Klientin, ab 2012 durchgehend mit Sozialhilfe unterstützt.
Klientin hat Erbschaft über knapp Fr. 90'000.- im November 2017 nicht deklariert und den Erhalt der Erbschaft wiederholt bestritten. Mit einem Amtshilfegesuch lagen dann Beweise vor, dass die Erbschaft angetreten worden war. Die Klientin gab an, das Geld nicht mehr zu haben. Sie wurde aufgefordert, die Verwendung der Erbschaft mit Kontoauszügen o.ä. zu belegen. Die Klientin teilte mit, dass sie bei einer Person im Zürcher Milieu ein Darlehen von Fr. 70'000.- in bar aufgenommen gehabt habe und dieses Darlehen mit der Erbschaft in bar zurückbezahlt habe. Belege hat sie keine beigebracht (Darlehensvertrag o.ä.) und stellte sich auf den Standpunkt, dass sie auch nicht in der Lage sei, Belege über die Transaktion vorzulegen.
Die Glaubwürdigkeit der Klientin wird vom Sozialdienst grundsätzlich infrage gestellt, da sie sich bereits vor der Erbschaftsangelegenheit stets sehr verschlossen gegeben und nachweislich einige Male gegenüber dem Sozialdienst gelogen hatte. Die "Geschichte" mit der Erbschaft und dem Darlehen aus dem "Milieu" erscheint haarsträubend.
Die Sozialhilfe wurde in der Folge per 31.12.18 mangels Nachweis Bedürftigkeit rechtskräftig eingestellt. Die Klientin hat am 23.01.19 ein neues Gesuch um materielle Hilfe gestellt. Da sie nach wie vor keinerlei Belege vorweisen konnte, wurde eine Nichteintretensverfügung erlassen, die in Rechtskraft erwachsen ist.
Vertreten durch einen Anwalt hat die Klientin Akteneinsicht verlangt. Dies hat keine neuen Erkenntnisse seitens der Klientin gebracht. Der Anwalt stellte sich auch gemäss mündlicher Aussage nicht gegen den Entscheid des Sozialdienstes, bittet aber für seine Klientin um Notunterstützung, da er ihr betreffend der aktuellen Mittellosigkeit und Bedüftigkeit Glauben schenke.
Frage: Wo hört die Beweislast durch die Klientin auf beziehungsweise wo fängt das Finalprinzip an? Soll der Sozialdienst die finanzielle Unterstützung mit Sozialhilfe wieder aufnehmen oder sich weiterhin auf den Standpunkt stellen, dass die Klientin ihre finanzielle Situation nicht belegen kann und deshalb nach wie vor kein Anspruch besteht auf Sozialhilfe? Eine Schildung des Falls beim Kantonalen Sozialamt hat bezüglich des weiteren Vorgehens auch keine klare Rückmeldung gebracht.
Frage beantwortet am
Ruth Schnyder
Expert*in Sozialhilferecht
Guten Tag Frau Piguet
Gerne beantworte ich Ihre Anfrage. Ihrer Fallschilderung entnehme ich, dass der betreffenden Klientin die wirtschaftliche Hilfe eingestellt wurde aufgrund Zweifel an der Bedürftigkeit. Ihre Zweifel ergeben sich daraus, dass die Klientin sich auf den Standpunkt stellt, infolge der Darlehensrückzahlung nichts mehr davon zu haben, jedoch ihren Standpunkt mit keinen Belegen untermauert. Die Erbschaft liegt zwischenzeitlich rund eineinhalb Jahre zurück, die Einstellung der wirtschaftlichen Hilfe mangels Nachweis der Bedürftigkeit nun ein halbes Jahr, der Nichteintretensentscheid rund 5 Monate.
Die Bedürftigkeit ist in § 14 SHG ZH geregelt. Danach hat Anspruch auf wirtschaftliche Hilfe, wer für seinen Lebensunterhalt und den seiner Familienangehörigen mit gleichem Wohnsitz nicht hinreichend oder nicht rechtzeitig aus eigenen Mitteln aufkommen kann. Aufgrund der offenbar zunächst verschwiegenen Erbschaft, welcher die Sozialhilfe mangels Mitwirkung der Klientin zudem auf den Grund gehen musste, entstand die Vermutung, dass die Klientin nicht mehr bedürftig ist. Deswegen traf die Klientin eine qualifizierte Mitwirkungspflicht, wonach es an ihr war, diese Vermutung der fehlenden Bedürftigkeit zu wiederlegen. Dabei musste sie den anspruchsvollen Beweis erbringen, dass sie nichts mehr hat (sog. negativer Tatsachenbeweis). Aufgrund dessen, dass sie ihre Behauptung in keiner Weise untermauerte, sie darüber hinaus bereits die Auskunftspflicht in Bezug auf die Erbschaft und offenbar auch in anderen Belangen verletzt hatte, erscheint das behördliche Vorgehen, die Bedürftigkeit als zweifelhaft zu betrachten, als vertretbar.
