Guten Tag Herr Pärli
Es geht um eine Familie mit vier Kindern. Das jüngste ist einjährig und aufgrund eines Geburtgebrechens schwer beeinträchtigt. Die Mutter ist Vollzeit Zuhause und kümmtert sich um das Kleinkind. Aufgrund der Beeinträchtigung kommt es immer wieder zu notfallmässigen Eintritten in die Klinik. Das Kind kann jedoch nicht alleine transportiert werden aufgrund von medizinischen Geräten und Massnahmen, die während der Fahrt ausgeführt werden müssen. Das Kleinkind muss also auch vom Vater begleitet werden oder es wird ein Krankentransport notwendig. Der Vater musste bis anhin für solche Situationen Ferien beziehen. Ist dies korrekt?
Ich habe folgenden Link gefunden:
<https://www.seco.admin.ch/seco/de/home/Arbeit/Personenfreizugigkeit_Arbeitsbeziehungen/Arbeitsrecht/FAQ_zum_privaten_Arbeitsrecht/verhinderung-des-arbeitnehmers-an-der-arbeitsleistung.html>
Daraus lese ich, dass ein Elternteil Anspruch auf bezahlte Abwesenheit hat (max. 3 Tage / Krankheitsfall). Wie sieht es nun aber aus, wenn die Mutter als Hausfrau Zuhause ist und der zweite Elternteil auch anwesend sein muss? Und aufgrund des Geburtgebrechens handelt es sich im diesen Sinne nicht um unterschiedliche Krankheiten, spielt dies eine Rolle?
Vielen Dank.
Frage beantwortet am
Kurt Pärli
Expert*in Arbeitsrecht
Sehr geehrte Frau Frau Steiner
gerne beantworte ich Ihre Frage wie folgt:
Wir müssen drei unterschiedliche Normen beachten. Nach Art. 36 Abs. 3 Arbeitsgesetz (ArG) haben Arbeitgeber ihren Arbeitnehmenden mit Familienpflichten gegen Vorweisen eines ärztlichen Zeugnisses für die zur Betreuung kranker Kinder erforderliche Zeit bis zu drei Tagen freizugeben. Dadurch soll der betreffende Arbeitnehmer die Lage versetzt werden, sein Kind, das während seiner Krankheit besonders der Nähe der Eltern bedarf, während drei Tagen persönlich zu betreuen und zu pflegen bzw. die allenfalls danach notwendige weitere Ersatzbetreuung zu organisieren.
Art. 36 Abs. 3 ArG sagt aber noch nichts darüber aus, ob während den drei Tagen auch ein Lohnanspruch besteht.
Ein solcher kann sich aus Art. 324a OR ergeben. Die Erfüllung gesetzlicher Pflichten stellt einen der Gründe dar, bei deren Vorliegen ein Arbeitnehmer die Arbeitsleistung nicht zu erbringen braucht und die Arbeitgeberin den Lohn weiterhin ausrichten muss. Liegt m.a.W. ein Arztzeugnis (betreffend dem kranken Kind) vor, so besteht ein Freistellungs- und Lohnanspruch des Arbeitnehmers für die notwendige Betreuung des Kindes während bis zu drei Tage. Der Freistellungsanspruch beträgt bis zu drei Arbeitstage und gilt pro Krankheitsfall und Kind. Wenn dasselbe Kind einige Wochen später aufgrund eines anderen Ereignisses erneut besonders betreuungsbedürftig wird, entsteht grundsätzlich wieder ein Anspruch auf Freistellung. Das Gleiche gilt, wenn in der Folge ein anderes Kind erkrankt. Zudem gilt der Anspruch unabhängig vom Dienst- oder Kalenderjahr, vom Beschäftigungsgrad sowie von der Art und Dauer des Arbeitsvertrags. Anspruchsberechtigt sind Eltern, die als Arbeitnehmende dem Arbeitsgesetz unterstellt sind. Wenn der andere Elternteil nicht in einem Arbeitsverhältnis beschäftigt oder selbständigerwerbend ist, ist die Betreuung vermutungsweise durch diesen anderen Elternteil möglich.
