Guten Tag
Ich bin in der Sozialhilfe zuständig für die Unterstützungseinheit einer alleinerziehenden Mutter und ihres Kindes. Der Kindsvater wurde bei der Geburt mit Sozialhilfe unterstützt, sodass mangels Leistungsfähigkeit kein Unterhalt berechnet werden konnte. Der Kindsvater verweigert inzwischen den Kontakt zu Tochter und Kindsmutter und gibt ihnen auch keine Kontaktangaben heraus. Unseren Akten konnte ich noch entnehmen, welcher Sozialdienst ihn vermutlich als letztes unterstützt hatte. Die dortige Nachfrage ergab, dass er kürzlich infolge Erwerbsaufnahme hat abgelöst werden können. Es müsste folglich ein Kindesunterhalt berechnet werden, wobei wir keine Kenntnis vom Aufenthalt des Kindsvaters haben.
Welche Informationsrechte im Hinblick auf die Geltendmachung des Unterhaltsanspruchs bestehen in diesem Kontext?
Konkret:
- Über welchen Weg ist der Sozialdienst befugt, die Adresse des Kindsvaters ausfindig zu machen, damit die Klientin eine Unterhaltsberechnung beim Sozialdienst in die Wege leiten kann (oder bleibt hier mangels Kontaktmöglichkeiten von vornherein nur der Weg über ein Schlichtungsgesuch)?
- Und über welche Quellen können hauptbetreuende Eltern und/oder der Sozialdienst in ähnlich gelagerten Situationen, wo Unterhaltspflichtige ihrer Meldepflicht über die veränderten Verhältnisse nicht nachkommen, rechtzeitig von der Erwerbsaufnahme erfahren?
Ich freue mich auf Ihre Antwort.
Frage beantwortet am
Karin Anderer
Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz
Grüezi
Der Kindesunterhalt setzt sich, nach Art. 276 Abs. 2 und 285 Abs. 2 ZGB zusammen aus der Betreuung in Natura, dem Barunterhalt und dem Betreuungsunterhalt.
Art. 287a ZGB schreibt den Inhalt des Unterhaltsvertrages vor:
Werden im Unterhaltsvertrag Unterhaltsbeiträge festgelegt, so ist darin anzugeben:
a. von welchem Einkommen und Vermögen jedes Elternteils und jedes Kindes ausgegangen wird;
b. welcher Betrag für jedes Kind bestimmt ist;
c. welcher Betrag zur Deckung des gebührenden Unterhalts jedes Kindes fehlt;
d. ob und in welchem Ausmass die Unterhaltsbeiträge den Veränderungen der Lebenskosten angepasst werden.
Art. 286a ZGB regelt den „Manko-Fall“:
1 Wurde in einem genehmigten Unterhaltsvertrag oder in einem Entscheid festgestellt, dass kein Unterhaltsbeitrag festgelegt werden konnte, der den gebührenden Unterhalt des Kindes deckt, und haben sich seither die Verhältnisse des unterhaltspflichtigen Elternteils ausserordentlich verbessert, so hat das Kind Anspruch darauf, dass dieser Elternteil diejenigen Beträge zahlt, die während der letzten fünf Jahre, in denen der Unterhaltsbeitrag geschuldet war, zur Deckung des gebührenden Unterhalts fehlten.
2 Der Anspruch muss innerhalb eines Jahres seit Kenntnis der ausserordentlichen Verbesserung geltend gemacht werden.
3 Dieser Anspruch geht mit allen Rechten auf den anderen Elternteil oder auf das Gemeinwesen über, soweit dieser Elternteil oder das Gemeinwesen für den fehlenden Anteil des gebührenden Unterhalts aufgekommen ist.
Der gebührende Unterhalt kann somit auch bei Leistungsunfähigkeit berechnet werden; der fehlende Betrag zur Deckung des gebührenden Unterhalts des Kindes wird im Unterhaltsvertrag festgehalten. M.E. sollte immer ein Unterhaltsvertrag gemacht werden, damit einerseits die Berechnung vorliegt und andererseits Klarheit für einen möglichen „Manko-Fall“ besteht. Das Gemeinwesen subrogiert zudem nach Art. 286a Abs. 3 ZGB in den Unterhaltsanspruch des „Manko-Falls“.
Nach Art. 57e Abs. 1 SHG-BE sind etliche Behörden und Personen verpflichtet, den mit dem Vollzug des SHG-BE betrauten Personen mündliche und schriftliche Auskünfte zu erteilen. Darunter fallen u.a. die Einwohnerkontrollen, die Sozialhilfebehörden, die Steuerbehörden sowie Personen, die gegenüber einer Sozialhilfe beziehenden Person unterhaltspflichtig sind. Die in Absatz 1 genannten Behörden und Personen sind namentlich verpflichtet, Auskünfte zu erteilen zur Abklärung der Ansprüche dieser Personen gegenüber Dritten.
Sie können beim vorherigen Sozialdienst nach der Adresse und nach dem Arbeitgeber nachfragen, auf der Einwohnerkontrolle die Adressauskunft verlangen und beim Steueramt Steuerdaten anfordern, das alles gestützt auf Art. 57e SHG-BE.
Es gibt es keine gesetzliche Pflicht, über veränderte Verhältnisse zu informieren. Es ist gesetzlich auch nicht vorgeschrieben, einen Unterhaltsvertrag zu vereinbaren. Nach Art. 298a Abs. 2 Ziffer 2 ZGB genügt es, wenn sich die unverheirateten Eltern in der gemeinsamen Erklärung über die elterliche Sorge über den Unterhaltsbeitrag für das Kind verständigt haben. Also die Erklärung, „wir haben uns verständigt“, ist ausreichend.
Die unterhaltsberechtigte Person und der Sozialdienst müssen regelmässig versuchen, die Verhältnisse abzuklären. Dazu gibt es verschiedene Quellen, wie Nachfragen bei gemeinsamen Freunden und Bekannten, „Schwiegereltern und Schwager/Schwägerin“, Facebook, Familienzulagenregister usw. Wenn unterhaltspflichtige Eltern über veränderte Verhältnisse von sich aus nicht Auskunft geben und sich „bedeckt“ halten, bleibt nichts anders übrig, als den Unterhalt gerichtlich einzuklagen bzw. eine Abänderungsklage einzureichen.
Ich hoffe, die Angaben sind nützlich und ich grüsse Sie freundlich.
Luzern, 12.8.2022
Karin Anderer