Sehr geehrte Damen und Herren
Es geht um die Frage, ob die vorliegende Konstellation als stabiles Konkubinat zu qualifizieren ist:
Die Klientin X. wurde bisher von einer anderen Gemeinde sozialhilferechtlich unterstützt. Per 01.06.2018 zog sie in unser Zuständigkeitsgebiet, zusammen mit ihrem Partner, der schon vorher hier wohnte und nicht unterstützt wird. Das Paar bezog eine neue gemeinsame Wohnung. Frau X. ist schwanger von ihrem Partner. Die Wohnung wurde im Hinblick auf die baldige Familiengründung bezogen. Es bestehen jedoch keine Heiratsabsichten bzw. es wurden keine solchen geäussert.
Kann diese Konstellation sozialhilferechtlich bereits vor der Geburt des Kindes als stabiles Konkubinat betrachtet werden?
Freundliche Grüsse
G. Heeb
Soziale Dienste Brügg BE
Frage beantwortet am
Cathrin Habersaat-Hüsser
Expert*in Sozialhilferecht
Sehr geehrter Herr oder Frau Heeb
Die SKOS Richtlinien gelten gemäss Art. 8 Abs. 1 der Verordnung über die öffentliche Sozialhilfe (SHV BE), sofern das Gesetz über die öffentliche Sozialhilfe (SHG BE) und die SHV keine abweichende Regelung vorsehen. Dies ist nicht der Fall, weswegen die SKOS Richtlinien für die Beantwortung der Frage herangezogen werden können.
Die SKOS Richtlinien unterscheiden zwischen Familienähnlichen Wohn- und Lebensgemeinschaften (WuLG) und Konkubinat.
F.5.1 definiert, dass ein Konkubinat als stabil gilt, sofern es mindestens zwei Jahre andauert oder die Partner mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben. Die Geltendmachung eines Konkubinatsbeitrages basiert auf der Tatsachenvermutung, dass die Partner sich freiwillig regelmässig unterstützen und wenn die Partner mit einem gemeinsamen Kind zusammenleben, besteht diese Annahme ohne weiteres. Es ist noch anzumerken, dass das Verwaltungsgerichts des Kantons Bern im Urteil 100.2012.392U vom 16. Oktober 2013 in ZBl 1152014 entschieden hat: «Die Vermutung eines stabilen Konkubinats nach einer bloss zweijährigen Dauer des Zusammenlebens ist unverhältnismässig, weshalb der entsprechenden SKOS-Richtlinie F.5.1 die Anwendung zu versagen ist (E. 7.1–7.3)». Die Vermutung darf erst nach 5 Jahren des Zusammenlebens zur Anwendung gelangen. Es ist zudem zu ergänzen, dass bei Vorliegen der oben erwähnten Kriterien von einem stabilen Konkubinat ausgegangen werden darf, dass diese Vermutung jedoch von den Betroffenen widerlegt werden kann.
Für Ihren Fall bedeutet dies, dass kein stabiles Konkubinat vorliegt, da das Paar noch keine 5 Jahre zusammenwohnt und sie noch nicht mit dem gemeinsamen Kind zusammenleben. Im Stichwortverzeichnis der Berner Konferenz unter dem Stichwort Konkubinat ist aber festgehalten, dass der Sozialdienst die Möglichkeit hat, Beweise vorzubringen, die trotzdem auf ein stabiles Konkubinat schliessen lassen (z.B. längere Beziehung vor dem gemeinsamen Haushalt). Die vollumfängliche Beweislast obliege dabei aber dem Sozialdienst, wobei die Klientel aber bei der Beweiserhebung eine Mitwirkungspflicht haben.
Somit liegt hier ein loses Konkubinat vor, welches in den SKOS Richtlinien als WuLG zu betrachten ist (so auch im Stichwort Konkubinat ausgeführt). Gemäss B.2.3 werden als WuLG Konkubinatspaare zusammengefasst, «welche die Haushaltfunktionen (Wohnen, Essen, Waschen, Reinigen usw.) gemeinsam ausüben und/oder finanzieren, also zusammenleben, ohne eine Unterstützungseinheit zu bilden.» Es findet eine anteilsmässige Unterstützung nach Pro-Kopf-Anteilen für die bedürftige Person statt (F.5.1). Weiter wird da ausgeführt, dass in einer WuLG zusammenlebende Personen in der Regel rechtlich nicht zu gegenseitiger Unterstützung verpflichtet sind, jedoch ein Beitrag als Haushaltsentschädigung angerechnet werden kann, wenn die Voraussetzungen dafür gegeben sind. Gemäss F.5.2 wird von einer «unterstützten, in einer Wohn¬ und Lebensgemeinschaft lebenden Person … zur Minderung der Unterstützungsbedürftigkeit … erwartet, im Rahmen ihrer zeitlichen und persönlichen Möglichkeiten den Haushalt für nicht unterstützte … Partnerin zu führen.» Dafür hat die unterstützte Person eine Entschädigung (max. Fr. 950.00, Berechnung anhand eines erweiterten Budgets, 1/2 des Überschusses darf angerechnet werden (siehe dazu Praxishilfe H.10)) zugute, welche als Einnahme anzurechnen ist. Der Umfang der Arbeitsleistung hängt von der zeitlichen Verfügbarkeit und der Arbeitsleistungsfähigkeit ab, was insbesondere im letzten Drittel der Schwangerschaft sicherlich genauer geprüft werden müsste.
Für Ihren Fall heisst dies, dass Sie die bedürftige Person vorerst nach Pro-Kopf-Anteil unterstützen und die Anrechnung einer Haushaltsentschädigung prüfen. Sobald das Kind auf der Welt ist, liegt ein stabiles Konkubinat vor. „Vom nicht unterstützten Konkubinatspartner wird erwartet, dass er zunächst für seine eigenen Kosten und bei gegebener Leistungsfähigkeit für die vollen Kosten“ des gemeinsamen, im gleichen Haushalt lebenden Kindes aufkommt (F.5.3). Ist er darüber hinaus weiter leistungsfähig, wird ein Konkubinatsbeitrag mittels erweitertem SKOS-Budget berechnet (Praxishilfe H.10) Falls er nicht für sich und das Kind aufkommen kann, wird das Kind der Unterstützungseinheit der Mutter hinzugefügt und zur Konkubinatsberechnung ein ordentliches SKOS Budget erstellt (Praxishilfe H.10). Der gesamte Überschuss dieser Berechnung wird im Unterstützungsbudget der Mutter und des Kindes angerechnet. Siehe dazu auch das Praxisbeispiel der SKOS, abrufbar unter:
https://skos.ch/uploads/media/2013Zeso01PraxisbeispielKonkubinat_01.pdf
Ich hoffe, Ihnen mit diesen Angaben weitergeholfen zu haben. Falls SIe noch Fragen haben, ungeniert melden.
Freundlich grüsst
Cathrin Habersaat