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Kinderzulagen

Veröffentlicht:
19.11.2019
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialversicherungsrecht

Liebes Experten-Team

Ich bin Beiständin einer 13-jährigen jungen Frau. Die Familiensituation ist folgendermassen:

Die Eltern waren nicht verheiratet, leben getrennt. Sie haben die gemeinsame elterliche Sorge, der Vater hat das Aufenthaltsbestimmungsrecht. Der Vater ist wieder verheiratet und er, seine Frau und die Tochter leben in einem gemeinsamen Haushalt.

Die Kindsmutter bezieht Sozialhilfe, der Kindsvater ist selbständig erwerbend. Die Stiefmutter ist 80% angestellt.

Bisher hat der Kindsvater die Kinderzulage bezogen, auch wenn dies mit einigen Schwierigkeiten und mit administrativem Aufwand verbunden war. Dann hat Mitte 2019 die Ausgleichskasse des Kantons Bern (AKB) die Kinderzulage gestrichen, da er keinen Anspruch mehr habe? Die Stiefmutter konnte dann die Kinderzulage anmelden und nach einigem hin und her wurden sie rückwirkend gesprochen.

Nun wurden sie aber von der AKB informiert, dass für 2020 der Kindsvater wieder den Antrag stellen muss. Uns ist nicht klar, weshalb? Für die Familie ist es finanziell sehr schwierig, wenn sie die Kinderzulagen jeweils erst rückwirkend ausbezahlt bekommen. Gibt es eine Möglichkeit, dass die Kinderzulagen weiterhin über die Stiefmutter bezogen werden können (ist von ihrem Arbeitgeber und der angehängten Ausgleichskasse her kein Problem).

Herlichen Dank für Ihre Antwort.

Freundliche Grüsse
Mara Berthold

Frage beantwortet am

Peter Mösch Payot

Expert*in Sozialversicherungsrecht

Sehr geehrte Frau Berthold

Mangels genauer Kenntnisse des Sachverhaltes kann ich Ihnen nicht genau mitteilen, weswegen im vorliegenden Fall die Zuständigkeit per 2020 ändert. Ich nehme aber an, dass die Konkurrenzregeln des FamZG dabei eine Rolle spielen. Fragen Sie diesbezüglich am besten bei der Ausgleichskasse nach.
Zu unterscheiden ist zunächst die Frage, WER überhaupt für das Kind zur Geltendmachung der Zulage berechtigt ist (sogleich unter a) und dann die Konkurrenzregel, in welcher Reihenfolge dieser Anspruch bei mehreren Berechtigten geltend gemacht wird (sogleich unter b) und c) wie eine Drittzahlung des Anspruchs für das Kind bewirkt werden kann.


a) Die Regelung des Familienzulagengesetzes will sicherstellen, dass im Grundsatz nur eine Zulage pro Kind gewährt wird.
Diverse Personen können anspruchsberechtigt sein für das Kind (vgl. Art. 4 FamZG):
aa) In erster Linie besteht ein Anspruch auf Kinderzulagen, zu denen ein Kindesverhältnis nach ZGB besteht. Namentlich also die Inhaber der alleinigen oder geteilten elterlichen Sorge
bb) Darüber hinaus aber auch für Pflegekinder, Stiefkinder sowie Geschwister und Enkelkinder des Bezugsberechtigten, wenn diese für deren Unterhalt in überwiegendem Masse aufkommen. 
cc) Unter Umständen besteht im Weiteren ein Familienzulagenanspruch für das Kind über die Pflegeeltern. Dieser Anspruch der Pflegeeltern auf Kinderzulagen gilt aber nur dann, wenn diese das Kind im Sinne von Art 49 Abs. 1 AHVV unentgeltlich zur dauernden Pflege und Erziehung aufgenommen haben (vgl. Art. 5 Familienzulagenverordnung). Tagespflege genügt dafür nicht. Unentgeltlich ist das Pflegeverhältnis nur dann, wenn die an die Pflegeeltern für das Kind von dritter Seite erbrachten Leistungen (z.B. Unterhaltsbeiträge der Eltern oder von Verwandten, Alimentenbevorschussung, Kostgelder, Sozialversicherungsrenten, private Versicherungsleistungen) weniger als einen Viertel der tatsächlichen Unterhaltskosten decken (vgl. Wegleitung über die Renten in der AHV und der IV (RWL), Stand 1.1.2019, Rz. 3310.). Es ist also entscheidend, ob und inwieweit hier Pflegegeld an die Pflegeeltern fliesst. 
Falls es sich hier um einen Fall handelt, wo die Pflegeeltern ein Enkelkind (oder Geschwister) aufnehmen und überwiegenden Unterhalt leisten sind die Voraussetzungen für eine Kinderzulage etwas weniger streng: Gemäss Art. 6 FamZV besteht schon ein Anspruch, wenn das Kind im Haushalt des Anspruchsberechtigten lebt, sofern die von dritter Seite erbrachten Leistungen für den Unterhalt des Kindes (z.B. Unterhaltsbeiträge, Waisenrente) den Betrag der maximalen vollen Waisenrente pro Monat nicht übersteigen (derzeit CHF 948).
dd) Möglich ist schliesslich noch ein Anspruch von Anspruchsberechtigten, für die das Kind ein Geschwister oder Enkelkind ist, wenn das Kind nicht im selben Haushalt lebt, wenn diese Verwandten aber Unterhaltsbeiträge leisten, die mindestens gleich hoch sind wie der Betrag der maximalen vollen Waisenrente, also 949 Franken pro Monat.
Nichterwerbstätige gehören dabei nur dann zum Versichertenkreis bei den Familienzulagen, wenn das steuerbare Einkommen den anderthalbfachen Betrag einer maximalen vollen Altersrente der AHV nicht übersteigt und keine Ergänzungsleistungen zur AHV/IV bezogen werden (Art. 19 Abs. 2 FamZG).

