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Keine IV-Taggelder bei Arbeitsunfähigkeit -> EL und Sozialhilfe zahlen den Finanzausfall nicht

Veröffentlicht:
03.05.2017
Status:
Beantwortet
Rechtsgebiet:
Sozialversicherungsrecht

Sehr geehrte Damen und Herren
Ich führe für eine junge Erwachsene (19 Jahre alt) eine Vertretungsbeistandschaft gemäss Art. 394 i.V.m. Art. 395 Abs. 1 bis 3 ZGB. Meine Klientin ist körperlich stark eingeschränkt, bedarf für ihre Mobilität eines Rollstuhls und ist im Alltag auf Unterstützung angewiesen (Anziehen, Körperpflege). Sie befindet sich aktuell im 1. Ausbildungsjahr einer IV-gestützten beruflichen Erstausbildung. Die Klientin hat demzufolge Anspruch auf IV-Taggelder, auf EL und auf Hilflosenentschädigung.
Meine junge Klientin lebt im selben Haushalt wie ihre Mutter. Die Mutter ist nicht erwerbstätig, spricht kaum Deutsch. Ein eigener Anspruch auf Leistungen der IV wurde bei der Mutter bereits vor längerem abgelehnt. Die Wohnung, die die beiden Frauen bewohnen, wurde mit Unterstützung der IV und der Pro Infirmis durch bauliche Massnahmen rollstuhlgängig gemacht. Bis vor einem Jahr wurde die Mut-ter noch von der Sozialhilfe unterstützt. Mit der Zuerkennung der Hilflosenentschädigung entfiel ganz knapp ihr Anspruch auf Sozialhilfe. Dies deshalb, weil im Sozialhilfebudget der Mutter nicht berück-sichtigt wurde, dass der Tochter wegen eine rollstuhlgängige Wohnung notwendig ist, deren Miete die Pauschale, die vom Sozialamt übernommen wird, übersteigt. Faktisch sind Mutter und Tochter nun vom Einkommen der behinderten Tochter abhängig.
Der Vater der Klientin lebt von der Mutter getrennt. Er bezieht eine IV-Rente und Ergänzungsleistun-gen.
Während der beruflichen Erstausbildung meiner Klientin ist es nun zu einigen krankheitsbedingten Abwesenheiten gekommen (u.a. wegen notwendiger Operationen). IV-Taggelder werden jedoch längstens während 30 Tagen bei Krankheit weiter ausgerichtet. Dadurch ergab sich, dass während des gesamten Monats Februar keinerlei Taggelder ausgerichtet wurden. Dies wurde mir mit Schreiben vom 6.3.2017 mitgeteilt. Die EL hat mit Schreiben vom 26.4.2017 informiert, dass ein Anspruch auf Anpassung der Leistungen erst für den Monat entsteht, in dem die Änderung mitgeteilt wird, weshalb für den Februar keine höheren EL-Zahlungen erfolgen.
Nun habe ich die Situation, dass meine Klientin in grossen Liquiditätsschwierigkeiten steckt. Jede künftige Arbeitsunfähigkeit wird erneut zu weiteren finanziellen Engpässen führen, was aber immer erst belegt werden kann, wenn die IV-Taggeldabrechnung vorliegt. Und die liegt faktisch immer erst im Folgemonat vor. Weder EL noch Sozialamt fühlen sich zuständig, die dadurch entstehende materielle Lücke zu füllen. Wie ist in diesem Fall vorzugehen?
Im Voraus besten Dank für Ihre Antwort.
Christiane Klug

Frage beantwortet am

Peter Mösch Payot

Expert*in Sozialversicherungsrecht

Sehr geehrte Frau Klug
Ihre Klientin hat m Februar kein IV-Taggeld mehr bekommen, weil die Taggelder trotz Arbeitsunfähigkeit ausgeschöpft waren. Und die EL nimmt eine Neuberechnung unter Berücksichtigung der nun fehlenden Taggelder erst im Monat nach der Meldung vor, da die entsprechende Meldung nicht im Februar erfolgt ist. Wegen der gleichzeitig bestehenden Hilflosenentschädigung hätte sie aber materiell schon im Februar Anspruch gehabt.
Meines Wissens ist dieses Koordinationsproblem nicht hinreichend rechtlich geklärt. Weder bestehen eindeutige Rechtsgrundlagen, noch Hinweise in den Verwaltungsweisungen (WEL). Mir ist auch keine Rechtsprechung bekannt.
Immerhin kann versucht werden zu argumentieren, dass die Praxis der EL-Stelle, in so einem Fall immer wieder nur verzögert eine Anpassung vorzunehmen, einer Rechtsverweigerung gleich kommt, soweit erkennbar ist, dass sich diese Situation immer wieder ergeben kann.
Ich rate Ihnen, bei der EL in Zukunft unmittelbar und ohne die Taggeldabrechnung abzuwarten eine vorsorgliche Meldung zu machen, wenn absehbar ist, dass sich diese Konstellation wiederholt. Ebenso kann eventuell eine Vorschussleistung im Sinne von Art. 19 Abs. 4 ATSG verlangt werden.
Ein Vorgehen über die Sozialhilfe stellt verfahrensmässig die gleichen Herausforderungen, weil auch dort im Prinzip keine rückwirkenden Leistungen gewährt werden. Auch dort müsste bei absehbarer Arbeitsunfähigkeit (und somit einem absehbaren Ausfall der Taggelder) eine vorsorgliche Leistung der Sozialhilfe verlangt werden. Auch dies wird aber schwierig zu erreichen sein, weil auch die Sozialdienste bezüglich vorsorglichen Leistungen erhebliches Ermessen haben.
Zu beachten ist in diesem Fall aber auch die Prüfung, ob hier der Sozialhilfeanspruch der Mutter korrekt berechnet wurde. Die in der Fallbeschreibung erwähnte rigorose Anrechnung der Hilflosenentschädigung im Budget der Mutter ist wohl nicht zulässig, soweit deren Tochter offenbar in Ausbildung ist und nicht tagtäglich von der Mutter gepflegt wird. Nur wenn eine solche Pflege und Betreuung tatsächlich erfolgen würde, und wenn entsprechender Betreuungsaufwand auch in der Aufwandseite der Sozialhilfe Berücksichtigung finden würde, kann eine Anrechnung der Hilflosenentschädigung als Einnahme bei der Mutter erfolgen. Zudem ist anzunehmen, dass die Tochter noch einige andere Ausgaben haben wird, die vorab mit der sie betreffenden Hilflosenentschädigung bestritten werden kann, zum Beispiel die behinderungsbedingt verteurte Miete, allfällige Transportdienste usw. Solche Kosten müssen vorab über die Hilflosenentschädigung gedeckt werden, bevor eine Anrechnung an Einkommen der Angehörigen in Frage kommt. (Vgl. etwa Kapitel 8.1.04 Behördenhandbuch Sozialhilfe des Kantons Zürich; siehe www.sozialhilfe.zh.ch)
Ich hoffe, das dient Ihnen.
Prof. Peter Mösch Payot