Guten Tag
Eine Klientin, deren Beistand ich bin, hat im vergangenen Dezember und Januar versucht, über eine in der Zeitung inserierende Unternehmung telefonisch einen Partner zu suchen. Sie wurde aufgefordert, eine 0901er-Nummer anzurufen, um mit interessierten Männern verbunden zu werden. In der Folge musste sie bei jedem tatsächlichen oder angeblichen Interessierten wieder neu auf die kostenpflichtige Nummer anrufen. Insgesamt haben sich daraus Kosten von mehr als CHF 2'000.00 ergeben.
Bei der Klientin handelt es sich um eine IV-Bezügerin. Aufgrund ihrer Intelligenzminderung konnte sie die Folgen ihrer vielen und langen Telefonate nicht abschätzen, obschon sie bei ihrem ersten Anruf wahrscheinlich auf den Tarif hingewiesen wurde.
Bei der Stiftung ombudscom habe ich ein Schlichtungsbegehren eingereicht. Der ausgearbeitete Vorschlag wurde von der betreffenden Firma nicht angenommen. Deshalb wurde das Verfahren von ombudscom abgeschlossen mit dem Hinweis, dass es unbenommen sei, die Forderungen auf ordentlichem Gerichtsweg geltend zu machen.
Für mich ist es nicht abzuschätzen, ob dieses Vorgehen sinnvoll wäre und ob realistischen Chancen bestehen, Recht zu bekommen. Können Sie mir hierzu eine Einschätzung geben? Vielen Dank für eine kurze Rückmeldung.
Frage beantwortet am
Karin Anderer
Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz
Sehr geehrter Herr Pfäffli
Ihre Ergänzungen zum Sachverhalt: Die Rechnungen der Partnervermittlung bzw. der kostenpflichtigen Nummern wurden mit der regulären Telefonrechnung bezahlt. Sie stufen Ihre Klientin hinsichtlich der Benutzung solcher Mehrwertdienste als urteilsunfähig ein. Die Urteilsunfähigkeit war im Schlichtungsverfahren bei der Stiftung ombudscom kein Thema. Gewisse kostenpflichtige Telefonnummern wurden zwischenzeitlich von Ihnen und der Klientin gesperrt.
Art. 16 ZGB stellt die Vermutung der Urteilsfähigkeit auf (BK-Bucher/Aebi-Müller, Art. 16 N 11 und 153). D.h. dass der Beweis der Urteilsunfähigkeit hinsichtlich der Benutzung der fraglichen Mehrwertdienste in einem Prozess zu erbringen ist. Als Beweis kommen Arztzeugnisse, Zeugenaussagen, Krankengeschichten u. dgl. in Frage (BK-Bucher/Aebi-Müller, Art. 16 N 161 ff.). An den Beweis werden in der Praxis hohe Anforderungen gestellt. Angesichts der „geringen Summe“ von Fr. 2‘000 und dem Prozessrisiko empfehle ich Ihnen, sich beim Hausarzt über die Urteilsfähigkeit hinsichtlich der Nutzung der konkreten Mehrwertdienste zur fraglichen Zeit kundig zu machen. Diese Beurteilung wird es Ihnen ermöglichen, eine Einschätzung vorzunehmen.
Nur wenn eine offensichtliche, beweismässig erstellte und dauernde Beeinträchtigung der geistigen Fähigkeiten der Frau vorliegt, ist von einer Umkehr der Urteilsfähigkeitsvermutung auszugehen (BK-Bucher/Aebi-Müller, Art. 16 N 158 f.). Hier müsste der Mehrwertdienstanbieter die Urteilsfähigkeit beweisen. Gemäss Ihren Schilderungen ist von einer Umkehr der Urteilsfähigkeitsvermutung eher nicht auszugehen.
Ich hoffe, die Angaben sind nützlich und ich grüsse Sie freundlich.
Luzern, 9.8.2021
Karin Anderer