geltendmachung von darübr hinaus gehenden Ferien, Fiertags und Überzeitansprüchen oder Bildrechte, sofern solche Bestanden haben."

Haben wir richtig verstanden, dass wir eine schrifltiche Begründung einfordern müssten? Könnten wir den neuen Vertrag auch anfechten oder stillschweigend bewilligen und dann allenfalls bei einer erneuten Abweseneheit anfechten. 

Sofern unser Klientin weiterhin bei Arbeitgeber beschäftigt wird, zählen die Vormonate zur Anstellungsdauer mit? Würde das heissen, dass sie im Juli 2023 ins zweite Anstellungsjahr kommen würde?

Guten Tag Herr Pärli

Danke für die ausführliche Antwort. Bei erneuten Prüfung ist uns aufgefallen, dass die Klientin erst seit Juni 2022 angestellt ist. Somit ist die Kündigungfrist exakt, entschuldigen Sie den Fehler. 

Im Kündigungsschreiben wird sie auf das Konkurrenzverbots des GAV hingewiesen. 

Zudem schreibt der Arbeitgeber:

"Sie verichten auf die Geltendmachung von darübr hinaus gehenden Ferien, Fiertags und Überzeitansprüchen oder Bildrechte, sofern solche Bestanden haben."

Haben wir richtig verstanden, dass wir eine schrifltiche Begründung einfordern müssten? Könnten wir den neuen Vertrag auch anfechten oder stillschweigend bewilligen und dann allenfalls bei einer erneuten Abweseneheit anfechten. 

Sofern unser Klientin weiterhin bei Arbeitgeber beschäftigt wird, zählen die Vormonate zur Anstellungsdauer mit? Würde das heissen, dass sie im Juli 2023 ins zweite Anstellungsjahr kommen würde?

Frage beantwortet am

Kurt Pärli

Expert*in Arbeitsrecht

Guten Tag

Gerne nehme ich auch zu Ihrer ergänzenden Frage Stellung.

Danke für die Präzisierung wegen der Anstellungsdauer, entsprechend ist das Arbeitsverhältnis unterjährig und die einmonative Kündigungsfrist geht in Ordnung.

Die Vertragsänderung ist wie wie auch in meiner ausführlichen Antwort dargelegt habe, nicht zulässig. Um den Arbeitsplatz nicht zu gefährden, ist ein Vorgehen "abwarten und erst reagieren, wenn es zu einer Abwesenheit kommt, die der Arbeitgeber nicht bezahlen will", sicher eine Option und eine Alternative zum Anfechten der Vertragsänderung. Allenfalls bietet sich an, den Arbeitgeber einfach darauf hinzuweisen, dass ab 1.1.2021 die Rechtslage geändert hat (Art. 329h OR und ArG, Anspruch auf 3 bezahlte Tage zur Betreuung von Familienangehörigen, max. 10 Tage pro Jahr). Die Ansprüche stehen ihrer Klientin von Gesetzes wegen zu, daran ändert  der Vertrag nichts. Es kommt auf die konkreten Umstände an, ob abwarten oder jetzt bereits reagieren zielführender ist.

Zu ihrer Zusatzfrage:Sofern unser Klientin weiterhin bei Arbeitgeber beschäftigt wird, zählen die Vormonate zur Anstellungsdauer mit? Würde das heissen, dass sie im Juli 2023 ins zweite Anstellungsjahr kommen würde? 

Diese Frage lässt sich mit einem klaren JA beantwortet. Anders würde es sich nur verhalten, wenn zwischen der ersten und zweiten Anstellung eine längere Lücke bestehen würde, was vorliegend nicht der Fall ist.

Genügen Ihnen diese ergänzenden Antworten? Mit Dank für die Kenntnisnahme und freundlichen Grüssen

Kurt Pärli