Wenn die Klientin aktuell via Rechtsvertreter ihre Bedürftigkeit geltend macht, ist aufgrund der gegenwärtigen Situation zu prüfen, ob die Klientin bedürftig ist. Dabei stellt sich aber wiederum die Frage, ob die Gründe, welche zur Einstellung Ende 2018 führten, zum heutigen Zeitpunkt immer noch ihre Berechtigung haben. Dies ist keine Frage des Finalprinzips. Denn beim Finalprinzip steht fest, dass jemand bedürftig ist. Es besagt einfach, dass die Ursachen, welche zur (unzweifelhaften) Bedürftigkeit geführt haben, nicht berücksichtigt werden dürfen (vgl. Kap. A.4 SKOS-RL). Die Problematik im vorliegenden Fall setzt aber vorhin ein: Sie führt dazu, dass die Bedürftigkeit überhaupt in Frage gestellt wird. Oder mit anderen Worten, die Sozialhilfe geht im vorliegenden Fall davon aus, dass die Klientin aus der Erbschaft genügend finanzielle Mittel hat, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, also keine Bedürftigkeit vorliegt.
Diese Haltung beschlägt auch den Nothilfeanspruch nach Art. 12 BV. Denn auch dieser setzt voraus, dass jemand bedürftig ist und diesbezüglich keine erheblichen Zweifel vorliegen.
Zum jetzigen Zeitpunkt aufgrund der Intervention des Rechtsvertreters hat die Sozialhilfe wieder einen Anstoss, die Bedürftigkeit der Klientin zu klären. Dabei hat sie der Frage auf den Grund zu gehen, ob es nach den gesamten Umständen nach wie vor überwiegend wahrscheinlich erscheint, dass die Klientin noch Geld aus der Erbschaft hat. Dabei darf sie sich nicht nur auf die Aufklärung des Verbleibs der Erbschaft konzentrieren, sondern sie sollte auch die aktuelle Situation der Klientin erfassen. Dabei helfen Fragen und Abklärungen zur aktuellen Lebensweise (möglicherweise mit Hilfe von einem Hausbesuch) und auch, wovon sie in den vergangenen sechs Monaten gelebt hat. Zeigt sich ein Bild, dass die Klientin am Existenzminimum oder darunter lebt, erscheint es wohl überwiegend wahrscheinlich, dass sie nicht (mehr) über finanzielle Mittel aus der Erbschaft verfügt, so dass die Bedürftigkeit für die Zukunft zu bejahen wäre. Dies lässt sich mit der o.e. Erkenntnis rechtfertigen, dass es naturgemäss schwierig ist zu beweisen, dass man nichts hat (negativer Tatsachenbeweis). Der Beweis, etwas nicht zu haben, wird durch positive Sachumstände erbracht, wozu z.B. Kontoauszüge zählen und im konkreten Fall auch die Lebensweise.
Ergibt sich jedoch ein gegenteiliges Bild aus der Berücksichtigung der Lebensweise (allenfalls weiterer Umstände), dann wäre wohl die Bedürftigkeit nach wie vor zweifelhaft.
Die Sozialhilfe trifft die Zuständigkeit den Sachverhalt abzuklären, dabei jedoch die Klientin einzubeziehen. Die Sozialhilfe hat aber die Pflicht, die Klientin hinsichtlich der erforderlichen Mitwirkung zu instruieren (§ 7 VRG ZH in Verbindung mit § 18 SHG ZH). Wirkt die Klientin erneut nicht (ausreichend) mit, dann ist aufgrund einer Gesamtschau eine Entscheidung zu treffen. Dabei muss sich die Sozialhilfe darauf festlegen, ob die bekannten Umstände überwiegend wahrscheinlich für oder gegen die Bedürftigkeit sprechen.
Aus rechtlicher Sicht ist dabei wünschenswert, dass in solchen Fällen nach sozialarbeiterischen und damit professionellen Massstäben mit der Klientin gearbeitet wird und eine Analyse vorgenommen wird – soweit dies nicht bereits geschehen ist. Sie trägt dazu bei, allfälliges Unvermögen oder eine Schutzbedürftigkeit auszuschliessen. Würde nämlich ein solches vorliegen, wäre ggf. eine Gefährdungsmeldung angezeigt. Auch könnte es bedeuten, dass in Bezug auf die Bedürftigkeit eher zu Gunsten der Klientin entschieden würde, sofern keine gewichtigen Gründe dagegen sprechen.
Nach dem Gesagten ist die Bedürftigkeit aufgrund gegenwärtiger Sachumstände zu prüfen, um entscheiden zu können, ob das Festhalten an der fehlenden Bedürftigkeit aufgrund des ungeklärten Verbleibs der Erbschaft noch gerechtfertigt ist.
Ich hoffe, Ihnen mit meinen Ausführungen eine Stütze für das weitere Vorgehen in diesem doch komplexen Fall gegeben zu haben.
Freundliche Grüsse
Ruth Schnyder