Zu ergänzen ist:
- Art. 324a OR setzt voraus, dass die ARbeitsunfähigkeit unverschuldet ist, wenn sich ein Arbeitnehmer nicht um eine Ersatzbetreuungslösung bemüht, gilt die Arbeitsunfähigkeit nach einer gewissen Zeit als verschuldet)
- Art. 324a OR beschränkt den Freistellungs- und Lohnanspruch nicht auf drei Tage, je nach Umständen kann sich somit auch eine längere Dauer als notwendig erweisen.
- Art. 324a OR handelt von Situationen, in denen es einem Arbeitnehmer nicht zumutbar ist zu arbeiten. Sind diese Umstände gegeben, so darf er der Arbeit fernbleiben und muss lediglich dem Arbeitgeberin sein Fernbleiben anzeigen (und ein AZ einreichen).
Eine dritte Bestimmung kommt ebenfalls für einen Fall wie den vorliegenden in Frage. Art. 329 Abs. 3 OR regelt die Gewährung sogenannter ausserordentlicher Freizeit zur Erledigung dringender persönlicher oder familiärer Angelegenheiten. Das Gesetz spricht von "den üblichen freien Stunden", auf die ein Anspruch besteht. Zum Teil ist in Gesamt- oder Einzelarbeitsverträgen festgelegt, was unter diesen "üblichen freien Stunden" zu verstehen ist und in welchem Umfang diese gewährt werden (z.B. Anrecht auf einen halben Tag bezahlte Freizeit für die Teilnahme an einer Beerdigung eines nahen Verwandten oder an der Hochzeit eines Kindes und auch ein Arztbesuch, soweit dies ausserhalb der Arbeitszeit nicht möglich ist). Fehlt es an einer Regelung in einem GAV oder NAV ist auf den Ortsgebrauch abzustützen. Bei Beschäftigten im Monatslohn sind solche "üblichen freien Stunden" bezahlt.
Solche Absenzen müssen vom Arbeitgeber bewilligt werden (darin liegt eine wesentliche Unterscheidung zu den Fällen nach Art. 324a OR.
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Was bedeuten diese Normen nun für Ihren Fall?
Die Arbeitstätig des Vaters ist in den Situationen, in denen eine immer wieder vorkommende Notfalleinweisung erforderlich ist, nicht in jedem Fall unzumutbar im Sinne von Art. 324a OR. Eine wesentliche Rolle spielt dabei, dass die Mutter sich ja um das Kind kümmert und dass ein Krankentransport möglich wäre. Eine Ausnahme könnte bejaht werden, wenn eine besonders bedrohliche Lage für das Kind auftauchen würde, wo es auch bei objektiver Betrachtung völlig naheliegend ist, das es für die Begleitung ins Spital nicht nur die Mutter (die nicht erwerbstätig ist), sondern auch den Vater braucht und ein Krankentransport mit externen Anbietern unzumutbar wäre. Kommt es jedoch immer wieder zu solchen Situationen, findet Art. 324a OR nicht Anwendung.
Die Begleitung des Kindes zum Arzt (zusammen mit der nicht erwerbstätigen Mutter) fällt mit grosser Wahrscheinlichkeit auch nicht unter Art. 329 Abs. 3OR.
Anders sieht es selbstverständlich aus, wenn z.B. die Mutter krank ist und der Vater so allein schon aufgrund seiner gesetzlichen Betreuungspflicht gegenüber seinem Kind die Betreuung übernehmen müsste.
Kurz und gut: Von Ausnahmen abgesehen (wie geschildert), besteht in einer solchen Situation für den Vater kein Lohnanspruch.
Genügen Ihnen diese Auskünfte?
Mit Dank für die Kenntnisnahme und freundlichen Grüssen
Kurt Pärli
P.S. zum Thema auch: https://www.bratschi.ch/fileadmin/daten/dokumente/publikation/2016/12/AJP_12-2016-Arbeitnehmer_mit_Familienpflichten-Angela_Hensch.pdf
Sehr geehrter Herr Pärli
Vielen Dank für Ihre ausführliche Auskunft. Gerne wende ich mich bei allfälligen Rückfragen nochmals an Sie.
Freundliche Grüsse
M. Steiner