Wir führen seit rund einem halben Jahr eine Beistandschaft für die Klientin. gem. Art. 394 Abs. 1 i.V.m. Art. 395 Abs. 1 ZGB. Die Beistandsperson ist zuständig für die Bereiche Wohnen, berufliche Tätigkeit, Administration, Finanzen und Förderung der Selbstständigkeit. Die Beistandschaft wurde per Volljährigkeit der betroffenen Person errichtet. Zuvor bestand eine Kindsbeistandschaft. Der Kindsbeistand hatte u.a. den Auftrag, die Platzierung zu begleiten und deren Finanzierung sicherzustellen.
Sachverhalt
Die Klientin lebte während ihrer Kindheit überwiegend in Institutionen und Pflegefamilien. Die Wohnkosten wurden jeweils über das AJB beglichen. Ihre Mutter ist verstorben, weshalb sie eine Halbwaisenrente erhielt.
Vom 01.08.2023 bis 01.02.2025 absolvierte die damals minderjährige Klientin eine Ausbildung im Rahmen der beruflichen Massnahmen der IV. Aufgrund ihres Gesundheitszustandes musste diese abgebrochen werden. Der Kindsvater ist arbeitstätig und überwies auf das vom Kindsbeistand verwaltete Konto jeweils die Familienzulagen von Fr. 250.00. Zudem gingen auf dem Konto die Halbwaisenrente von Fr. 760.00 ein. Von den Einnahmen wurden die Verpflegungskosten (ca. Fr. 780.00 pro Monat), Prämienrechnungen der Krankenkasse (ca. Fr. 130.00 pro Monat), Selbstbehalte der Krankenkasse und Anschaffungen wie Laptop, Kleider etc. bezahlt. Im Laufe der Jahre wurden ca. Fr. 25'000.00 an Kindsvermögen angespart. Der Lohn (IV-Taggelder, ca. Fr. 800.00) wurde direkt der Klientin auf das Eigenverwaltungskonto überwiesen.
Die Klientin ist mittlerweile nicht mehr in einer Pflegefamilie. Die letzte Rechnung für Verpflegungskosten von ca. Fr. 4'000.00 ist beim ehemaligen Kindsbeistand eingegangen, welcher diese zur Zahlung der aktuellen Beistandsperson weitergeleitet hat. Eine allfällige ZL-Anmeldung innert 6 Monaten ab Verfügung der IV-Taggelder wurde nicht eingereicht.
Fragestellungen
Ist es korrekt, dass sich der Kindsvater nicht an den Verpflegungskosten beteiligt hat und der Kindsbeistand sämtliche Rechnungen mit den Familienzulagen, der Halbwaisenrente und dem Ausbildungslohn bzw. IV-Taggelder beglichen hat?
Hätten man während der Ausbildung allenfalls Ergänzungsleistung zu den IV-Taggeldern geltend machen können/müssen?
Falls der Kindsvater sich doch an den Verpflegungskosten hätte beteiligen müssen: In welchem Umfang muss er sich im Nachhinein daran beteiligen und allenfalls betrieben werden?
Falls das Vorgehen nicht korrekt war, muss der Kindsbeistand einen Haftungsfall geltend machen?
Frage beantwortet am
Karin Anderer
Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz
Grüezi
Ohne Detailkenntnisse können Ihre unterhaltsrechtlichen und haftpflichtrechtlichen Fragestellungen leider nicht beantwortet werden. Hier folgen ein paar allgemeine Hinweise und ich hoffe, dass sie weiterhelfen.
Die Unterhaltspflicht der Eltern ist in den Art. 276 ff. ZGB geregelt. Nach Art. 276 ZGB leisten die Eltern den Unterhalt durch Pflege, Erziehung und Geldzahlung. Sie sorgen gemeinsam, ein jeder Elternteil nach seinen Kräften, für den gebührenden Unterhalt des Kindes und tragen insbesondere die Kosten von Betreuung, Erziehung, Ausbildung und Kindesschutzmassnahmen. Die Eltern sind von der Unterhaltspflicht in dem Mass befreit, als dem Kinde zugemutet werden kann, den Unterhalt aus seinem Arbeitserwerb oder andern Mitteln zu bestreiten.
Art. 285 ZGB legt den Umfang des Unterhalts fest. Der Unterhaltsbeitrag soll den Bedürfnissen des Kindes sowie der Lebensstellung und Leistungsfähigkeit der Eltern entsprechen; dabei sind das Vermögen und die Einkünfte des Kindes zu berücksichtigen.
Nach Art. 285a ZGB sind Familienzulagen, die dem unterhaltspflichtigen Elternteil ausgerichtet werden, zusätzlich zum Unterhaltsbeitrag zu zahlen.
Die Klientin erhielt während ihrer Minderjährigkeit eine Halbwaisenrente und bezog vom 1.8.2023 bis 1.2.2025 ein IV-Taggeld während einer beruflichen Massnahme. Zusätzlich überwies der erwerbstätige Vater die Familienzulage.
Auf die Halbwaisenrente(n) hatte die Klientin einen eigenen Anspruch, er deckte die Unterhaltspflicht der verstorbenen Mutter ab. Die Familienzulage ist ein Anspruch des erwerbstätigen Vaters, die ihm zur Erfüllung seiner Unterhaltspflicht dient. Ob der Vater zu weiterem Unterhalt verpflichtet war oder hätte verpflichtet werden können, kann mangels Sachverhaltsangaben nicht beantwortet werden. Das wäre abzuklären. Lebt der Vater in guten wirtschaftlichen Verhältnissen, dann partizipiert das Kind an diesem Lebensstandard.
Das IV-Taggeld ist eine Einkunft der Klientin und nach Art. 285 ZGB darf von ihr ein Beitrag an den eigenen Unterhalt verlangt werden.
Eine Halbwaisenrente der AHV löst einen eigenen EL-Anspruch aus, die Klientin hätte bereits früher EL beantragen können, sofern die weiteren Voraussetzungen erfüllt waren. Auch während der Ausbildung hätten Ergänzungsleistung beantragt werden können, sofern die Voraussetzungen erfüllt waren.
Der Kindsbeistand hatte gemäss den Angaben den Auftrag, die Platzierung zu begleiten und deren Finanzierung sicherzustellen. Damit hatte er nicht die Aufgaben und Kompetenzen, Sozialversicherungsleistungen und Unterhalt geltend zu machen, das muss im Entscheid explizit angeordnet worden sein. Erst nach Kenntnis des Auftrags wäre eine allgemeine Aussage betreffend die Haftung möglich.
Luzern, 12.11.2025
Karin Anderer