 

b) Bestehen mehrere Personen mit einem Anspruch so regelt eine Konkurrenzordnung, dass der Grundsatz, dass für das gleiche Kind nur eine Zulage derselben Art ausgerichtet wird (vgl. Art. 6 FamZG), verwirklicht werden kann. 

Art. 7 Abs. 1 FamZG sieht folgende Reihenfolge in der Anspruchsberechtigung vor: 
aa) Danach stehen die Familienzulagen in erster Linie der erwerbstätigen Person zu, 
bb) an zweiter Stelle der Person, welche die elterliche Sorge hat oder bis zur Volljährigkeit hatte,
cc) drittens die Person, bei der das Kind überwiegend lebt oder lebte,
dd) viertens die Person, auf welche die Familienzulagenordnung im Wohnsitzkanton des Kindes anwendbar ist, 
ee) im Weiteren gilt, dass bei mehreren unselbständig Erwerbstätigen die Person mit dem höheren AHV-pflichtigen Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit einen Anspruch hat  und schliesslich, 
ff) diejenige Person mit dem höheren AHV-pflichtigen Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit.

 

c) Nach den vorgenannten Kriterien ist also zu bestimmen, wer die Kinderzulagen geltend zu machen hat. Mit Blick auf eine allfällige Auszahlung der Kinderzulagen an Dritte, z.B. die Stiefeltern ist Art. 9 FamZG beachtlicht: Es kann seitens des gesetzlichen Vertreters des Kindes, je nach Mandat also auch durch den Beistand, verlangt werden, dass die bestehenden Kinderzulagen an diesen gewährt werden oder ev. auch an Dritte gewährt werden. Voraussetzung ist dafür aber, dass die Kinderzulagen nicht für die Bedürfnisse des Kindes verwendet werden. Dies müsste im Gesuch auch gegenüber der Ausgleichskasse erläutert bzw. begründet werden. Vgl. das Formular 318.182 unter: https://www.ahv-iv.ch/de/Merkbl%C3%A4tter-Formulare/Formulare/Elektronische-Formulare/AHV-Formulare/318182-Gesuch-um-Drittauszahlung-von-Leistungen-der-AHV-IV-EO-EL-FZ

Ich hoffe, die Angaben dienen Ihnen. Das konkrete Vorgehen hängt von weiteren Sachverhaltsfragen ab, unter anderem ob der Vater die elterliche Sorge hat, wie das Pflegekindverhältnis entlöhnt ist und ob genügend Belege dafür bestehen, dass die Kinderzulagen nicht zweckgemäss verwendet werden. Am besten fragen Sie zunächst bei der zuständigen Familienausgleichskasse, weswegen ab 2020 die Familienzulage wieder über den Vater ausgerichtet werden solle.
Falls dann noch Fragen offenbleiben, kann eine Verfügung verlangt werden, die auch einsprachefähig ist. Gerne dürfen Sie sich dann auch im Forum nochmals an mich wenden.
Ich hoffe, das dient Ihnen.
Prof. Peter Mösch Payot