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Können Alimenten beim Bezug von IV Taggeldern?

Veröffentlicht:
11.05.2020
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Kindes- und Erwachsenenschutz

Sehr geehrte Frau Anderer

Sehr geehrter Herr Vogel

Bei meiner Fragestellung geht es um folgende Situation:

Beistandschaft von X (junger Erwachsener, geb. 4.4.1978) nach Art. 394 i.v.m. Art. 395 ZGB, Vertretung im Bereich Finanzen und Administration.  

X absolviert seit dem 1.8.2019 eine von der IV finanzierte EBA Ausbildung im geschützten Rahmen, wo X wohnt und arbeitet.

X hat seit dem 13.3.2020 ein höheres IV Taggeld (Fr. 122.10 pro Tag). Das Wohnen ist über die IV finanziert. Der Lebensunterhalt wird durch die IV Taggelder gedeckt, zudem kann X jeden Monat rund 2'000.- auf die Seite legen. Bisher bezahlt der Vater seit seiner Scheidung anstandslos Unterhaltszahlungen in der Höhe von aktuell Fr. 850.-/Mt.

Kann der Vater die Unterhaltszahlungen stoppen oder müsste zuerst ein allfälliges Scheidungsurteil angepasst werden?

Für die Beantwortung der Fragen danke ich Ihnen im Voraus bestens.

Mit freundlichen Grüssen

Claudia Zbinden

Frage beantwortet am

Urs Vogel

Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz

Erwägungen:

Vorab gehe ich davon aus, dass der junge Erwachsene Jahrgang 1998 hat, ansonsten wäre eine Weiterführung der Unterhaltszahlungen eher unwahrscheinlich.

Vorliegend handelt es sich um Volljährigen Unterhalt nach Art. 277 Abs. 2 ZGB. Damit Volljährigenunterhalt geleistet wird, ist ein entsprechender Unterhaltstitel notwendig, der den Unterhalt über das Erreichen der Volljährigkeit regelt (BGE 139 III 401, E. 3.2). Ich gehe auch hier davon aus, dass dies der Fall ist. Es stellt sich vorab die Frage, ob in diesem Unterhaltstitel etwas über die Frage der IV-Eingliederungsmassnahme und der Finanzierung über Taggelder erwähnt respektive geregelt ist oder nicht. Auch hier gehe ich davon aus, dass zum Zeitpunkt der Festlegung des Volljährigenunterhalts diese Eingliederungsmassnahme und deren Finanzierung noch kein Thema war und daher in der Unterhaltberechnung nicht berücksichtigt wurde.

Art. 277 Abs. 2 ZGB sieht vor, dass die Eltern nur dann Volljährigenunterhalt leisten müssen, wenn ihnen dies nach den gesamten Umständen zugemutet werden kann. Bei der Bestimmung der Unterhaltspflicht der Eltern gegenüber ihrem volljährigen Kind, muss «ein gerechter Ausgleich gefunden werden […] zwischen dem Beitrag, der unter Berücksichtigung aller Umstände von den Eltern erwartet werden darf, und der Leistung, die dem Kind in dem Sinne zugemutet werden kann, dass es zu seinem Unterhalt durch eigenen Arbeitserwerb oder andere Mittel beiträgt» (BGer 5C.150/2005 vom 11.10.2005, E. 4.1).

Gemäss Art. 286 Abs. 2 ZGB setzt das Gericht den Unterhaltsbeitrag neu fest oder hebt diesen ganz auf, wenn sich die Verhältnisse erheblich verändert haben. Vorliegend ist der Unterhalt der volljährigen Person durch die IV-Finanzierung, soweit dies aus dem Sachverhalt hervorgeht, vollständig gesichert. Der junge Erwachsene kann nach diesen Angaben bis Fr. 2'000 pro Monat sparen. Im Unterhalt ist keine Sparquote eingeschlossen (BSK ZGB I-Fountoulakis/Breitschmid, Art. 276 N 24 sowie Art. 285 N 32). Eine Reserve für unvorhergesehene Bedürfnisse oder ein Ansparen für eine grössere Anschaffung oder eine für Ausbildungsbelange kann zwar vorgesehen werden, doch ist Unterhalt begriffsnotwendig zum Verbrauch und nicht zur Vermögensbildung bestimmt (BGE 120 II 292; 116 II 113 E. 3b). Es liegen somit aus der kurzen Fallschilderung Verhältnisse vor, bei welchen das Gericht für die Dauer der IV-Eingliederung diesen Unterhalt voraussichtlich aufheben wird. Nach erfolgreichem Abschluss der Eingliederungsmassnahme ist volljährigen Unterhalt ebenfalls nicht mehr geschuldet, es sei denn, dass dann die angemessene Ausbildung noch nicht abgeschlossen ist.

Solange aber die gerichtliche Anpassung durch den Unterhaltspflichtigen nicht angestrengt wird, ist der Unterhalt geschuldet.

Fazit: Ohne Abänderung des Unterhaltstitels beleibt der Unterhaltspflichtige auch bei veränderten Verhältnissen verpflichtet, den Unterhaltsbeitrag zu leisten.

Kulmerau, 11.5.2020/Urs Vogel