Eine Beiständin unserer Sozialdienstes ist im Rahmen des Kindeschutzes in einem komplexen und strittigen Scheidungsverfahren involviert. Sie ist Sozialarbeiterin. Aufgrund der Komplexität hat sie den Eindruck, dass die Kinder eine rechtliche resp. juristische Vertretung brauchen.
Kann sie als Beiständin beim Gericht Antrag stellen auf eine juristische Kindesvertretung? Gemäss mündlichen Aussagen des Gerichtes habe sie diesbezüglich kein Antragsrecht.
Frage beantwortet am
Karin Anderer
Expert*in Kindes- und Erwachsenenschutz
Grüezi
Art. 299 regelt Folgendes:
1 Das Gericht ordnet wenn nötig die Vertretung des Kindes an und bezeichnet als Beiständin oder Beistand eine in fürsorgerischen und rechtlichen Fragen erfahrene Person.
2 Es prüft die Anordnung der Vertretung insbesondere, wenn:
a. die Eltern unterschiedliche Anträge stellen bezüglich:
1. der Zuteilung der elterlichen Sorge,
2. der Zuteilung der Obhut,
3. wichtiger Fragen des persönlichen Verkehrs,
4. der Aufteilung der Betreuung,
5. des Unterhaltsbeitrages;
b. die Kindesschutzbehörde oder ein Elternteil eine Vertretung beantragen;
c. es aufgrund der Anhörung der Eltern oder des Kindes oder aus anderen Gründen:
1. erhebliche Zweifel an der Angemessenheit der gemeinsamen Anträge der Eltern bezüglich der Fragen nach Buchstabe a hat, oder
2. den Erlass von Kindesschutzmassnahmen erwägt.
3 Stellt das urteilsfähige Kind Antrag auf eine Vertretung, so ist diese anzuordnen. Das Kind kann die Nichtanordnung mit Beschwerde anfechten.
Aufgrund des Untersuchungs- und Offizialgrundsatzes (Art. 296 ZPO) und der Anhörung des Kindes (Art. 298 ZPO), muss sich das Gericht zwingend mit den Kinderbelange auseinandersetzen. In strittigen Fallkonstellationen, wie sie Art. 299 Abs. 2 ZPO aufstellt, ist in der Regel eine Kindesvertretung zwingend anzuordnen. Das Gericht braucht eine Begründung, wenn es in solchen Fällen von einer Kindesvertretung absieht.
Die Beiständin kann somit keine Kindesvertretung beim Gericht beantragen, es sei denn, dass sie ein Vertretungsrecht in dieser Verfahrensangelegenheiten von der KESB eingeräumt bekommen hat. Das urteilsfähige Kind kann es aber tun, ebenso eine Elternteil und die KESB. Hier kann sich die Beiständin an die KESB wenden und sie bitten, den Antrag zu stellen. M.E. schadet es auch nichts, wenn die Beiständin das Gericht auf die - ihrer Ansicht nach notwendige - Kindesvertretung hinweist.
Ich hoffe, die Angaben sind Ihnen nützlich und ich grüsse Sie freundlich.
Luzern, 11.2.2022
Karin Anderer